" Manchmal warten wir mit bestimmten Dingen solange, als hätten wir noch ein zweites Leben"
von W.Kotter
Mein
schlägt links!!!
Aufreger des Tages
Liebe Leser dieser Seite,
es gibt soviel Ungerechtigkeit auf dieser Welt, in unserem Land bzw. in unserem unmittelbaren Umfeld, dass ich mit einigen Beispielen versuchen möchte, diese Tatsachen eine interessierter
Leserschaft zu vermitteln. Dabei geht es mir in erster Linie darum, dass man zuerst einmal über solche Ungerechtigkeiten und Gefahren informiert wird und darüber nachdenkt, Warum ist das so ?, Wem
nützt das ? Kann man was dagegen tun?.
Ich möchte Sie wachrütteln und animieren sich zu organisieren um für Frieden und Gerechtigkeit zu kämpfen.
Die Formulierung der Titelseite "Aufreger des Tages" ist sinnbildlich zu verstehen, denn die genannten Fakten bestehen leider über den Tag der Einstellung auf dieser Seite leider weiter.
Eine Million Beschäftigte müssen aufstocken. Linke fordert höheren Mindestlohn von zwölf Euro
Von Susan Bonath
Rund eine Million Menschen stockten vergangenes Jahr ihre geringen Löhne mit Hartz IV auf. Fast zwei Drittel von ihnen waren
sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das geht aus einer Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit (BA) hervor, die jW vorliegt. Die
Linke-Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmermann hatte die Daten angefordert. Sie resümierte am Montag gegenüber dieser Zeitung: »Betroffen sind auch ausgerechnet diejenigen, die eben noch als Helden
gefeiert wurden.«
Demnach müssen Beschäftigte in Helfertätigkeiten am häufigsten nach Feierabend zum Jobcenter. Fünf Prozent der ungelernten
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und jeder zehnte Minijobber bezog zusätzlich Hartz IV. Bei den Facharbeitern waren es 1,6 Prozent in regulären Arbeitsverhältnissen und acht Prozent in
Minijobs.
Wenig überraschend: Helfer im Friseurhandwerk und in anderen Bereichen der Körperpflege kommen am schlechtesten weg. Fast jeder vierte regulär
Beschäftigte und knapp 28 Prozent der Minijobber stockten mit Hartz IV auf. Auch jede zehnte sozialversicherungspflichtig angestellte und jede sechste minijobbende Reinigungskraft war zusätzlich auf
diese Leistung angewiesen. Im Lebensmittelverkauf betraf es jeden siebten Helfer, im gesamten Einzelhandel lag die Quote bei acht Prozent.
Die Zahl der arbeitenden Aufstocker sagt allerdings wenig über das tatsächliche Ausmaß des Lohndumpings aus. Laut jüngerer Studien schufteten
2019 rund neun Millionen Menschen für Einkommen unter der Niedriglohnschwelle von derzeit knapp elf Euro pro Stunde. Zwei Drittel der Niedriglöhner sind weiblich. Frauen arbeiten auch häufiger in
Teilzeit. Zusätzliches Hartz IV erhalten aber nur wenige von ihnen. Denn das Einkommen des Partners oder anderer Familienmitglieder rechnen die Jobcenter an – ist es zu hoch, gibt es nichts dazu.
Einkommensarmut macht nicht nur altersarm, sondern finanziell abhängig vom Partner.
Von Hartz-IV-Schikanen bleiben Aufstocker auch nicht verschont. Jobcenter verlangen im Regelfall von ihnen, sich in einer
Eingliederungsvereinbarung dazu zu verpflichten, eine höher bezahlte Tätigkeit zu suchen. Sie müssen sich meist weiter bewerben und alle paar Wochen im Jobcenter einfinden, Rechenschaft über jeden
verdienten Cent ablegen und, sofern das Einkommen nicht jeden Monat gleich ist, halbjährlich einen neuen Antrag stellen. Zudem kann die Behörde ihnen die Aufstockung kürzen, wenn sie einen Termin
verpasst oder Auflagen nicht 100prozentig eingehalten haben.
Die anhaltend hohe Zahl arbeitender Aufstocker sei »nicht hinnehmbar«, erklärte Zimmermann dazu. Zwar sind Kinder in Deutschland ein Armutsrisiko.
Den Daten zufolge seien aber Menschen in allen Lebensformen betroffen, auch Alleinstehende und Paare ohne Kinder, sagte sie und mahnte: »Die Ursache ist also schlicht und einfach eine zu schlechte
Bezahlung.« Dabei habe man gerade erfahren, dass besonders schlecht bezahlte Berufe unabdingbar für die Gesellschaft sind. »Reinigungskräfte und Mitarbeiter im Einzelhandel haben unseren Alltag
aufrecht erhalten und dafür den Preis eines höheren Ansteckungsrisikos bezahlt«, so Zimmermann. Ihre Arbeit sei hart, aber wenig anerkannt. Zimmermann forderte »eine gute tarifliche Bezahlung als
Standard«, einen Mindestlohn von zwölf Euro, ein Ende der Minijobs und »einen Rechtsanspruch auf eine Mindestwochenarbeitszeit, verbunden mit strikten Arbeitszeitkontrollen«.
Vermögen
der Superreichen ist während der Pandemie um 434 Milliarden Dollar gestiegen | IPS Bericht In diesem Interview mit Omar Ocampo, der am Institut
für Politikstudien zu Ungleichheit und dem Gemeinwohl forscht, sprechen wir darüber, warum der Reichtum der Reichen seit Beginn der Coronavirus-Pandemie um Hunderte Milliarden Dollar zugenommen hat.
Darüber hinaus thematisieren wir, welche Auswirkungen die Vermögenskonzentration und steuerlich absetzbare Spenden von Milliardären auf unsere Gesellschaft haben. Schließlich zeigen wir die kurz- und
langfristigen Lösungen auf, die politische Entscheidungsträger und Bewegungen verfolgen können, um das System zu verbessern. Die Abschrift ist
hier zu lesen. Quelle:
acTVism Munich, 17.06.2020
Rassismus ist nicht „naturgegeben“, sondern ein Gedankenkonstrukt zur
Rechtfertigung sozialer Ungleichheit. Exklusivabdruck aus „Warum schweigen die Lämmer?“.
Ist Rassismus eine Reaktion auf die „Andersartigkeit“ bestimmter Personengruppen, eine Form
natürlicher Scheu vor allem Fremden? Nein, sagt der Psychologe und Sachbuchautor Rainer Mausfeld. Dieses Andersartige ist ein Konstrukt, das in der Geschichte oft von wirtschaftlichen Interessen
diktiert wurde. Willkürlich werden Körpermerkmale identifiziert, die rechtfertigen sollen, dass bestimmten Menschen nicht die vollen Bürgerrechte zugestanden werden, dass es angeblich gerechtfertig
ist, sie zu misshandeln und auszuplündern. Somit geht speziell der Kapitalismus mit dem Rassismus schwanger. Heutige Spielarten des Kulturrassismus wie die Islamophobie gehen von der Idee eines
homogenen „Volkskörpers“ aus und sehen in jeder Art kultureller Vermischung einen Angriff auf die Integrität dieses „Körpers“. Wollen wir gegenwärtigen Formen des Rassismus wie in den USA Paroli
bieten, hilft die präzise Analyse solcher Denkmuster. Mit Rainer Mausfeld spricht Marko Junghänel.
Marco Junghänel: Vorurteil — Diskriminierung — Entmenschlichung. Würde diese Kausalkette einen universell gültigen Rassismus als Basis der
kapitalistischen Gesellschaft beschreiben? Wenn ja — welche menschliche Eigenschaft führt zu dieser Negierung einer universellen Menschenwürde?
Rainer Mausfeld: Rassismus in dem weiteren Sinne, wie er
heute in der Rassismusforschung verstanden wird, ist keineswegs eine universelle menschliche Erscheinung. Er stellt also keine natürliche Reaktion auf „Überfremdung“ dar, sondern entwickelte sich
erst in dem Maße, in dem man es als notwendig erachtete, soziale Ungleichheit zu rechtfertigen. Seine Entstehung hängt, wie besonders Immanuel Wallerstein (1) aufgezeigt hat, eng mit der Entstehung
kapitalistischer Organisationsweisen zusammen.
Rassismus unterscheidet sich also grundlegend von
Phänomenen der Fremdenangst oder Fremdenfeindlichkeit, die vermutlich Ausdruck allgemeiner Eigenschaften der Beschaffenheit unseres Geistes und in diesem Sinne universell sind. Historische Analysen
wie die von Immanuel Wallerstein zeigen, dass Rassismus keine Reaktion auf Andersartigkeit und Fremdheit ist, sondern gerade diese „Andersartigkeit“ erst behauptet und somit erzeugt. So bringt auch
der antiislamische Rassismus die Art der wesensmäßigen „Andersartigkeit“ von Muslimen erst hervor, die die „westliche Wertegemeinschaft“ für ihre eigene politische Identitätsstiftung und für die
Legitimation ihrer Herrschaftsbedürfnisse benötigt.
Rassistische Diskriminierung als eine systematische Form der
Entmenschlichung lässt sich also keineswegs einfach als Ausdruck einer allgemein-menschlichen Neigung verstehen oder auf individuelle Vorurteile reduzieren.
Rassismus hat sich erst unter spezifischen historischen
und ökonomischen Bedingungen entfaltet. Natürlich muss auch der Rassismus — wie alle Produktionen unseres Geistes — eine geeignete Grundlage in bestimmten Eigenschaften und Neigungen unseres Geistes
haben. Unser Geist zeichnet sich dadurch aus, das wir von Natur aus über eine einzigartige Flexibilität verfügen, auf der Basis nahezu x-beliebiger Merkmale, sei es Hautfarbe, Religion, Herkunft,
Geschlecht, sexuelle Orientierung et cetera, andere aus der sozialen Kategorie „meinesgleichen“ auszugrenzen. In welcher Art und in welcher Weise eine solche Ausgrenzungsbereitschaft aktiviert wird,
hängt jedoch wesentlich von kulturellen Faktoren ab. Dennoch stellt unsere Bereitschaft, auf der Basis nahezu x-beliebiger Merkmale anderen das zu verwehren, was wir an Eigenschaften und Rechten für
uns und die als „unseresgleichen“ Empfundenen beanspruchen, im gesellschaftlichen Bereich eine Art Schwachstelle unseres Geistes dar, die sich leicht für Zwecke der politischen Manipulation nutzen
lässt. Der „Rassismus von oben“, mit dem jeweilige Machteliten diese Neigungen unseres Geistes strategisch für ihre Belange ausnutzen, ist also anders zu behandeln als Erscheinungsformen eines
„Rassismus von unten“.
Die psychischen Widerstände gegen die Idee einer
universellen Menschenwürde und damit einer Gleichwertigkeit aller Menschen haben ihre Wurzeln in dieser natürlichen Neigung des Menschen, den als fremd empfundenen anderen nicht in vollem Umfang das
zu gewähren, was er an Menschenwürde ganz selbstverständlich für sich selbst beansprucht. Daher bedurfte es eines langen Prozesses und schmerzlicher kollektiver Erfahrungen, bis eine solche Idee mit
der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 als moralische Leitnorm kodifiziert werden konnte.
Gemeinschaft stiften durch Ab- und Ausgrenzung. Gründen sich Nationalstaaten/Nationen also zwangsläufig auf Exklusivität? Welches Modell kann dem entgegengesetzt werden, um
Barbarei zu verhindern?
Solange wir eine kapitalistische Wirtschaftsordnung
haben, wird sich Barbarei nicht verhindern lassen — weder innenpolitische Barbarei in Form einer psychischen und materiellen Verelendung großer Teile der Bevölkerung noch außenpolitische Barbarei in
Form von Neoimperialismus, Neokolonialismus und Krieg. Der Kapitalismus benötigt Kriege zu seinem Überleben; für die Völker des Südens hat — wie Jean Ziegler bemerkte (2) — der dritte Weltkrieg
längst begonnen.
Was Erscheinungsformen von Rassismus betrifft, so lässt
sich eine Beziehung zur Idee des Nationalstaates nicht leugnen, auch wenn die historischen Beziehungen zwischen der Entwicklung europäischer Nationalstaaten, imperialem Kolonialismus und Rassismus
außerordentlich komplex sind. Denn Nationalstaaten fußen ja auf der Idee — oder besser auf der Fiktion — einer weitgehend unveränderbaren ethnischen, kulturellen und sprachlichen Homogenität (3).
Insofern gründen sich Nationalstaaten ihrem Wesen nach ganz selbstverständlich auf Exklusivität. Diese Exklusivität als solche beinhaltet jedoch nicht zwangsläufig eine rassistische
Exklusion.
Wir müssen uns jedoch immer wieder klarmachen, dass die
Vorstellung einer Übereinstimmung von Volk — als einer ethnischen und kulturellen Gemeinschaft —, Territorium und Staat weder natürlich noch zwangsläufig ist, sondern durch bestimmte historische
Konstellationen entstanden ist (4). Im Gefolge der Aufklärung sah man zunächst in Nationalstaaten eine natürliche Basis, eine Demokratisierung voranzutreiben.
Dem lag die Auffassung zugrunde, dass nur
Nationalstaaten wegen ihrer ethnischen Homogenität eine natürliche Grundlage für eine Demokratie bilden könnten. Mittlerweile hat sich jedoch die Vorstellung, dass eine Demokratisierung eines
weitgehend homogenen ethnischen Volkskörpers bedarf, als unzutreffend herausgestellt. Zudem haben schon im 19. Jahrhundert die Versuche, Nationalstaat und die zum Erhalt des Kapitalismus notwendige
Globalisierung miteinander in Einklang zu bringen, zu Formen des Imperialismus geführt, die die Idee des Nationalstaates unterminierten. Ebenso wird in jüngerer Zeit der Nationalstaat umgebaut durch
die willentlich und systematisch herbeigeführte Entbettung transnationaler Konzerne aus dem Bereich nationalstaatlicher Regulierungssysteme. All dies hat dazu beigetragen, dass sich der Nationalstaat
in seiner traditionellen Form nicht mehr als brauchbares Vorbild oder Modell für die Entwicklung einer ernsthaft demokratischen Gesellschaft ansehen lässt.
Die Frage, welches Modell einer gesellschaftlichen
Organisationsform der menschlichen Natur angemessen ist und zugleich geeignet ist, Barbarei zu verhindern, bezieht sich auf das wohl größte und drängendste Problem unserer Zivilisationsgeschichte.
Auch wenn wir immer noch weit davon entfernt sind, klare Vorstellungen über mögliche Lösungen dieses Problems zu haben, lässt sich zumindest vor dem Hintergrund geschichtlicher Erfahrungen eine
wichtige Eingrenzung vornehmen:
Je autoritärer eine gesellschaftliche Organisationsform ist, um so eher
neigt sie dazu, zu menschenunwürdigen Zuständen und Barbarei zu führen. Das gilt auch für Organisationsformen innerhalb demokratischer Gesellschaften, etwa von Großkonzernen, die in höchstem Maße
totalitär organisiert sind.
Umgekehrt — und dies war nach langen blutigen
Erfahrungen gerade die Einsicht der Aufklärung — verspricht eine Gesellschaftsorganisation, die auf der Anerkennung einer prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Menschen, also auf einem universellen
Humanismus, beruht, am ehesten, die Schaffung einer menschenwürdigen Gesellschaft zu ermöglichen. Diese Einsicht, die wir bisher trotz aller Lippenbekenntnisse kaum im erforderlichen Maße ernst
genommen, geschweige denn politisch umgesetzt haben, stellt uns auch weiterhin die Leitideale bereit, durch die wir am ehesten hoffen können, uns gegen Rückfälle in die Barbarei zu
schützen.
Die Leitidee eines universellen Humanismus mag auf den
ersten Blick als schlicht erscheinen, doch hat sie gewaltige Konsequenzen. Sie beinhaltet, dass ein jeder einen angemessenen Anteil an allen Entscheidungen hat, die das eigene gesellschaftliche Leben
betreffen, und verlangt somit nach einer radikal demokratischen Gesellschaftsorganisation. Zudem beinhaltet sie, dass alle Machtstrukturen ihre Existenzberechtigung nachzuweisen und sich der
Öffentlichkeit gegenüber zu rechtfertigen haben, sonst sind sie illegitim und somit zu beseitigen. Sie beinhaltet ferner, dass wir moralische Kriterien, nach denen wir Handlungen anderer bewerten,
auch zur Bewertung unserer Handlungen heranzuziehen haben und missbilligt somit moralische Doppelstandards. Vor allem aber schließt die Leitidee eines universellen Humanismus alle Ideen einer
Vorrangstellung der eigenen biologischen, sozialen, kulturellen, religiösen oder nationalen Gruppe aus, und somit also Rassismus, Nationalismus und alle Formen eines
Exzeptionalismus.
Frantz Fanon hat in seinem Buch „Die Verdammten dieser Erde“ unter anderem formuliert: „In den kapitalistischen Ländern schiebt sich zwischen die Ausgebeuteten und die Macht eine
Schar von Predigern und Morallehrern, die für Desorientierung sorgen.“ Was bedeutet diese Feststellung für unsere mediatisierte Welt und die Macht-/Besitzverhältnisse
darin?
Das Unsichtbarmachen von Macht- und Besitzverhältnissen
ist natürlich in einer „marktgerechten Demokratie“ wichtiger denn je. Ein ganz zentrales Hilfsmittel dazu ist die affektive und kognitive Desorientierung all derjenigen, die nicht zur besitzenden
Klasse — oder, wie es im 18. Jahrhundert hieß, zur „verzehrenden“ Klasse — gehören. Um die tatsächlichen Machtverhältnisse zu verdecken, bedienen sich die Machteliten einer großen Schar
bereitwilliger Intellektueller, die mit hohem gedanklichen Aufwand Interpretationsrahmen und Manipulationstechniken bereitstellen, durch die sich die Interessen der herrschenden Klasse als
gesellschaftliche Allgemeininteressen darstellen lassen oder durch die sich politische Lethargie erzeugen lässt. Die entsprechenden Mechanismen einer politischen Desorientierung sind strukturell tief
in alle Sozialisationsinstanzen unserer Gesellschaft eingewoben, insbesondere in Schulen und Universitäten. Folglich sind gerade diejenigen, die diese Sozialisationsinstanzen am längsten durchlaufen
haben, in einer so tiefen Weise indoktriniert, dass sie die Indoktrination zumeist gar nicht mehr als solche wahrnehmen, sondern sie als kaum noch hinterfragbare Selbstverständlichkeiten ansehen. Im
Bereich des Journalismus hat dieser Effekt gegenwärtig Ausmaße erreicht, die für eine Demokratie und die mit ihr verbundenen Ziele, wie soziale Gerechtigkeit oder eine Friedenssicherung,
verhängnisvoll sind.
Sind neue Rechte von AfD über Pegida bis zur Identitären Bewegung letztlich offen sichtbarer Beleg einer auf exakter Scheidbarkeit der Kulturen beruhenden Annahme von Welt, die
automatisch eine Rangfolge dieser Kulturen festlegt?
Der kulturalistische Rassismus oder „Rassismus ohne
Rassen“ (5), der diesen Bewegungen konstitutiv zugrunde liegt und der sich nur notdürftig mit dem Konzept des „Ethnopluralismus“ tarnt, geht von der Vorstellung eines als weitgehend homogen zu
verstehenden „Volkskörpers“ aus. Statt Rasse-Identitäten sind es nun „kulturelle Identitäten“ oder „nationale Identitäten“ — Konzepte, die ebenso Fiktionen sind wie der biologische Begriff von
Menschenrassen.
Der Kulturrassismus behauptet die Unaufhebbarkeit der kulturellen
Differenzen und die Schädlichkeit einer jeden Grenzverwischung zwischen unterschiedlichen Kulturen und geht stets mit der Vorstellung einer unveränderlichen kulturellen Rangordnung
einher.
Und nun? Wo liegt das Modell der Zukunft, oder gibt es gar keines?
Die abendländischen Kulturen, die heute in dem
kulminieren, was sich selbst als „westliche Wertegemeinschaft“ zelebriert, haben den Weg der Gewalt kultiviert. Sie haben von den Kreuzzügen über den Kolonialismus und seiner „mission civilisatrice“
bis zum gegenwärtigen „humanitären Imperialismus“ die wohl größte Blutspur in der Geschichte des Menschen hinterlassen. Zugleich haben sie die ausgefeiltesten Formen von Doppelmoral und Heuchelei
entwickelt, der zufolge selbst unsere größten Gräueltaten lediglich Ausdruck unserer gutwilligen und uneigennützigen Bemühungen um das Allgemeinwohl und den zivilisatorischen Fortschritt der
Menschheit seien.
Nur wenn wir uns unserer geschichtlichen
Verantwortlichkeiten für diesen Weg der Gewalt bewusst werden, können sich Chancen eröffnen, die es überhaupt aussichtsreich machen könnten, von der Zukunft der Menschheit zu sprechen. Wollen wir
also den bisherigen Weg der Gewalt, der zunehmend unsere eigenen Lebensgrundlagen zerstört, nicht fortsetzen, so eröffnen die Leitideale, die in der Zeit der Aufklärung besonders prägnant formuliert
wurden und die nun von uns weiterzuführen und umzusetzen sind, vielversprechende Perspektiven, angemessene Organisationsformen zu entwickeln, die die Bezeichnung „demokratisch“ verdienen. Das wird
kein einheitliches und statisches Modell sein können, sondern es werden kontinuierliche und hochgradig situationsabhängige Prozesse von gelebten Formen einer Demokratisierung sein, die — auch ohne
Anbindung an traditionelle Homogenitätskonzeptionen von Volk und Nation — von unten getragen wird. Derartige Entwicklungen in Richtung von Demokratisierungformen, wie sie in den politischen
Wissenschaften unter Bezeichnungen wie „partizipatorische Demokratie“ oder „deliberative Demokratie“ diskutiert werden, lassen sich überall auf der Welt beobachten. Sie sind geeignet, der zunehmenden
Entleerung der Idee von Demokratie entgegenzuwirken und ihr eine neue Strahlkraft zu verleihen. Dadurch bieten sie Hoffnung auf die Entwicklung einer menschenwürdigeren
Gesellschaft.
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Folge uns auf
Im Zuge der Corona-Krise beklagen Millionen arbeitende Menschen massive Gehaltseinbußen – auch in Deutschland.
Doch während etwa die österreichische Regierung als Zeichen der Solidarität einen Monatslohn spendet, will man davon in der Bundesregierung nichts wissen.
Im März, also zu einem Zeitpunkt, als die
Corona-Krise Deutschland schon erfasst hatte, erhöhten sich turnusgemäß die Gehälter aller Bundesminister und der Kanzlerin: Die monatlichen Amtsbezüge der Bundeskanzlerin um 308 Euro, die der
Bundesminister um 248,38 Euro und die der Parlamentarischen Staatssekretäre um 189 Euro. Die Bundeskanzlerin bezieht derzeit nach Angaben des Bundes der Steuerzahler rund 20.165 Euro monatliches
Amtsgehalt. Hinzu kommt eine steuerfreie Dienstaufwandsentschädigung von rund 12.271 Euro. Die Bundesminister verdienen durchschnittlich 16.426 Euro pro Monat. Auch ihnen steht eine jährliche
steuerfreie Pauschale in Höhe von etwa 3.681 Euro zu.
Während in Deutschland also Millionen Arbeitnehmer im
Zuge der Corona-Maßnahmen massive Gehaltseinbußen zu verzeichnen haben und Hunderttausende ganz um ihre Arbeitsstelle bangen, akzeptieren die Kanzlerin, ihre 15 Minister sowie die 35
Parlamentarischen Staatssekretäre die nicht unbedeutende Gehaltserhöhung. Dass es auch anders geht, zeigt etwa die neuseeländische Regierungschefin Jacinda Ardern, die freiwillig auf 20 Prozent
ihres bisherigen Gehalts verzichtet. Die Regierungsmitglieder in Österreich entschieden sich, einen Monatslohn zu spenden, die Regierung in Bulgarien verzichtet auf eine Gehaltserhöhung. Auch die
Abgeordneten des Deutschen Bundestages entschieden sich, auf die nächste Diätenerhöhung zu verzichten.
Auf der Bundespressekonferenz wurde
Regierungssprecher Steffen Seibert mit Verweis auf die Gesten der österreichischen und neuseeländischen Regierung gefragt, ob die Bundesregierung ähnliche solidarische Gesten plane. Dies wurde
verneint. Auf die Frage von RT Deutsch-Redakteur Florian Warweg, ob die Bundesregierung im Sinne
der Corona-Ansprache des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier bereit sei, auch persönlich Verzicht zu üben, erklärte der Regierungssprecher:
Die Bundesregierung hat in einem Umfang, den es vorher noch nie gegeben hat, Hilfen für Wirtschaft
und für Bürger beschlossen. Das ist die Arbeit, die eine Bundesregierung typischerweise tut. Die ist nicht symbolisch, die ist praktisch.
Steinmeier hatte in seiner Rede am 22. April anlässlich der Corona-Krise erklärt:
Wahr
ist, die Zeit wird nicht spurlos an uns vorbeigehen. Wir werden einiges von dem gemeinsam erarbeiteten Wohlstand preisgeben. Aber wir sind und wir bleiben eine starke Volkswirtschaft – mit Millionen
Menschen, die weiter anpacken oder wieder loslegen wollen. So wie wir das Virus gemeinsam besiegen werden, so werden wir uns mit Fleiß und Klugheit auch aus dem wirtschaftlichen Tal gemeinsam wieder
herausarbeiten.
Patrik Köbele ist Vorsitzender der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP)
Von überall her ertönt es: »Der Chinese ist schuld!« An was bitteschön? Am neuen Coronavirus sowieso. Aber auch am Abfluss kostbarer Ressourcen – Stichwort: Diebstahl geistigen Eigentums –, weiß ja
jeder. Am mangelhaften Stahl für die neue Rheinbrücke bei Leverkusen ebenfalls. Das weiß zumindest jeder in Nordrhein-Westfalen. Mit moderner Technologie will China Wirtschaft und Menschen
ausspionieren – im Unterschied zu den USA, denen dergleichen ja niemals in den Sinn käme.
Die antichinesische Propaganda trägt skurrile Züge – aber sie hat eine handfeste materielle Basis, den Klassenkampf. Die
Skurrilität resultiert auch aus der drastischen Zunahme dieser Propaganda, daher, dass den Herrschenden bewusst wird: Das Gerede von der »gelben Gefahr« verfängt immer weniger. Darum wird zur alten
Methode gegriffen, je mehr Dreck man schmeißt, desto mehr bleibt hängen. Woher aber kommt die Angst der Herrschenden vor der Volksrepublik China? Auch hier wirkt die Pandemie wie ein Katalysator.
Plötzlich werden Fragen laut: Warum funktioniert das Gesundheitssystem eines Staates, der sich selbst noch als Entwicklungsland sieht, besser als das in Deutschland? Warum stehen China (und Kuba) den
krisengebeutelten EU-Staaten Italien und Spanien offensichtlich hilfreicher bei als Brüssel?
Es könnte zudem, auch das eine Gefahr, die Frage aufkommen, weshalb in China das Staatsziel, Menschen aus der Armut zu holen, nicht
nur in Sonntagsreden vorkommt, sondern für Hunderte Millionen Menschen bereits umgesetzt wurde – während in Deutschland und den USA spätestens nach der Pandemie die Armut noch mehr grassieren wird.
Nicht zuletzt wird die Frage gefürchtet, warum ein Land wie die VR China militärisch durch die NATO eingekreist wird, während es selbst keine Truppen über den Globus verteilt, um Angriffskriege vom
Zaun zu brechen.
Nun kann angemerkt werden, dass Angela Merkel im China-Bashing moderater ist als US-Präsident Trump. Das mag zutreffen – wo aber
liegen die Ursachen dafür? Mit persönlichen Eigenschaften der beiden hat das wenig bis gar nichts zu tun. Tatsächlich ist die deutsche Bourgeoisie offenbar zerrissener als die führenden Teile des
US-Kapitals. Auch das kann kaum verwundern. Denn im Konkurrenzkampf mit dem US-Kapital sind die Beziehungen zur VR China ein wichtiger Punkt für die deutsche Wirtschaft. Verzichtet man auf
5G-Technologie von Huawei, liefert man sich dem konkurrierenden US-Kapital aus.
Für eine notwendige Entwicklung antiimperialistischer Strategie ist das Erkennen solcher Gegensätze wichtig. Noch wichtiger aber
ist die Erkenntnis, dass die antichinesische Propaganda der Herrschenden Teil des Klassenkampfs von oben ist. Umgekehrt ist ihre Abwehr notwendiger Bestandteil des Klassenkampfs von unten.
Sitzungswoche 22. bis 23. April 2020
Für die AfD läuft es schlecht in der Corona-Krise. Erstmals seit der letzten Bundestagswahl ist die Partei in den Umfragen unter die 10-Prozent-Marke gerutscht. Damit geht es der AfD nicht anders als
den anderen Oppositionsparteien und der weitere Krisenverlauf könnte auch ihren Themen wieder Zulauf bescheren. Aber der auf Aktivismus und Aufmerksamkeitssteigerung um jeden Preis gerichtete
Politikansatz gebietet der Partei gewisse Formen der Krawallpolitik. So changieren Partei und auch Bundestagsfraktion zwischen Verharmlosung (nur eine Grippe), Verschwörung (China und Bill Gates) und
wilder Anklage (völliges Versagen der Regierung auf allen Ebenen).
Für die verkürzte Sitzungswoche hatte sich die AfD-Fraktion für einen Dreiklang aus Öffnungsforderungen, Nationalismus und bekannten rassistischen Ressentiments entschieden. In der Außenwahrnehmung
geht die Fraktion jedoch vor allem im Gleichschritt mit der marktradikalen FDP, mit der zusammen sie sich als lautester Verfechter einer generellen Öffnungspolitik und sofortigen Beendigung des
Lock-Down positioniert. In ihrem zentralen Antrag zur Corona-Krise (http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/187/1918738.pdf) fordert sie die Aufhebung mehr oder weniger aller Einschränkungen die Gewerbe, Handel und Produktion betreffen, sofern
Hygieneregeln und Abstand eingehalten werden. Während also alles wieder öffnen soll, gilt das explizit nicht für die Außengrenzen der Bundesrepublik. Die Einreisesperren sollen nicht nur
aufrechterhalten, sondern auf „Asylbewerber“ ausgedehnt werden, womit die Pandemie als Hebel zur Aussetzung eines Grundrechts genutzt wird.
In der Aussprache zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin verstieg sich Alexander Gauland zur für eine autoritäre Rechte bemerkenswerten Behauptung, es brauche den Staat in der gegenwärtigen
Krise nicht, die Bürger (gemeint sind sicher auch Bürgerinnen) könnten das auch ohne den Staat händeln: „Die vergangenen Wochen haben eines deutlich gezeigt: Die weit überwiegende Mehrheit in unserem
Land geht mit der Ansteckungsgefahr sehr vernünftig und diszipliniert um. Die Menschen halten Abstand voneinander, sie versammeln sich nicht, warten geduldig vor Geschäften, viele tragen Mundschutz.
Die Quarantänemaßnahmen laufen längst selbstorganisiert. Der Staat ist dabei weitgehend überflüssig. Es wird also Zeit, die Beschränkung der Grundrechte zu lockern und die Schutzmaßnahmen in die
private Verantwortung der Bürger zu überführen. (…) Die Menschen sind vernünftig genug, ihr persönliches Risiko einzuschätzen und sich gegenseitig zu kontrollieren.“ (Deutscher Bundestag, 19.
Wahlperiode, Protokoll der 156. Sitzung, S. 19300 f.) Während die AfD versucht, sich als Anwältin von Grund- und Freiheitsrechten darzustellen, wird zur Behauptung des Versagens der Regierung immer
wieder auf den beispielhaften Umgang mit Corona in Ländern wir Südkorea und Taiwan verwiesen: „Ich darf daran erinnern, dass Länder wie Südkorea, Taiwan und Singapur ohne Lockdown durch die Krise
gekommen sind.“ (Ebd.) Ob allerdings die relativ rigide Form der digitalen Überwachung in diesen Ländern mit der von Gauland geforderten staatlichen Zurückhaltung zu verbinden ist, lässt sich
bezweifeln. Schließlich gibt Gauland noch den Abgesang auf europäische Solidarität und den Nationalstaat als Lösungen aus der Krise vor: „Meine Damen und Herren, von Otto von Bismarck stammt die
Beobachtung, dass er ‚das Wort ‚Europaʼ immer im Munde derjenigen Politiker gefunden‘ habe, ‚die von anderen Mächten etwas verlangten, was sie im eigenen Namen nicht zu fordern wagten‘. – Wie wahr
ist diese Beobachtung! Das Virus hat auch der EU eine Lektion erteilt. Es hat der Union im Wortsinne ihre Grenzen aufgezeigt. In der Krise ziehen sich die Menschen in die soliden und vertrauten
Strukturen zurück. Das ist im Kleinen die Familie, im Großen der Nationalstaat.“ (Ebd., S. 19301)
Absage an europäische Solidarität, Nationalstaat und „Deutschland zuerst“ sind die zentralen Folgerungen der AfD aus der Krise. In der Debatte zu den Krisenfolgen für die EU macht Harald Weyel für
die AfD deutlich, dass es mit ihr keinerlei Hilfe oder Solidarität für die am schwersten von der Pandemie betroffenen EU-Länder geben wird: „Deutschland hat seit den 50er-Jahren weltweit geholfen. In
den Krankenhäusern werden Franzosen, Niederländer, Italiener behandelt. Was die Grünen meinen, ist aber keine Hilfsbereitschaft, sondern eine Schuldknechtschaft, die uns dauerhaft für die
Versäumnisse anderer Staaten in die Haftung nimmt. Wo soll da der Anreiz für die betroffenen Länder sein, in Zukunft besser zu wirtschaften und ihre Gesundheitswesen nicht kaputtzusparen?“ (Ebd., S.
19339) Angesichts der Tatsache, dass u.a. Staaten wie Italien oder Spanien aufgrund der maßgeblich von Deutschland betriebenen EU-Austeritätspolitik allein seit 2011 63-mal von der EU-Kommission zu
Kürzungen im Gesundheitsbereich gedrängt wurden, lässt sich eine solche Aussage nur als Zynismus bezeichnen. Das von der AfD schon in der Griechenland-Krise befeuerte Bild der faulen Südeuropäer wird
von Weyel wieder aufgewärmt, in dem er die „EU als Reptilienzoo“ beschreibt, „wo die schlauen Schildkröten längst einen Trick gelernt haben, nämlich sich selbst auf den Rücken zu bugsieren, um dann
von den anderen mit allerlei Leckerbissen durchgefüttert zu werden.“ (Ebd.) Demgegenüber sei die AfD „die Einzige(n), die ein ehrliches Europa ohne Ausbeutung der deutschen Steuer- und Sozialkassen
wolle(n), die nicht alles auf dem Altar von schlecht gemachtem Pseudointernationalismus von EU-topia opfern wolle(n).“ (Ebd.)
Der „deutsche Steuerzahler“ stellt sich für die AfD aber vor allem als Vermögensbesitzer und Besserverdienender dar, denn diese Teile der Gesellschaft will die Fraktion schützen. Parteichef Chrupalla
sagt in der Debatte zu den Kosten der Krise schon mal klar, wen man auf keinen Fall belasten will: „Die Bürger haben ein Recht darauf; sie haben ein Recht darauf, zu erfahren, dass sie dieser
Shutdown jede Woche 42 Milliarden Euro kostet. Wir müssen ihnen auch sagen, dass dieses Geld nicht vom Himmel regnet. Denn nicht die Bundeskanzlerin, der Finanzminister oder der Arbeitsminister
zahlen am Ende die Rechnung – nein –; diese Rechnung müssen die Bürger bezahlen. Sie müssen all die Milliarden Euro, die jetzt zu Recht an Hilfen ausgegeben werden, mit ihrer tagtäglichen Arbeit
wieder erwirtschaften. Ich hoffe nicht, dass es auf Vermögensabgaben hinausläuft, wie die SPD schon vorgeschlagen hat. Die Ersparnisse der Mittelschicht werden Sie nicht mit den Stimmen der AfD
einziehen. Das wollen wir hier schon mal prophylaktisch festhalten.“ (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll der 156. Sitzung, S. 19324) Nach Vorstellungen der LINKEN würde eine solche
Abgabe bei Vermögen über eine Millionen Euro greifen, womit deutlich wird, welchen abgehobenen Begriff von „Mittelschichten“ Chrupalla und die AfD vertreten. Dazu passt, dass die AfD zusammen mit der
FDP für die Abschaffung des Soli für die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung eintritt, die diese Steuer bis heute noch zahlen. Reichenentlastung in Zeiten der Krise: die AfD weiß, für wen sie
Klassenpolitik betreibt.
Diese Form der Klassenpolitik bedeutet bei der AfD immer, nach unten zu treten. Martin Sichert nimmt einen harmlosen Antrag der Koalition zur Ausbildungsförderung, der u.a. auch Fördermöglichkeiten
für ausländische Auszubildende vorsieht, zum Anlass maßloser Tiraden: „Sie legen mitten in der Wirtschaftskrise ein Gesetz vor, mit dem Unmengen an Geld für Leute ausgegeben wird, die nicht in der
Lage oder nicht willens sind, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Ihr Gesetz ist ein gigantisches Beschäftigungsprogramm für Sozialpädagogen. (…) Sie schreiben: Junge Menschen sind
förderungsberechtigt, die ihren Wohnsitz und ihren gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb von Deutschland haben. Diese Förderung umfasst sozialpädagogische Betreuung, Maßnahmen zur Stabilisierung des
Berufsausbildungsverhältnisses, Angebote zum Abbau von Bildungs- und Sprachdefiziten. – Auf gut Deutsch: Für Ausländer, die eine miserable Bildung und kaum Deutschkenntnisse haben, im Leben nicht
zurechtkommen und mit der Arbeitsmentalität in Deutschland ein Problem haben, wollen Sie eine Menge Steuergeld ausgeben. Sie gehen sogar noch weiter: Jeder, der selbstverschuldet keine
Berufsausbildung aufnimmt oder in der Arbeitswelt keinen Fuß auf den Boden bekommt, soll künftig eine staatlich finanzierte Individualseelsorge durch einen Sozialpädagogen erhalten. Der fleißige
Arbeiter, Angestellte oder Selbstständige soll dafür bezahlen, dass andere selbstverschuldet den Hintern nicht hochbekommen.“ (Ebd., S. 19371 f.)
Hansjörg Müller zeigt in seiner Rede zum Thema Außenwirtschaft und Krise noch einmal deutlich, wohin die Reise mit der AfD gehen soll. Zunächst wird ein bisschen an der Verschwörungsschraube gedreht
– „Die Weltwirtschaft wird von Staaten und privaten Organisationen bedroht, die beide nach absoluter Marktmacht streben. Ein Beispiel für so einen Staat ist die Volksrepublik China, die
Technologiefirmen weltweit aufkauft, und ein Beispiel für eine solche private Organisation ist die Bill & Melinda Gates Stiftung, welche die Weltgesundheitsorganisation unterwandert hat, um die
Menschheit mit monopolisierten Zwangsimpfungen zu beglücken“ (Ebd., S. 19330) – um danach internationale Strukturen generell anzugreifen: „Und deswegen wäre es konsequent, diese EU endlich auf den
Müllhaufen der Wirtschaftsgeschichte zu werfen, um dann über eine erneuerte EWG, über eine erneuerte Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, wirtschaftssouverän zu handeln. Und Sie sind auf dem Weg zu
Wirtschaftssouveränität diesen Schritt noch nicht gegangen. Ich möchte noch eine Frage stellen: Warum richten sich denn die Investitionsprüfungen nur gegen EU-fremde Investoren? Meiner Meinung nach
ist es aus wirtschaftlicher Sicht völlig egal, ob es ein Investor aus Frankreich oder Italien ist, der sich eine deutsche Technologiefirma unter den Nagel reißen will, weil das für die Schwächung
unserer Wettbewerbsposition auf dem Weltmarkt genauso schädlich ist, wie wenn das Investoren aus China, den USA oder aus Timbuktu machen. (…) Die bisherige Globalisierung ist gescheitert. Es wächst
ein neues weltweites Wirtschaftssystem heran, das aus nationalen souveränen Wirtschaftsräumen besteht. Und weil Sie jetzt wissen, von was ich rede, sage ich es auch noch dazu: Germany first,
Deutschland zuerst. Unter dieser Prämisse überarbeiten Sie bitte Ihren Gesetzentwurf.“ (Ebd., S. 19331)
Dass der AfD neben der nationalistischen Nutzung der Pandemiekrise auch noch Zeit für die ganz alltägliche rassistische Hetze bleibt, macht abschließend Petr Bystron deutlich. Die neue
EU-Mittelmeer-Mission IRINI wird von Bystron abgelehnt, obwohl sie, ganz im Sinne der AfD, explizit keine Geflüchteten retten soll. Jedoch stehe das, wie bei der Vorgänger-Mission Sophia, zu
befürchten: „Dabei ist schon Sophia von der damaligen italienischen Regierung mithilfe unseres Freundes Matteo Salvini versenkt worden, da nachgewiesen wurde, dass mit den Schiffen nur Migranten aus
Afrika nach Europa geschmuggelt wurden. (…) Wir von der AfD haben das illegale Shutteln von Migranten aus Afrika nach Europa von Anfang an bekämpft. Wir von der AfD haben Strafanzeigen gegen alle
deutschen NGOs gestellt, die diesen Menschenschmuggel betreiben. Und wir haben zusammen mit unseren italienischen Freunden dafür gekämpft, dass die Boote von Menschenschmugglern beschlagnahmt wurden
und dass Leute wie Carola Rackete und Claus-Peter Reisch ins Gefängnis gewandert sind. (…) Wir lehnen die Mission logischerweise ab. Wir werden gegen diese Politik auch weiter ankämpfen. Wir werden
auch weiter Ihre Lügen aufdecken. Wir werden auch weiterhin mit unseren Freunden aus Österreich, Ungarn, Italien und Polen Widerstand gegen Ihre Open-Border-Policy aufrechterhalten. Spätestens dann,
wenn unser Freund Matteo Salvini in Italien wieder an der Regierung ist, werden wir die Mission wieder versenken.“ (Ebd., S. 19396 f.)
Das eigene Versagen China anlasten: Trump im Wahlkampfmodus
Da soll noch mal jemand sagen, der US-Präsident habe in der Coronakrise keine klare Strategie. Welche Ziele Donald Trump verfolgt,
ist selten deutlicher geworden als in der vergangenen Woche. Zum einen hat er einmal mehr verlangt, den Shutdown so schnell wie möglich zu beenden, weil die Schließung die US-Wirtschaft schädige. Um
seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, hat er – erst via Twitter, dann auf einer Pressekonferenz – die ultrarechten Demonstranten befeuert, die zuletzt, teils mit Sturmgewehren bewaffnet, in
mehreren US-Bundesstaaten auf die Straßen gingen, um die Einstellung des »Social distancing« und einen sofortigen Neustart der gewerblichen Aktivitäten zu erzwingen. Bislang spielen die Gouverneure
der Bundesstaaten, denen die Menschen weiterhin zu Tausenden wegsterben, bei der Aufhebung der Schutzmaßnahmen noch nicht so recht mit. Da muss dann halt Druck von der Straße her, um den Profit der
Millionärs- und Milliardärskameraden zu retten.
Und nicht nur das. Die Coronakrise wird die USA laut Schätzungen des IWF sogar dann, wenn sie rasch überwunden werden kann, dieses
Jahr mehr als fünf Prozent ihrer Wirtschaftsleistung kosten. Chinas Ökonomie dagegen, so sagt es der IWF voraus, wird weiter wachsen, zunächst zwar wohl recht schwach, aber immerhin. Das heißt: Der
Durchmarsch der Volksrepublik aus dem Keller an die Spitze der Weltwirtschaft, also letzten Endes auch der Weltpolitik, beschleunigt sich erneut. Bereits die globale Finanzkrise des Jahres 2008 hatte
China weniger hart als die westlichen Mächte getroffen; dieser Tatsache verdankt es Beijing, dass es kräftiger als andere in einige Hightechindustrien investieren konnte und heute etwa bei »5G« sowie
bei »künstlicher Intelligenz« an der Weltspitze steht. Noch ein solcher Schub, und die Volksrepublik hätte möglicherweise die stahlharte gläserne Decke endgültig durchbrochen, die bislang
Schwellenländer unsichtbar, aber zuverlässig vom Aufstieg zu globalen Mächten abhält.
Wo nun aber die wirtschaftliche Kraft nicht ausreicht, eigene Privilegien zu sichern, da hilft nur politische Gewalt. Entsprechend
beginnt die Trump-Administration – parallel zu Bemühungen, die Wirtschaft schneller hochzufahren, um den letzten ökonomischen Vorsprung gegenüber China zu bewahren – erste schwere Corona-Attacken auf
Beijing. Gerüchte werden gezielt verbreitet, das Virus könne einem Labor in Wuhan entsprungen sein – vielleicht gar einem Biowaffenlabor? –, die Volksrepublik könne eventuell sogar haftbar dafür
gemacht werden. Sollte Beijing »wissentlich verantwortlich« für die Verbreitung des Virus sein, »dann sollte es Konsequenzen geben«, äußerte Trump am Wochenende. Die Arbeit an der Legitimation
möglicher Aggressionen gegen China, welcher Art auch immer sie sein mögen, hat begonnen; es fehlt nur noch die Erklärung, westliche Geheimdienste hätten den entscheidenden Hinweis auf eine angebliche
Schuld der chinesischen Regierung gefunden: Es wäre der Startschuss für die nächste große Schlacht gegen Beijing.
Anmerkung: Das in Deutschland es erlaubt ist den Völkerhass zu hofieren, wie es z.B. die "Bildzeitung" praktiziert ist nicht nur ein Verstoß gegen das
Völkerrecht, Menschenrechte und das Grundgesetz sondern auch gegen das Gebot der neutralen Berichterstattung der Medien nach dem Rundfunkgesetz, geschweige von der Ehre des Berufsstandes eine seriöse
Berichterstattung täglich zu praktizieren. Selbst nach den christlichen Geboten verhält sich diese Arbeit der Redaktion nicht.
Das es trotzdem von staatlichen Organen, noch nicht einmal einen Ordnungsruf oä. kritische Kommentare gab, ist bezeichnend für dieses System in der BRD im
Kapitalismus, alles was auch nur ansatzbar gegen eine gesellschaftliche Alternative zum Kapitalismus möglich ist, wird gemacht- selbst wenn es weit unter der "Gürtellinie"
geschieht.
Der Slogan dieser Zeitung " Bild Dir Deine Meinung", ich habe es getan, indem ich über dieses Blatt und ihre Artikel aufklärend agiere.
Am Mittwoch schrieb die Sprecherin der Botschaft der VR China in der BRD, Tao Lili, einen Offenen Brief an die Chefredaktion der Bild:
Sehr geehrter Herr Reichelt, sehr geehrte Mitglieder der Bild-Chefredaktion, mit einigem Befremden habe ich heute (15. April, jW) Ihre Berichterstattung zur Coronapandemie im
Allgemeinen und zu der vermeintlichen Schuld Chinas daran im Besonderen verfolgt. Einmal abgesehen davon, dass wir es als ziemlich schlechten Stil betrachten, ein Land für eine Pandemie
verantwortlich zu machen, unter der die ganze Welt zu leiden hat und dann auch noch eine explizite Rechnung angeblicher chinesischer Schulden an Deutschland zu präsentieren, ignoriert der Artikel
einige wesentliche Fakten.
1. Sie schreiben, das Virus breitete sich aus, »auch, weil die chinesische Führung wichtige Informationen wochenlang unterdrückte..« Und: »China hat seine Informationspflichten gegenüber der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) verletzt«.
Dazu stellen wir fest: Bereits am 31.12.2019 haben die chinesischen Behörden die WHO über Fälle von Lungenentzündung unbekannter Ursache in Wuhan informiert. Ab dem 3. Januar 2020 informierte
China die WHO und andere Ländern wie die USA regelmäßig über den Verlauf. Zu dieser Zeit meldete Wuhan 44 Patienten mit der mysteriösen Krankheit. Am 8. Januar 2020 wurde der Krankheitserreger
SARS-CoV-2 erstmals identifiziert. Am 11. Januar stellte China vollständige Genomsequenzen des neuartigen Coronavirus öffentlich online und teilte die genetischen Daten mit der WHO. Am 20. Januar
bestätigte China aufgrund von fundierten epidemiologischen Untersuchungen die Übertragung des neuartigen Coronavirus von Mensch zu Mensch. Drei Tage danach wurde die Millionenmetropole Wuhan
abgeriegelt und noch nie dagewesene umfassende, gründliche und rigorose Quarantänemaßnahmen wurden landesweit ergriffen. Die WHO bestätigt exakt diese Timeline und sie ist hier nachzulesen:
https://www.who.int/news-room/detail/08-04-2020-who-timeline---covid-19. Am 11. März schließlich erklärte die WHO die durch das Covid-19-Virus verursachte Krankheit zur Pandemie.
2. Sie schreiben: »Die britische Denkfabrik Henry-Jackson-Society kommt in einer aktuellen Studie zum Schluss: China ist rechtlich verantwortlich für die wirtschaftlichen Folgen.«
Dazu stellen wir fest: Viele Länder, die jetzt mit Covid-19 zu kämpfen haben, hatten Zeit, sich auf die grenzüberschreitende Ausbreitung des Erregers vorzubereiten, nachdem China seinen Ausbruch
im Rahmen der IHR-Richtlinien (IHR: engl. Abkürzung für Internationale Gesundheitsvorschriften der WHO, sie sind völkerrechtlich bindend, jW) gemeldet hatte. Bei den Behauptungen von einigen
wenigen Politikern bzw. Experten oder Medienvertretern, dass China nach internationalem Recht rechtswidrig gehandelt habe und nun verpflichtet sei, ausländische Regierungen zu entschädigen, geht es
nicht wirklich um internationales Recht, um Völkerrecht. Es geht ihnen um gegenseitige Schuldzuweisungen, um von eigenen Versäumnissen und Schwächen abzulenken.
Erlauben Sie mir zum Schluss noch eine persönliche Bemerkung: Wir betrachten den Stil, in dem Sie in Ihrer heutigen Berichterstattung auf der Seite 2 gegen China »zu Felde ziehen«, als infam. Ihr
Bericht entbehrt nicht nur ganz wesentlicher Fakten und genauer Zeitabläufe, sondern auch eines Mindestmaßes an journalistischer Sorgfaltspflicht und Fairness. Wer so aufrechnet, wie Sie das mit der
Bild-Zeitung von heute tun, schürt Nationalismus, Vorurteile sowie Fremden- und Chinafeindlichkeit. Es wird weder der traditionellen Freundschaft zwischen beiden Völkern noch einem seriösen
Verständnis von Journalismus gerecht. Ich frage mich gerade vor diesem Hintergrund, woher in Ihrer Redaktion die Abneigung gegen unser Volk und unseren Staat kommt? Für eine Krise dieses Ausmaßes
gibt es kein Drehbuch. Auch Deutschland muss seinen seinerzeit durchdachten Notfallsplan nach dem deutschen Infektionsschutzgesetz überarbeiten. Dass wir zusammen aus der Pandemie-Krise lernen und
kooperieren, ist gefordert mehr denn je. Inzwischen bescheinigen uns auch namhafte internationale Wissenschaftler, dass China durch sein schnelles und entschiedenes Handeln einen wichtigen Beitrag
zur Eindämmung dieser Pandemie geleistet hat und zumindest einen Monat Zeit für den Rest der Welt gewonnen. Davon lesen wir in Ihrem Beitrag leider gar nichts.
Mit freundlichen Grüßen, Tao Lili (Sprecherin der chinesischen Botschaft in Deutschland)
Beitrag von Torsten Andreas S. aus B.(17. April 2020 um 01:44 Uhr)
Liebe Frau Tao Lili,
ärgerlicherweise mangelt es im Außenministerium der BRD an Personen, die weitblickend denken. Doch wir können darauf hoffen, dass in Kürze besser sortierte Personen Einzug halten und geistreicher
auftreten. Andernfalls läuft die Beziehung, die wir entwickeln wollen, eher kompliziert. Das wäre nicht in unserem Interesse.
Ich gehe davon aus, dass in Kürze eine bedeutende Trasse aus Asien bis nach Berlin entstehen wird. Wir hoffen darauf! Denn diese neue Verbindung sorgt für einen Aufschwung, auf den wir seit
Jahrzehnten hoffen. Und der hier dringend vonnöten ist.
Herzlich willkommen und vielen Dank!
Beitrag von Klaus L. aus H.(17. April 2020 um 08:20 Uhr)
Sehr geehrte Frau Tao Lili,
vielen Dank für Ihre Ausführungen. Allerdings werden Sie bei BILD damit nichts bewirken. BILD ist keine Zeitung sondern primär ein Kampfblatt aus einer der unteren Schubladen. Das ist von den
Eigentümern so gewollt und in einer westlichen Demokratie offenbar nicht anstößig. Die Zeit wird auch über dieses Blatt hinweggehen.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Landahl
Beitrag von Jörg E. aus S.(17. April 2020 um 15:54 Uhr)
Das Gute an dem Brief ist, dass es ein Offener Brief ist. Die BILD wird es nicht jucken. Wieviele Medien werden ihn wohl abdrucken?
Beitrag von Rudi E. aus L.(17. April 2020 um 17:22 Uhr)
Sehr geehrte Frau Tao Lilli,
Ihr offener Brief an die Redaktion der BILD-Zeitung spricht mir aus dem Herzen. Ob die Redakteure allerdings eine Richtigstellung in ihrer Zeitung bringen wird, bezweifle ich - entspräche allerdings
auch nicht ihrer Tradition - zumal sich dieses üble und primitive Schmieren- und Hetzblatz für eine ganz besondere, intellektuell nicht gerade anspruchsvolle Leserklientel dadurch auszeichnet,
rassistisch, volksverhetzend unausgewogen und verlogen zu berichten.
Der Tenor der Berichterstattung dieses Blattes ist schon immer provokant, primitiv und unverschämt gewesen. Fakten werden umgedeutet, geleugnet und führen - wie in dem von Ihnen kritisierten Fall -
zu Fake News.
Sie, liebe Frau Tao Lilli, haben richtig gehandelt. Meiner Ansicht nach aber hätte Ihr offener Brief entweder zur Information auch an andere Zeitungen geschickt werden sollen, vielleicht aber auch
als Anzeige in einer großen Tageszeitung mit Niveau veröffentlicht werden müssen.
ritik an China
Wenn Medien die Rhetorik des Hasses pflegen
vonThomas
Kaspar
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An China gibt es sehr viel mit guten Gründen zu kritisieren. Aber dass ein deutsches Boulevardblatt mit unhaltbaren Spekulationen hantiert, schürt nur den Hass. Ein Kommentar.
Es ist ein schmutziges Spiel, in dem Demagogen unsere Angst manipulieren. Der
französische Präsident Macron wählte als Erster martialische Worte, als er davon sprach, dass wir gegen Corona „im Krieg“ seien – der Kampf gegen den Feind war als Bild geboren.
Bei Macron war der Gegner noch eine unsichtbare Krankheit. Das änderte
US-Präsident Trump, indem er in seinem Redemanuskript das Wort
„Corona“ durchstrich und durch
„China-Virus“ ersetzte. Trump musste seine Fake-Behauptung längst zurücknehmen. In vielen Anspielungen nährt er bis heute den Hass gegen China.
Fake News und Hetze bringen Bekämpfung der Pandemie nicht weiter
Auf dieser schäbigen Klaviatur spielen auch einzelne Medien, darunter ein
deutsches Boulevardblatt. Vorne stehen Tipps, wie der Sommerurlaub gerettet wird, hinten wird in unhaltbaren Spekulationen benannt, wer schuld an allem sei: die Chinesen.
Datenschutz, Menschenrechte und Übergriffe gegen Afrikaner –
China bietet ausreichend Angriffsfläche für berechtigte Kritik. Doch
Fake News und Hetze bringen die Bekämpfung der
Pandemie nicht weiter. Sie schüren nur Hass, den Menschen mit asiatischem Aussehen derzeit erleben.
Offener Brief der Sprecherin der
chinesischen Botschaft in Deutschland an die BILD-Chefredaktion bezüglich der Berichterstattung vom 15. April 2020
2020/04/15
Sehr geehrter Herr Reichelt, sehr geehrte Mitglieder der BILD-Chefredaktion,
Mit einigem Befremden habe ich heute Ihre Berichterstattung zur Corona-Pandemie im Allgemeinen und zu der vermeintlichen Schuld Chinas
daran im Besonderen verfolgt. Einmal abgesehen davon, dass wir es als ziemlich schlechten Stil betrachten, ein Land für eine Pandemie verantwortlich zu machen, unter der die ganze Welt zu leiden hat
und dann auch noch eine explizite Rechnung angeblicher chinesischer Schulden an Deutschland zu präsentieren, ignoriert der Artikel einige wesentliche Fakten.
1. Sie schreiben, das Virus breitete sich aus, „auch, weil die chinesische Führung wichtige Informationen wochenlang unterdrückte." Und:
„China hat seine Informationspflichten gegenüber der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verletzt."
Dazu stellen wir fest: Breits am 31.12.2019 haben die chinesischen Behörden die WHO über Fälle von Lungenentzündung unbekannter Ursache in
Wuhan informiert. Ab dem 3. Januar 2020 informierte China die WHO und andere Ländern wie die USA regelmäßig über den Verlauf. Zu dieser Zeit meldete Wuhan 44 Patienten mit der mysteriösen Krankheit.
Am 8. Januar 2020 wurde der Krankheitserreger SARS-CoV-2 erstmals identifiziert. Am 11. Januar stellte China vollständige Genomsequenzen des neuartigen Coronavirus öffentlich online und teilte die
genetischen Daten mit der WHO. Am 20. Januar bestätigte China aufgrund von fundierten epidemiologischen Untersuchungen die Übertragung des neuartigen Coronavirus von Mensch zu Mensch. Drei Tage
danach wurde die Millionenmetropole Wuhan abgeriegelt und noch nie dagewesene umfassende, gründliche und rigorose Quarantänemaßnahmen wurden landesweit ergriffen. Die WHO bestätigt exakt diese
Timeline und sie ist hier nachzulesen: https://www.who.int/news-room/detail/08-04-2020-who-timeline---covid-19. Am 11. März schließlich erklärte die WHO die durch das Covid-19-Virus verursachte
Krankheit zur Pandemie.
2. Sie schreiben: „Die britische Denkfabrik Henry-Jackson-Society kommt in einer aktuellen Studie zum Schluss: China ist RECHTLICH
VERANTWORTLICH für die wirtschaftlichen Folgen."
Dazu stellen wir fest: Viele Länder, die jetzt mit COVID-19 zu kämpfen haben, hatten Zeit, sich auf die grenzüberschreitende Ausbreitung
des Erregers vorzubereiten, nachdem China seinen Ausbruch im Rahmen der IHR-Richtlinien gemeldet hatte. Bei den Behauptungen von einigen wenigen Politikern bzw. Experten oder Medienvertretern, dass
China nach internationalem Recht rechtswidrig gehandelt habe und nun verpflichtet sei, ausländische Regierungen zu entschädigen, geht es nicht wirklich um internationales Recht, um Völkerrecht. Es
geht ihnen um gegenseitige Schuldzuweisungen, um von eigenen Versäumnissen und Schwächen abzulenken.
Erlauben Sie mir zum Schluss noch eine persönliche Bemerkung: Wir betrachten den Stil, in dem Sie in Ihrer heutigen Berichterstattung auf
der Seite 2 gegen China „zu Felde ziehen", als infam. Ihr Bericht entbehrt nicht nur ganz wesentlicher Fakten und genauer Zeitabläufe sondern auch einem Mindestmaß an journalistischer
Sorgfaltspflicht und Fairness. Wer so aufrechnet, wie Sie das mit der BILD-Zeitung von heute tun, schürt Nationalismus, Vorurteile sowie Fremden- und Chinafeindlichkeit. Es wird weder der
traditionellen Freundschaft zwischen beiden Völkern noch einem seriösen Verständnis von Journalismus gerecht.
Ich frage mich gerade vor diesem Hintergrund, woher in Ihrer Redaktion die Abneigung gegen unser Volk und unseren Staat kommt? Für eine
Krise dieses Ausmaßes gibt es kein Drehbuch. Auch Deutschland muss seinen seinerzeit durchdachten Notfallsplan nach dem deutschen Infektionsschutzgesetz überarbeiten. Dass wir zusammen aus der
Pandemie-Krise lernen und kooperieren, ist gefordert mehr denn je. Inzwischen bescheinigen uns auch namhafte internationale Wissenschaftler, dass China durch sein schnelles und entschiedenes Handeln
einen wichtigen Beitrag zur Eindämmung dieser Pandemie geleistet hat und zumindest einen Monat Zeit für den Rest der Welt gewonnen. Davon lesen wir in Ihrem Beitrag leider gar nichts.
Mit freundlichen Grüßen,
Tao Lili
Sprecherin der chinesischen Botschaft in Deutschland
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Folge uns auf
Die Anwältin Beate Bahner
ist vor dem Bundesverfassungsgericht mit ihrem Versuch gescheitert, gegen die staatlichen Corona-Verordnungen vorzugehen, durch die sie die Grundrechte verletzt sieht. Nach der Entscheidung des
Gerichts gab Bahner ihre Anwaltszulassung zurück.
Die Heidelberger Rechtsanwältin
Beate Bahner ist vor dem Bundesverfassungsgericht mit ihrem Versuch gescheitert, die Corona-Verordnungen der Bundesländer per einstweiliger Verfügung außer Kraft setzen zu lassen. Einen
entsprechenden Antrag Bahners wies das Gericht am Freitagnachmittag ab.
Bahner hatte argumentiert, dass
die Verordnungen Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdeten, und schrieb in ihrem Eilantrag von einem "Angriff auf den Bestand der Bundesrepublik
Deutschland". Fast alle Grund- und Freiheitsrechte würden verletzt. Sie forderte das Gericht auch auf, die für Ostersamstag angekündigte Demonstration "Coronoia 2020. Nie wieder mit uns. Wir stehen
heute auf" für zulässig zu erklären.
Das Gericht wies den Antrag Bahners ab, unter anderem mit Hinweis auf den
Grundsatz der Subsidiarität. Die Richter unter Vorsitz des BVG-Vizepräsidenten Stephan Harbarth, der bis 2018 CDU-Bundestagsabgeordneter war, listeten in ihrer Entscheidung zahlreiche Mängel auf, die
sie in dem Antrag Bahners sahen. In der Vergangenheit war die Anwältin mit mehreren Verfassungsbeschwerden vor dem BVG erfolgreich gewesen.
Bahner war nach der Ankündigung
ihrer Verfassungsbeschwerde selbst in das Visier der Behörden geraten. In einer Erklärung der Heidelberger Staatsanwaltschaft vom Mittwoch hieß es:
Wegen des Verdachts, öffentlich
zu einer rechtswidrigen Tat aufgerufen zu haben, ermitteln die Staatsanwaltschaft Heidelberg und das Dezernat Staatsschutz der Kriminalpolizeidirektion Heidelberg gegen eine Heidelberger
Rechtsanwältin. Sie soll über ihre Homepage öffentlich zum Widerstand gegen die staatlich erlassenen Corona-Verordnungen aufgerufen haben. Darüber hinaus soll sie dazu aufgerufen haben, sich am
Ostersamstag bundesweit zu einer Demonstration zu versammeln.
Die Teilnahme an öffentlichen
Versammlung könne zu Zeiten der COVID-19-Pandemie einen Straftatbestand erfüllen. Die Anwältin erhielt in ihrer Kanzlei "Besuch" von der Polizei. Auch ihre Internetseite wurde vorübergehend
gesperrt.
Auf die Entscheidung des
Verfassungsgerichts reagierte Bahner empört – mit der Rückgabe ihrer Anwaltszulassung. Auf ihrer Seite findet sich diese emotionale Erklärung (Rechtschreibung wie im Original; Anm. d. Red.):
Sehr gerne habe ich Sie über 25
Jahre als Anwältin begleitet und mich für Ihr gutes Recht eingesetzt. Mit der Entscheidung des BVerfG vom Karfreitag, 10. April 2020 habe ich meine Anwaltszulassung zurückgegeben.
Es ist mir leider nicht gelungen, den Rechtsstaat und die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Deutschland, insbesondere unsere verfassungsrechtlich verankerten Grundrechte und die
unverbrüchlichen Menschenrechte vor dem schlimmsten weltweiten Angriff und der blitzschnellen Etablierung der menschenverachtensten Tyrannei zu retten, die die Welt jemals gesehen hat.
Damit ist heute unser Rechtsstaat gestorben, den wir noch letztes Jahr mit dem 70-jährigen Bestehen unseres Grundgesetzes so stolz gefeiert haben.
Unser Rechtsstaat lag schon seit zwei Wochen sterbend auf der Intensivstation und konnte von mir leider nicht wiederbeatmet werden. Es fehlten 83 Millionen Beatmungsgeräte.
In dieser Diktatur kann auch ich leider nichts mehr für Sie tun.
Ergänzung vom 12.04.2020,
10:00: Am Abend des Ostersamstags gab Beate Bahner bekannt, ihre Lizenz doch nicht zurückzugeben. Auf ihrer Webseite veröffentlichte sie außerdem eine "Corona-Auferstehungs-Verordnung", in der sie
unter Berufung auf das Grundgesetz "verfügte", öffentliche Einrichtungen wieder in Betrieb zu nehmen.
Mehr Waffen in Krisengebiete geliefert, Demo von Kriegsgegnern verboten
Für die deutschen Rüstungsexporteure war 2019 mit genehmigten Lieferungen im Umfang von mehr als acht Milliarden Euro ein
Rekordjahr. Darüber hinaus hat die Bundesregierung in den ersten drei Monaten dieses Jahres etwas mehr Rüstungsexporte genehmigt als im Vorjahreszeitraum. Der Wert der erlaubten Lieferungen lag von
Januar bis März bei 1,16 Milliarden Euro und damit um 45 Millionen Euro höher als im ersten Quartal 2019. Das geht aus einer Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine Anfrage der
Linke-Politikerin Sevim Dagdelen hervor, wie die Deutsche Presseagentur am Freitag berichtete.
Deutlich gestiegen ist der Anteil der besonders heiklen Exporte in sogenannte Drittstaaten, die nicht der EU oder der NATO
angehören oder diesen Ländern gleichgestellt sind – wie etwa Australien. Er lag im ersten Quartal 2020 bei 53 Prozent, im Vorjahreszeitraum waren es 35 Prozent. Das Wirtschaftsministerium erklärt den
Anstieg in seiner Antwort mit einzelnen großvolumigen »Genehmigungen im maritimen Bereich«. Damit dürften vor allem U-Boot-Lieferungen an Ägypten gemeint sein. Das nordafrikanische Land war im ersten
Quartal mit einem Auftragsvolumen von 290,6 Millionen Euro die Nummer eins unter den Empfängern deutscher Waffen und Ausrüstung.
Ägypten ist allerdings Teil der von Saudi-Arabien geführten Allianz, die seit fünf Jahren im Jemen gegen die Huthi-Rebellen kämpft.
Gegen Saudi-Arabien selbst hat die Bundesregierung unter anderem wegen dieses Krieges einen Rüstungsexportstopp verhängt.
In der vergangenen Woche gab sie bekannt, dass für Ägypten die Lieferung des dritten von insgesamt vier U-Booten genehmigt ist. Am
Donnerstag wurde die 62 Meter lange »S 43« mit ihren acht Torpedorohren von Thyssen-Krupp Marine Systems in Kiel übergeben.
Derweil ist eine für Ostermontag in Frankfurt am Main geplante Motorraddemo von Kriegs- und Rüstungsexportgegnern aufgrund einer
Verbotsverfügung im Zuge der Coronakrise abgesagt worden. Dies teilten die hessische Linksfraktion und das Ostermarschbüro am Donnerstag mit. Die Anmelder sprachen von einem »fragwürdigen
Rechtsverständnis«, das sie möglicherweise im nachhinein juristisch überprüfen lassen würden. Ein Eilverfahren über die Osterfeiertage werde nicht angestrebt. (dpa/jW)
Liebe Antifaschistinnen, liebe Antifaschisten und Freunde der Internationalen Brigaden !
Wir gedenken heute der Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee und hoffen, dass es viele im Land der Täter erreicht, zumindest zum nachdenken veranlasst. Der faschistische Mob treibt schon
wieder sein Unwesen auf den Straßen und Parlamenten. Treiben wir wieder auf ein 1933 zu ?
Hamburg gedenkt auch und ...vergißt seine Partnerstadt, St. Petersburg, vormals Leningrad.
Am 27.Januar 1944 wurde die Leningradblockade durchbrochen. Diese Blockade durch die faschistische Bestie
hat fast 700.000 Einwohnern Leningrads das Leben gekostet. Diese Stadt und die "slawischen Untermenschen" im Jargon der Faschisten so genannt, sollte ausgelöscht und ihre Einwohner "vernichtet"
werden.
Stadt Hamburg, schäme dich, dass du deiner Partnerstadt nicht gedenkst.
Auch nicht den wahren Helden unser Stadt Hamburgs gedenkts, wie Erich "Vatti" Hoffmann, der in Auschwitz 158 jüdische Kinder vor der Ermordung rettete.
Ja, diese Stadt hat viele dunkle Seiten. Es ist auch eine Stadt in der viele Massenmörder nach 1945 frei herumliefen und später als "honorige" Bürger dieses BRD Nachkriegsdeutschland prägten.
Und nun stehen zum Tag der Befreiung im Mai schon wieder 2 Divisonen "zur Übung" kurz vor St. Petersburg...
Insolventes Klinikum Peine als Lackmustest: ver.di fordert
wieder mehr Verantwortung für öffentliche Hand – Kein vollausgestattetes Krankenhaus sterben lassen!
Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) hat ihre
Erwartung erneuert, dass mit dem Klinikum Peine mitten in der Corona-Krise kein vollausgestattetes Krankenhaus verloren geht. Landesleiter Detlef Ahting appellierte nach zahlreichen Gesprächen mit
politisch Verantwortlichen in Peine, dem Landkreis und in Berlin „eine Chance auch für die Zeit nach Corona nicht leichtfertig liegen zu lassen“. Ahting forderte nach der Pandemie eine ergebnisoffene
Revision des Deutschen Gesundheitssystems ein. In Peine jedenfalls habe man jetzt die Chance zur Gestaltung und sollte vermeiden, fahrlässig falsche Tatsachen zu schaffen.
Der Vorteil von kommunalen Krankenhäusern gegenüber privaten
Anbietern liege auf der Hand. Sie seien vor allem dem Wohl der Patient*innen verpflichtet – „und nicht in erster Linie ihren Aktionären und deren Rendite-Erwartungen.“ Dass zeige auch die Historie in
Peine und der gesamten Region.
„Meine Lehre aus Corona ist, dass die öffentliche Hand wieder viel
mehr Verantwortung für das Gesundheitssystem übernehmen muss“, so der Landesleiter, „der Markt regelt es eben nicht!“ Was ver.di jahrelang gefordert habe, zeige sich jetzt nachdrücklich. Ahting
begrüßte die Überlegungen im Landkreis, das ins Insolvenzverfahren gerutschte Klinikum zurück in die kommunale Familie zu holen.
In Peine jedenfalls gebe es eine hervorragende Chance, ein
rekommunalisiertes Krankenhaus in Kooperation mit dem anderen Häusern gut aufzustellen. Ziel könne eine regional-flächendeckende Grundversorgung mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen sein.
Ahting begrüßte, dass es schon seit einiger Zeit Überlegungen der weiteren kommunalen Krankenhäuser der Region (Braunschweig, Wolfsburg und Wolfenbüttel) gebe, diese gelte es mit Energie und Willen
für eine regional-kommunale Lösung voranzubringen.
Broschüre zu den Grundlagen der Misere der
Wohnungspolitik in der BRD
Von Dirk
Manten
Annette
Riedl/dpa
Demonstration am
Berliner Alexanderplatz gegen »Mietenwahnsinn« (3.10.2019)
Thomas Eberhardt-Köster, Wolfgang Pohl,
Mike Nagler (u. a.): Wohnen ist ein Menschenrecht. Fortschrittliche Wohnungspolitik und was Kommunen dazu beitragen könnten. VSA, Hamburg 2018, 96 Seiten, 7 Euro
Bereits im Titel des von Thomas Eberhardt-Köster,
Wolfgang Pohl, Mike Nagler und einigen weiteren Autoren verfassten schmalen Bändchens wird die Intention einer grundsätzlichen Betrachtung der zu behandelnden Thematik deutlich: »Wohnen ist ein
Menschenrecht«. Das in Artikel 25 der »Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte« normierte Recht wird, so die Autoren, »in Deutschland zunehmend in Frage gestellt«. Sie verweisen in dem Zusammenhang
auf die 2017 prognostizierte Zahl von 1,2 Millionen Wohnungslosen in der Bundesrepublik, die die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe für das Jahr 2018 geschätzt hatte. 2008 lag diese »Zahl
bei wenig über 200.000«.
Als wesentlichen Grund für diese Misere geben der Betriebswirt und
Politikwissenschaftler Eberhardt-Köster, der Referent der Böll-Stiftung Pohl sowie der Architekt Nagler die Abschaffung der Gemeinnützigkeit von Wohnungsbaugesellschaften durch die Regierung Kohl im
Jahr 1988 an. Die Auflagen der Gemeinnützigkeit hatten bis zum Ende der 1980er Jahre als Sperriegel gegen die »Vermarktlichung« gewirkt, die dreißig Jahre später den gesamten Immobiliensektor erfasst
hat. So aber konnten zum Beispiel in der Zeit von 1995 bis 2010 in Deutschland über eine Million öffentliche Wohnungen privatisiert werden: »Hätte es die Auflagen der Gemeinnützigkeit noch gegeben«,
so die Autoren, »wäre dies nicht möglich gewesen«. Auch das strikt auf Gewinnmaximierung – und das heißt im Klartext: ständige, an die Grenzen der Leistbarkeit und darüber hinaus gehende
Mieterhöhungen – ausgerichtete Geschäftsgebaren von Immobilienriesen wie Deutsche Wohnen und Vonovia wäre Hunderttausenden Mietern erspart geblieben, bekamen die Konzerne doch erst im Gefolge dieser
Politik »Zugriff auf erhebliche Teile des Mietwohnungsbestandes«.
Vor diesem Hintergrund fordern die Autoren einen Paradigmenwechsel in der
Wohnungspolitik. Es sei eine öffentliche Aufgabe, »eine angemessene Wohnungsversorgung im Interesse des Gemeinwohls gegen wirtschaftliche Einzelinteressen durchzusetzen«. Darum sei ein weitreichendes
Programm »zur Rekommunalisierung von Wohnungen und die Stärkung kommunaler Wohnungsgesellschaften notwendig«.
Dementsprechend schlagen die Autoren auch die Wiedereinführung der Wohngemeinnützigkeit
durch den Bundesgesetzgeber vor. Dies würde zu einer steuerlichen Entlastung kommunaler Bauträger führen, die gemeinwohlorientiert Wohnraum schaffen, der auch für Geringverdiener erschwinglich
wäre.
Neben dem Bund weisen die Autoren den Kommunen die größte Verantwortung zu: Diese
könnten unter anderem darüber entscheiden, ob sie »für ein neu zu bebauendes Gebiet auch einen Mindestanteil von preisgedämpften Mietwohnungen festlegen«. Dieses Instrument allerdings nutzen die
Städte und Gemeinden »bisher viel zu zaghaft«.
Neue Struktur der EU-Beiträge:
Bundesregierung will auch künftig weniger zahlen
Von Jörg
Kronauer
Kay
Nietfeld/dpa
»Deutschland wird übermäßig stark
belastet«, erklärte Kanzlerin Angela Merkel am Donnerstag im Bundestag
Den »Britenrabatt« kennt man – die Senkung der britischen Beitragszahlungen
in den EU-Haushalt, die Premierministerin Margaret Thatcher im Jahr 1984 durchgesetzt hatte. Sie verwies damals darauf, dass ein Großteil der EU-Mittel in die Landwirtschaft geflossen sei und das
Vereinigte Königreich einen vergleichsweise kleinen Agrarsektor habe, also nur wenig von den so begehrten Zuschüssen der Wirtschaftsgemeinschaft profitierte. Weniger bekannt ist hierzulande aber ein
anderer Rabatt, einer, den man entsprechend als »Deutschenrabatt« bezeichnen müsste. Die Bundesrepublik sowie vier weitere wohlhabende EU-Länder – die Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden –
überweisen einen geringeren Anteil an ihrer Wirtschaftsleistung nach Brüssel als alle anderen Mitgliedsstaaten. Die Begründung lautet: Wer »eine zu große Haushaltslast trägt, kann in den Genuss einer
Korrekturmaßnahme gelangen« – so formulierte es das Bundesfinanzministerium in einer Publikation im vergangenen Jahr. Selbstverständlich zahlt Berlin aus deutscher Sicht viel zuviel. Die EU gewährt
ihrem reichsten Mitglied also wohl oder übel eine »Korrektur« – eine Ermäßigung.
Der »Deutschenrabatt« wird in jüngster Zeit in Brüssel zunehmend in Frage
gestellt. Auslöser dafür ist gewesen, dass die EU-Beitragszahlungen nach dem Austritt Großbritanniens komplett neu strukturiert werden müssen. Großbritannien war bis zuletzt drittgrößter Nettozahler
in der EU. Noch im vergangenen Jahr überwies London rund 4,2 Milliarden Euro mehr in die Unionstöpfe, als es aus ihnen erhielt. Diese Lücke muss nach dem Brexit zwangsläufig gefüllt werden. Die Sache
wird nicht gerade einfacher dadurch, dass die EU-Kommission den nächsten EU-Haushalt – er erstreckt sich auf die Jahre von 2021 bis 2027 – auf 1,114 Prozent der Wirtschaftsleistung der »EU-27«
erhöhen will, um die ehrgeizigen Pläne des europäischen Staatenkartells zu realisieren; das wären dann 1,279 Billionen Euro. Rabatte passen zu diesem Vorhaben nicht, auch nicht derjenige für die
Bundesrepublik. Seit Haushaltskommissar Günther Oettinger dies öffentlich bekräftigt hat, bekommt er Gegenwind aus Berlin. »Deutschland wird übermäßig stark belastet«, erklärte Kanzlerin Angela
Merkel am Donnerstag im Bundestag. Das hat sie nun auch auf dem EU-Gipfel in Brüssel bekräftigt, der über den künftigen EU-Haushalt beraten hat. Sie fordert auch in Zukunft einen Rabatt für die
Bundesrepublik; zudem soll der Etat ein Prozent der EU-Wirtschaftsleistung nicht übersteigen.
Im Bemühen, Argumenten für einen neuen »Deutschenrabatt« zum Durchbruch zu
verhelfen, hat das Bundesfinanzministerium kurz vor dem EU-Gipfel Berechnungen durchgestochen, laut denen der deutsche Nettobeitrag zum EU-Haushalt von rund 13,5 Milliarden Euro im vergangenen Jahr
auf bis zu 30 Milliarden Euro im Jahr 2027 steigen soll. Wird Deutschland wirklich abgezockt? Nun, die Bundesrepublik ist, das hat im Mai eine Studie der neoliberalen Bertelsmann-Stiftung bestätigt,
trotz allem Hauptprofiteur der EU und ihres Binnenmarkts. Die Untersuchung kam zu dem Ergebnis, das Land verdanke dem Binnenmarkt jährliche Einkommenszuwächse in Höhe von 86 Milliarden Euro – mehr
übrigens als jeder andere Mitgliedsstaat der Union. Auch bei den Pro-Kopf-Werten liegt die Bundesrepublik weit vorn: Gewinnt etwa Griechenland durch den EU-Binnenmarkt 401 Euro pro Kopf der
Bevölkerung im Jahr, Polen 382 Euro und Bulgarien 193 Euro, so profitiert Deutschland mit 1.046 Euro pro Kopf der Bevölkerung jährlich. Selbst wenn Berlin im Jahr 2027 wirklich 30 Milliarden Euro pro
Jahr netto in die Brüsseler Kassen einzahlen müsste, wäre der Nettogewinn, den der angebliche Nettozahler Deutschland aus der EU zieht, immer noch enorm.
Kontroverse Debatten auf Konferenz zur Einkommens- und
Vermögensverteilung von Böckler-Stiftung und DGB
Von Steffen
Stierle
Michaela
Rehle/REUTERS
Bauarbeiten in
Rottweil (25. September 2017)
Die verteilungspolitischen Herausforderungen in der BRD sind groß. Armut und Reichtum
nehmen zu, die Mitte bröckelt. Wie der »Verteilungsbericht 2019« des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zeigt, befindet sich die
Ungleichheit auf Rekordniveau. Woher kommt das? Wie reagiert man? Über diese Fragen wurde am Donnerstag auf einer »Verteilungskonferenz« diskutiert, die das WSI gemeinsam mit dem DGB organisiert
hatte. Im Vorfeld hatten die Veranstalter kritisiert, die zunehmende Ungleichheit verbaue Lebenschancen, bremse die Wirtschaft und führe zum Erstarken nationalistischer Kräfte. Verantwortlich sei die
Politik, denn die Spaltung der Gesellschaft sei »kein Naturgesetz«, sondern Folge konkreter Entscheidungen.
Auf der Konferenz selbst wurde die kritische Bewertung der aktuellen
Wohlstandsverteilung nicht von allen geteilt, wie sich beim Streitgespräch zwischen dem Chef des unternehmernahen Institutes der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, und dem Würzburger Ökonomen
Peter Bofinger zeigte. Hüther machte deutlich, er sähe im internationalen Vergleich kein Verteilungsproblem. Zwar sei die Ungleichheit in der Einkommensverteilung, gemessen mit dem sogenannten
Gini-Index, Anfang der 2000er Jahre gestiegen, habe sich aber ab 2005 auf akzeptablem Niveau stabilisiert. Bofinger hielt dagegen, dass es in Deutschland 2005 offiziell fünf Millionen Arbeitslose
gegeben habe. Heute seien es nur noch 2,5 Millionen, die Ungleichheit sei trotzdem nicht zurückgegangen.
Weiter argumentierte das frühere Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die Einkommensentwicklung sei über einen langen Zeitraum hinter dem Produktivitätszuwachs zurückgeblieben. Entsprechend sei der Anteil der Haushaltseinkommen an
der Wirtschaftsleistung immer weiter geschrumpft. Dies berücksichtige der Gini-Index nicht, da dieser nur eine Aussage über die Verteilung der Einkommen macht, nicht aber über den Anteil der
Einkommen an der Wirtschaftsleistung. Immer mehr Menschen fühlten sich wegen geringer Teilhabemöglichkeiten ausgeschlossen, was auch zur Wahl »populistischer Parteien« führe. Hüther hielt dem
entgegen, die Lohnquote habe nach einem Tief wieder das Niveau von 1991 erreicht – und die AfD werde auch in wohlhabenden Gegenden gewählt.
Einig waren sich die Ökonomen in ihrer Kritik an der »schwarzen Null«. Hüther forderte
einen »Deutschlandfonds« mit einem Volumen von 450 Milliarden Euro, die über einen Zeitraum von zehn Jahren investiert werden sollen. Bofinger argumentierte, der Fonds müsste so ausgestaltet werden,
dass er Ungleichheiten abbaut, beispielsweise durch die Einbindung des sozialen Wohnungsbaus. Darüber hinaus müsse die Nachfrage gestärkt werden: durch einen höheren Mindestlohn und die Erklärung der
»Allgemeinverbindlichkeit« aller Tarifverträge.
Nach dem Streitgespräch ging es in Workshops um Steuerpolitik und den Wohnungsmarkt,
bevor am Nachmittag Spitzenpolitiker von CDU, SPD, FDP, Linken und Grünen über geeignete Maßnahmen gegen die »soziale Schieflage« diskutierten. Nicht alle teilten die Einschätzung, dass es eine
solche gibt. »Wir leben in einem tollen Land«, stellte etwa SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil die Berechtigung der Unzufriedenheit vieler Menschen infrage. FDP-Chef Christian Lindner betonte, er
sehe eine Schieflage – und geißelte die zu hohe Zahl von Menschen ohne Schulabschluss sowie die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank. Dennoch sei Deutschland im internationalen Vergleich
ein »egalitäres Land«.
Katja Kipping (Die Linke) widersprach Klingbeil und Lindner, indem sie betonte, es gebe
viel begründete Kritik an bestehenden Ungerechtigkeiten. Als Beispiel führte sie an, dass die Zahl der Betriebsprüfungen in den letzten Jahren um 30 Prozent zurückgegangen sei, während jährlich 60
Millionen Euro für Kontrollen von Menschen, die auf Hartz IV angewiesen sind, ausgegeben werden, um Kleinstbeträge einzusammeln, die sich auf lediglich 18 Millionen summieren.
Die Veranstaltung zeigte, wie aktuell das Thema ist und dass es an Vorschlägen, die
Ungleichheit abzubauen, nicht mangelt. Doch wenn es nicht einmal in den Jahren des Aufschwungs gelungen ist, mehr Verteilungsgerechtigkeit zu schaffen, was soll dann in der aufkommenden Rezession
passieren? Gute Ideen reichen nicht, es braucht Strategien, sie durchzusetzen. Mehrfach wurde gewarnt, die zunehmende Ausgrenzung von Menschen aus der Gesellschaft spiele den Rechten in die Hände.
Wenig wurde darüber geredet, wie der Unmut für progressive Veränderungen genutzt werden könnte. Auch Stefan Körzell vom DGB-Bundesvorstand ging in seinem Schlusswort nicht auf die Machtfrage ein.
Jene, die etwas mehr haben, sollten auch etwas mehr beitragen, sagte er. Das bringe schließlich niemanden um.
RTDeutsch
Meinung
Bundesarbeitsgericht erteilt Freibrief für Sklaverei
Das Kapital siegt (fast) immer: Bundesarbeitsgericht erteilt Freibrief für
Sklaverei
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Nach der Pleite eines Subunternehmers können Beschäftigte ihren Lohn nicht vom Bauherren einfordern. Das
entschied das Bundesarbeitsgericht in Erfurt am Mittwoch. Die Schwerarbeit der Bauarbeiter für den Shopping-Tempel "Mall of Berlin" wird somit nicht entlohnt.
von Susan Bonath
Eigentlich heißt es, die Sklaverei sei in Deutschland längst abgeschafft. Doch nun hat das Bundesarbeitsgericht in Erfurt das Gegenteil bewiesen. Mitten in der deutschen Hauptstadt haben vor allem
rumänische Arbeiter für das Milliarden-Luxusprojekt "Mall of Berlin" geschuftet. Und viele wurden, wie das bei Sklaverei üblich ist, nie dafür bezahlt.
Nur zwei der geprellten Arbeiter aus Rumänien hielten den langen, fünf Jahre dauernden Weg durch die Gerichtsinstanzen durch. Gemeinsam mit der Gewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union
(FAU) verklagten sie den Investor HGHI Leipziger Platz GmbH & Co. KG auf Zahlung der vorenthaltenen Löhne.
Am Mittwoch sind sie in Erfurt damit endgültig gescheitert. Gegen den Investor und Hauptprofiteur hätten sie keinerlei Ansprüche, meinten die Richter. Ihre Begründung: Die bestehenden Gesetze
sähen dessen Hauptverantwortung nicht vor, wenn das errichtete Gebäude nur vermietet, aber nicht verkauft werde.
Oberster Investor haftet nicht
Hintergrund ist: Ein Generalunternehmen hatte mehrere Subunternehmen eingeschaltet. Bei einem solchen waren auch die Kläger beschäftigt. Am Ende blieb der Lohn aus, alle beteiligten Firmen waren
pleite oder einfach verschwunden.
Doch das an sich logische Prinzip, wonach man eine Stufe höher geht, wenn bei den direkt Verantwortlichen nichts zu holen ist, verwarf das hohe Gericht. Die Argumente der Arbeiter und der freien
Gewerkschaft, dass der beklagte Unternehmer schließlich den Bauauftrag vergeben habe und für Probleme haften müsse, verhallten.
Der richterlichen Auffassung zufolge haften nämlich nur jene Unternehmen, die sich direkt zur Erbringung der Bauleistungen verpflichtet hatten. Der oberste Investor könne gar nicht einschätzen, ob
die Sub-Subunternehmen seriös sind, so die Richter.
Dieser Fall macht einmal mehr deutlich: Das Recht steht auf der Seite des Kapitals. Linke nennen das Klassenjustiz. Laut FAU hätten die ausstehenden Löhne den Investor Harald Huth schlappe 50.000
Euro gekostet. Doch der bezahlte lieber einen teuren Anwalt, um die berechtigten Ansprüche der Ausgebeuteten abzuwehren, die für ihn die Drecksarbeit geleistet hatten.
Die betroffenen Arbeiter sind nicht die einzigen, denen es so geht, und sie werden nicht die einzigen bleiben. Viele sind schon vor fünf Jahren weitergezogen. Die beiden Kläger hatte die FAU zu
diesen Schritten ermutigt. Den Einkaufstempel nennt sie "Mall of Shame". Man wolle den Arbeitern die Würde zurückgeben und den "Sub-Sub-Subunternehmer-Sumpf mitsamt mutwilliger Insolvenzen
trockenlegen", erklärte die Gewerkschaft noch kurz vor der Verhandlung in Erfurt. Die "Klassenjustiz" hat das mit rechtlichen Spitzfindigkeiten verhindert. Man sollte sich das merken.
RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Beschäftigte arbeiten bis zu 61
Stunden mehr als Kollegen im Westen. Fast 5.000 Euro weniger Gehalt
Matthias
Hiekel/dpa-Zentralbild/dpa
Demonstranten fordern die Angleichung der Arbeitsverhältnisse in Ost
und West (Dresden, 5.3.2013)
Beschäftigte in Ostdeutschland arbeiten noch immer
länger als im Westen – und verdienen weniger. Im vergangenen Jahr kamen Beschäftigte in den alten Bundesländern im Schnitt auf 1.295 Arbeitsstunden. Im Osten mit Berlin waren es 1.351 Stunden und
damit 56 mehr. Wird Berlin zum Westen gezählt, sind es im Osten 61 Stunden mehr. Zugleich lagen die Jahresbruttolöhne je Beschäftigtem im Westen mit 36.088 Euro um knapp 4.900 Euro höher als in den
neuen Ländern mit 31.242 Euro. Das ergeben Daten der Statistischen Ämter von Bund und Ländern, die die Linksfraktion im Bundestag ausgewertet hat. Die Abgeordnete Sabine Zimmermann sagte gegenüber
dpa laut Meldung vom Sonntag, es sei inakzeptabel, dass die Bundesregierung sich offensichtlich mit einem »Sonderarbeitsmarkt Ost« abgefunden habe. Wichtig für eine weitere Angleichung sei
die Stärkung der im Osten deutlich schwächeren Tarifbindung – besonders durch leichtere Regeln, Tarifverträge in einer Branche für allgemeinverbindlich zu erklären. (dpa/jW)
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Associated Press. All rights reserved.
Gesichter deutscher Vormachtsansprüche: Manfred Weber (CSU) und Ursula
von der Leyen (CDU)
Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich ihre
Pöstchen zugeschustert. An den Machtverhältnissen ändert sich nichts. Deutschland und Frankreich haben das Sagen, alles andere ist Kokolores. Als Kommissionspräsidentin wurde Verteidigungsministerin
Ursula von der Leyen (CDU) aus dem Hut gezaubert. Nachfolgerin des Chefs der Europäischen Zentralbank soll die Direktorin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde,
werden.
In Brüssel gilt: wer Dreck am Stecken hat, wird auf
die Bühne applaudiert. Von der Leyen wird sich nicht mehr vor dem nationalen Parlament dafür verantworten müssen, dass sie Wirtschaftsberatern aus ihrem Familienumfeld im Verteidigungsministerium Tür
und Tor öffnete. An der Spitze der Kommission kann sie endlich damit aufhören, abgestürzten Bundeswehr-Schrott zu zählen. Lagarde entging nur knapp einer Anklage wegen Veruntreuung öffentlichen
Geldes. Sie hatte ihrem Unternehmerkumpel Bernard Tapie als Finanzministerin im Kabinett Nicolas Sarkozy eine »Entschädigung« in Höhe von 400 Millionen Euro gewährt.
Von der Leyen steht wie keine andere für die
deutsch-französische Rüstungszusammenarbeit. Im Juni wurde die Entwicklung des »Luftkampfsystems der Zukunft« (FCAS) verkündet, das 2040 einsatzfähig sein und 100 Milliarden Euro kosten soll. Paris
ist sauer, weil Berlin die Auslieferung schweren Kriegsgeräts an Saudi-Arabien ausgesetzt hat. In Brüssel dürften in Zukunft Lösungen durch »europäische Exportregeln« gefunden werden. Eine Hand
wäscht die andere.
Lagarde wird den Draghi-Kurs an der Spitze der EZB
fortsetzen. Die expansive Geldpolitik, Strafzinsen und die Wiederaufnahme eines Staatsanleihenkaufprogramms sind die einzig verbliebenen Mittel, die die Zentralbank in der Hand hat, um sich der
aufziehenden Rezession nicht völlig kampflos ergeben zu müssen. Die Spekulanten sind erleichtert: Der Dax stieg am Mittwoch über 12.600 Punkte, so hoch wie zuletzt vor elf Monaten. Den kürzeren zog
der deutsche Bundesbank-Chef Jens Weidmann – auch wenn er noch schnell kurz vor der Wahl öffentlich seinen monetaristischen Glaubenssätzen abgeschworen hatte. Dennoch blieb Weidmann für Frankreichs
Präsidenten Persona non grata. So spottete Emmanuel Macron auf dem EU-Gipfel am 21. Juni, er sei»sehr glücklich«, dass Weidmann – »wenn auch vielleicht verspätet« – seine Meinung zu der Frage
geändert habe. »Ich denke, dies bedeutet, dass wir alle Gutes in uns haben.«
Und die »Proeuropäer« am Katzentisch? Die Grünen
übten sich in Belanglosigkeit. Das ausgeklungelte Personaltableau verspreche »überhaupt keine politische Dynamik«, gab Spitzenkandidatin Franziska Keller zum besten. Die Sozialdemokraten dürfen mit
dem Italiener David-Maria Sassoli kurzzeitig den Präsidenten des EU-Parlaments stellen. Nach der Hälfte der Legislatur übernimmt das Amt Merkels Bauernopfer Manfred Weber (CSU). Die Pfründen sind
verteilt.
Kriegsverbrechen des US-Elitesoldaten Edward Gallagher bleiben ungesühnt. Unterstützung durch Trump und
US-Navy
Von Frederic Schnatterer
Gregory Bull/AP Photo via dpa
Der US Navy Seal Edward Gallagher verlässt mit Frau Andrea am Dienstag das
Militärgericht in San Diego
Das Urteil hat Signalwirkung. Am Dienstag (Ortszeit) hat ein US-Militärgericht im kalifornischen San Diego den wegen
Kriegsverbrechen angeklagten Edward Gallagher in praktisch allen Punkten freigesprochen. Der ranghohe Offizier der Spezialeinheit US Navy Seals war 2017 im Einsatz im Irak. Dabei soll er laut Anklage
unter anderem einen verletzten Gefangenen mit seinem Jagdmesser erstochen und später mit der Leiche des Jugendlichen für Fotos posiert haben. Zudem soll der hochdekorierte Scharfschütze aus einem
Versteck heraus unbewaffnete Zivilisten erschossen haben, unter ihnen ein Schulmädchen.
Nach zwei Verhandlungswochen kam die US-Jury nun zu dem Schluss, dass Gallagher kein Mörder sei. Als einzigen Punkt der Anklage,
in dem der Elitesoldat schuldig gesprochen wurde, blieb nur noch das Posieren mit der Leiche des gefangenen Jugendlichen, wofür ihn voraussichtlich eine Höchststrafe von vier Monaten erwarten wird.
Da Gallagher schon neun Monate in Untersuchungshaft saß, kommt auch dieses Urteil einem Freispruch gleich. Oder, wie sein Verteidiger Timothy Parlatore es am Dienstag ausdrückte: »Er geht also nach
Hause«.
Die Anklage, die auf Aussagen ehemaliger Untergebener seiner Einheit fußte, liest sich wie das Drehbuch eines Splatterfilms:
Neben den oben beschriebenen Taten habe es Gallagher (Spitzname: Klinge) Freude bereitet, Raketen auf Wohnhäuser zu schießen. Wenn er nicht gerade einen Panzerwagen auf einer Tigris-Brücke parkte,
um von dort aus das Maschinengewehr auf ein bewohntes Viertel leerzuballern, habe er in einem Hinterhalt gelegen und mit seinem Scharfschützengewehr wahllos auf Zivilisten geschossen. Hinterher habe
er regelmäßig mit der Anzahl der von ihm Ermordeten geprahlt – laut eigener Aussage täglich drei über einen Zeitraum von 80 Tagen.
Ab dem Moment, als die ersten Anschuldigungen gegen Gallagher aufkamen, hatten ranghohe Mitglieder der Navy Seals versucht, die
Aufnahme von Ermittlungen zu behindern und ihren Kameraden zu decken. Und auch außerhalb der von Korpsgeist geprägten Truppe hatte »Eddie« jede Menge Fans. Eine von seiner Familie in die Wege
geleitete Spendenkampagne brachte fast 750.000 US-Dollar zusammen. Im März verfassten 40 republikanische Kongressabgeordnete einen Brief, in dem sie die Navy dazu aufforderten, Gallagher
freizulassen. Kurz darauf mischte sich US-Präsident Donald Trump in die Sache ein und veranlasste die Verbesserung der Haftbedingungen des nun Freigesprochenen, was er auf Twitter mit dessen
»früheren Verdiensten für unser Land« begründete. Im Mai hatten mehrere US-Medien berichtet, dass Trump im Falle einer Verurteilung Gallaghers eine Begnadigung in Betracht ziehe.
Unterdessen bekommen diejenigen, die die von US-Einheiten verübten Kriegsverbrechen aufdecken, die volle Härte der Justiz zu
spüren. So Whistleblowerin Chelsea Manning, die von März bis Mai durch Beugehaft zu einer Aussage gegen Julian Assange gebracht werden sollte. Als IT-Spezialistin der US-Armee am Irak-Einsatz
beteiligt, wurde Manning im August 2013 wegen Spionage zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt. Anfang 2017 begnadigte der scheidende US-Präsident Barack Obama sie in einer seiner letzten Amtshandlungen.
Die Whistleblowerin hatte Material von Servern der US-Armee heruntergeladen und dieses der Enthüllungsplattform Wikileaks zugespielt. Deren Gründer Assange kämpft derzeit gegen seine Auslieferung an
die USA, wo ihm bis zu 175 Jahre Haft drohen.
Bundesrat beschließt Neuregelung von »Kinderzuschlag« und »Eigenanteilen« der Eltern
Paul Zinken/dpa
In der Notunterkunft für obdachlos gewordene Menschen des Diakonischen Werkes
Berlin-Stadtmitte (Januar 2018)
Der Bundesrat verabschiedete am Freitag ein Gesetz der Bundesregierung, das diese als »Starke-Familien-Gesetz« bezeichnet. Es
sieht vor, dass der Kinderzuschlag von zuletzt 170 Euro auf 185 Euro im Monat steigt. Es werde künftig leichter sein, ihn zu beantragen. Außerdem soll es Änderungen bei der Verrechnung des
Kinderzuschlags mit dem Einkommen der Kinder geben. Einkünfte des Kindes wie Unterhaltszahlungen sollen künftig zu 45 Prozent berücksichtigt werden statt wie bisher vollständig. Mit dieser Maßnahme
sollen insbesondere Alleinerziehende mit älteren Kindern besser erreicht werden. Des weiteren hebe das Gesetz die sogenannte Abbruchkante auf, die dazu führte, dass der Zuschlag ab einem bestimmten
Einkommen wegfällt.
Grundsätzlich gilt: Familien mit wenig Einkommen können zusätzlich zum Kindergeld einen Kinderzuschlag beantragen. Das Kind muss
unter 25 Jahre sein. Die Höchsteinkommensgrenze wird für jede Familie einzeln bestimmt. Sie hängt von den Lebenshaltungskosten ab.
Die Chancen auf Bildung und gesellschaftliche Teilhabe will die Regierung verbessern, indem das Schulstarterpaket von 100 auf
150 Euro erhöht werde. Die Eigenanteile der Eltern für das Mittagessen in Kitas und Schulen sowie für die Schulbeförderung sollen entfallen. Zudem bestehe der Anspruch auf Lernförderung künftig
unabhängig von einer Versetzungsgefährdung. Darüber hinaus steige der Zuschuss für Vereinsbeiträge.
Die große Koalition von Union und SPD sieht darin einen wichtigen Schritt gegen Kinderarmut in Deutschland. Aus Sicht des
Paritätischen Gesamtverbandes ist das stärkste am sogenannten Starke-Familien-Gesetz »vermutlich der Titel«. Solange »fast jedes fünfte Kind in Deutschland in Armut lebt, besteht für uns kein Anlass
zum Feiern«, erklärte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer vom Paritätischen und Sprecher des Bündnisses »Kindergrundsicherung«. »Wir reden hier von mehr als drei Millionen Kindern und
Jugendlichen, die Ausgrenzung und Mangel Tag für Tag als Normalität erfahren, statt eine unbeschwerte Kindheit genießen zu dürfen.«
Das Deutsche Kinderhilfswerk kritisierte, dass »eine umfassende Priorisierung der Förderung armer Familien und ihrer Kinder
sowie unbürokratische Zugänge zu den Leistungen« nach wie vor auf der Strecke blieben. Bremens Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) erklärte, dass zur Zeit nur 35 Prozent der tatsächlich
Anspruchsberechtigten den Kinderzuschlag erhalten würden. Das Gesetz soll nun stufenweise in Kraft treten. (dpa/jW)
Bundesratsinitiative zur Deckelung des Eigenanteils von Hilfebedürftigen gescheitert. SPD fordert
Steuerzuschüsse für Versicherung
Von Ralf Wurzbacher
Kay Nietfeld/dpa
Ohne mich: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am 23.5.2018 in Berlin
Die Pflegeversicherung bleibt ein Zankapfel. Am Freitag lag dem Bundesrat ein Entschließungsantrag der Länder Hamburg, Berlin,
Bremen und Schleswig-Holstein vor, der im Kern darauf zielt, den Eigenanteil von Pflegebedürftigen an den Kosten ihrer Versorgung zu deckeln. Dieser Vorstoß läuft auf eine radikale Systemumkehr
hinaus: Bisher sind die Leistungen der Versicherer begrenzt, während die für Betroffene bzw. ihre Angehörigen anfallenden Mehrausgaben nach oben offen sind. Am Montag hatte auch die Bundes-SPD in
einem einstimmig gefassten Parteivorstandsbeschluss für einen »grundlegenden Wechsel« plädiert und dafür Zuspruch durch die großen Sozialverbände erhalten.
Dazu gab es seitens der zuständigen Ausschüsse im Bundesrat eine parteiübergreifende Aufforderung, die Bundesregierung solle
gemeinsam mit den Ländern die Finanzierungssystematik der Pflegeversicherung ändern. Daraus wird vorerst nichts. Nicht mitziehen bei dem Konzept will Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU),
weshalb sich schon im Vorfeld der Sitzung der Länderkammer ein Scheitern der Initiative abzeichnete. So kam es dann auch. Weil keine Mehrheit für den Antrag in Aussicht stand, wurde der Vorgang
kurzfristig von der Tagesordnung genommen. Nach Auskunft einer Sprecherin gegenüber junge Welt müsse die Angelegenheit nun in den zuständigen parlamentarischen
Gremien verhandelt werden – Ausgang ungewiss.
Spahn werde »in seiner reflexhaften Ablehnung des Vorschlags von den Unions-Kollegen in den Ländern gestützt«, hatte Hamburgs
Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) schon am Mittwoch in der Ärzte-Zeitung beanstandet. Dabei hätten CDU/CSU selbst keinen Plan, einen
sprunghaften Anstieg der Eigenanteile der Pflegebedürftigen zu verhindern. Weil die Pflege nach dem Willen der Regierung personell ausgebaut und die Pflegekräfte besser entlohnt werden sollen, müssen
Betroffene mit massiven Mehrbelastungen rechnen. Derzeit liegt der über die Unterstützung der Pflegekassen hinausgehende Eigenanteil bei durchschnittlich 618 Euro monatlich. Die Länder befürchten,
die Kosten könnten auf über 1.000 Euro steigen.
Besonders hart trifft es heute schon diejenigen, die stationär gepflegt werden. Wie die Arbeiterwohlfahrt (AWO) am Donnerstag in
einer Medienmitteilung vorrechnete, müssten diese pro Monat im Schnitt 1.750 Euro aus eigenen Mitteln aufbringen. Dagegen hätte die durchschnittliche Nettorente zum Jahresende 2017 in den alten
Bundesländern bei 1.231 Euro und 1.169 Euro in Ostdeutschland gelegen. Für viele wäre das »nicht mehr zu finanzieren«, weshalb immer mehr auf die finanzielle Unterstützung ihrer Kinder angewiesen
wären oder zusätzlich Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssten, beklagte AWO-Vorstandsmitglied Brigitte Döcker. Das sei gegenüber pflegebedürftigen Menschen »unwürdig« und führt bei ihnen und ihren
Familien zu »extremen Unsicherheiten und Ängsten«.
Wie die SPD in ihrem Vorstandbeschluss schreibt, bezögen schon heute rund 37 Prozent der Pflegeheimbewohner Hilfe zur Pflege als
Leistung der Sozialhilfe. Deshalb sollten nicht länger die Leistungen der Pflegeversicherung begrenzt werden, »sondern die Eigenanteile der Pflegebedürftigen«. Zukünftige Kostensteigerungen wären
»solidarisch über einen Mix aus moderat steigenden Beiträgen und einem dynamischen Bundeszuschuss« zu finanzieren. Bestandteile der SPD-Pläne sind unter anderem, das Nebeneinander von privater und
gesetzlicher Pflegeversicherung »zu überwinden« und das System mit einem zusätzlichen Steuerzuschuss zu stärken, »um etwa die beitragsfreie Mitversicherung von Familienangehörigen oder die
Beitragsleistungen an die Rentenversicherung mitzufinanzieren«. Man darf gespannt sein, was davon gegen die Union durchsetzbar ist.
Dass etwas passieren muss, weiß man auch beim Koalitionspartner. »Höhere Kosten für faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen in
der Pflege dürfen nicht allein von den Pflegebedürftigen geschultert werden«, sagte der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Staatssekretär Andreas Westerfellhaus (CDU), der Ärzte-Zeitung. Es dürfe nicht allein darum gehen, das finanzielle Risiko der stationären Pflege vom einzelnen in die Sozialversicherung zu verlagern.
Sozialverband übt Kritik am SPD-Vorschlag zu einer Grundrente: Die meisten Bedürftigen gingen leer aus
Von Susan Bonath
Sicher in die
Altersarmut: Besonders alleinerziehende Frauen und Ostdeutsche bleiben auf der Strecke
Foto: Patrick
Pleul/dpa-Zentralbild
Zu teuer, nicht gerecht: Für seine vorgeschlagene
Grundrente erntet Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) viel Kritik. Die Union und SPD-Finanzminister Olaf Scholz warnten bereits vor einem bevorstehenden »25-Milliarden-Loch« im Bundeshaushalt
bis 2023. »Die fetten Jahre sind vorbei«, orakelte Scholz. Deshalb pocht die CDU auf ein Finanzierungskonzept für Heils mit fünf Milliarden Euro jährlich beziffertes Vorhaben. CDU-Chefin Annegret
Kramp-Karrenbauer kündigte an, das Thema nächsten Mittwoch auf die Tagesordnung beim Koalitionsausschuss zu setzen. Für den Paritätischen Wohlfahrtsverband geht die Grundrente indes nicht weit genug.
Sie sei zwar »ein wichtiger Schritt, um verdeckte Altersarmut zu beseitigen«, erklärte dessen Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider laut einer Mitteilung vom Dienstag. Allerdings werde ein Großteil
altersarmer Menschen nicht erreicht, mahnte er.
Schneider schlägt daher weitergehende Maßnahmen vor:
Erstens müsse die Grundrente bereits nach 25 statt 35 Berufsjahren gelten. Nur so könnten auch Menschen mit längeren Zeiten von Erwerbslosigkeit oder -minderung davon profitieren, mahnte er.
Zweitens, so Schneider, müsse der Staat jene berücksichtigen, die auch diese Erwerbszeit nicht erreichen und weiterhin Anspruch auf Grundsicherung im Alter hätten. Er plädierte deshalb für einen
Freibetrag auf alle Renten, der nicht auf die Sozialhilfe angerechnet wird.
Diesen Freibetrag könne die Politik ähnlich ausgestalten
wie im Hartz- IV-System, erläuterte Schneider. Dort gilt – ausschließlich für Erwerbseinkommen – ein Grundfreibetrag von 100 Euro. Von weiteren Einkünften bis zu 1.000 Euro bleiben 20 Prozent
anrechnungsfrei. »So kann die Bekämpfung von Armut mit der Anerkennung der Lebensleistung verbunden werden«, betonte der Verbandsgeschäftsführer. Zugleich würden Rentner ohne private oder
betriebliche Zusatzvorsorge nicht mehr benachteiligt, da es auf diese bereits Freibeträge bis zur Höhe von 212 Euro gebe.
Laut Angaben des Statistischen Bundesamts bezogen Ende
2018 knapp 1,1 Millionen Menschen Sozialhilfe. Rund 553.000 Betroffene befanden sich davon im regulären Rentenalter. Experten zufolge würde tatsächlich nicht einmal ein Viertel der armen
Altersrentner von Heils Plänen profitieren, da sie nicht auf die geforderten 35 Beitragsjahre kämen. Mehr als 400.000 Betroffene gingen also weiterhin leer aus. Nach Zahlen der Deutschen
Rentenversicherung hätten aber insgesamt bis zu vier Millionen Menschen Anspruch auf Heils Grundrente, darunter auch viele Vermögende. Die Bedürftigkeitsprüfung lehnt der Arbeitsminister aber
ab.
Heils Konzept berücksichtigt ausschließlich ehemalige
sozialversicherungspflichtige Geringverdiener mit mindestens 35 Erwerbsjahren. Wer dem entspricht, soll die niedrigen Rentenansprüche bis zu einer Höhe von 0,8 Entgeltpunkten pro Erwerbsjahr
aufstockt bekommen. Betroffene könnten so auf bis zu 14 Entgeltpunkte mehr kommen. Allerdings handelt es sich dabei um ein Kriterium, das viele Ostdeutsche nicht erfüllen, da die Erwerbslosigkeit
nach der Angliederung der DDR an die Bundesrepublik 1990 fast zwei Jahrzehnte lang besonders hoch war.
In Ostdeutschland betrug der Wert eines Rentenpunktes
zuletzt 30,65 Euro, im Westen lag er bei 31,99 Euro. Niedrigrentner aus Westdeutschland kämen so auf maximal 448 Euro, im Osten rund 430 Euro mehr in der Tasche. Ihre Rente würde damit am Ende bei
etwa 900 Euro liegen. Auch daran gibt es Kritik: In sehr teuren Gegenden wie München und Hamburg liegen die Sozialhilfesätze wegen der hohen Mieten bereits jetzt höher. Viele Betroffene blieben also
bedürftig. Heil verwies darauf, sie könnten Wohngeld beantragen.
Für einen Rentenpunkt muss ein abhängig Beschäftigter
den Durchschnittsverdienst erzielen. 2018 lag dieser bundesweit bei knapp 37.900 Euro. In Ostdeutschland verdient das Gros der Lohnabhängigen allerdings weit weniger. Laut einer Auswertung der
Bundesagentur für Arbeit (BA) aus 2018 lag der Durchschnittslohn im sächsischen Landkreis Görlitz 2017 beispielsweise bei nur 26.200 Euro brutto pro Jahr, was 0,7 Rentenpunkten entspricht. Im
bayrischen Ingolstadt betrug er hingegen 55.600 Euro.
Bezieher von Hartz IV und Sozialhilfe leiden unter zu niedrigen Mietbeihilfen. Grund sind Kommunen, die ihre im Werte steigenden Mieten nicht anpassen und schummeln. Für einige Jobcenter in
Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein hat das Bundessozialgericht das jetzt gestoppt.
von Susan Bonath
Die Mieten in Deutschland explodieren. Doch bei
den Wohnkosten spart die Bundesagentur für Arbeit (BA) besonders kräftig. Laut ihrer eigenen Statistik verwehrte sie Hartz-IV-Beziehern in den vergangenen Jahren insgesamt über 50 Millionen Euro
ihrer tatsächlichen Wohnkosten – und zwar pro Monat. Das heißt: Unter den rund 600.000 Betroffenen musste jeder fünfte Haushalt im Leistungsbezug im Schnitt 80 Euro zum mickrigen Regelsatz
zuzahlen.
Schuld sind teils realitätsfern niedrige
Mietobergrenzen für Menschen mit Sozialhilfe- oder Hartz-IV-Bezügen. Und verantwortlich dafür sind die Kommunen. Vier Konzepte für Mietobergrenzen hat nun das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel
vergangene Woche für rechtswidrig befunden und gekippt. Sie alle stammen von der Hamburger Firma "Analyse & Konzepte", die übrigens damit ihr Geld verdient.
Hamburger Unternehmen hilft beim Drücken der
Kosten
Der Streit um zu niedrige Mietobergrenzen
grassiert seit langem. Nicht übernommene Wohnkosten sind mit die häufigsten Gründe für Klagen an Sozialgerichten. Hintergrund ist ein unbestimmter Rechtsbegriff im Sozialgesetz. Dort heißt es, die
Jobcenter sollen "angemessene" Kosten für die Unterkunft übernehmen.
Was "angemessen" ist, legen die Landkreise und
kreisfreien Städte selbst fest, schon seit Jahren. Dabei orientieren sie sich wohl vor allem an ihrer eigenen Kassenlage. Seit 2009 urteilte das BSG mehrfach, dass die Kommunen im Zweifelsfall die
nach Mietstufen gestaffelten und den Landkreisen zugeordneten Mietobergrenzen im Wohngeldgesetz inklusive eines Aufschlages von zehn Prozent zugrunde legen sollen. Tun sie das nicht, müssen sie es
mit einem sogenannten "schlüssigen Konzept" gut begründen.
An diesen Konzepten verdient sich unter anderem
die Firma "Analyse & Konzepte" mit Sitz in Hamburg jeweils eine fünfstellige Summe. Offenbar nimmt sie das mutmaßliche Ansinnen ihrer Auftraggeber, die Sätze so weit wie möglich zu drücken, über
alle Maßen ernst. Zahlreiche Konzepte gerade dieses Unternehmens haben einschlägige Sozialgerichte im Laufe der Jahre schon gekippt.
Langer Weg durch die
Gerichtsinstanzen
Die Folge: Die Kommunen ließen neue Analysen mit
kaum höheren Sätzen erstellen, gegen die wieder erst geklagt werden muss. Und das kann bekanntlich dauern: In den vorliegenden Fällen dauerte der Weg bis in die höchste Instanz nach Kassel etwa acht
Jahre.
Geklagt hatten Betroffene aus den Landkreisen
Börde, Harz und Salzlandkreis in Sachsen-Anhalt sowie aus dem Kreis Segeberg in Schleswig-Holstein. In einem weiteren Fall aus Nienburg in Niedersachsen hatten die Vorinstanzen das Mietkonzept
bereits gekippt; das Jobcenter hatte vor der Verhandlung seine Sprungrevision zum BSG zurückgezogen und rechtzeitig selbst noch eingelenkt. Das Fazit: Die beklagten Jobcenter haben teils seit 2011
geschummelt, um die Kosten der Unterkunft zu Lasten der Leistungsbezieher zu drücken.
Konkret bemängelten die Richter die
Berechnungsgrundlagen. Die teils sehr großen und ländlichen Kreise hätten nur einen sogenannten Vergleichsraum für die Wohnkosten gebildet, obwohl die Mieten in den Regionen sehr unterschiedlich
seien. Letzteres Problem hätten sie rechtswidrig gelöst, indem sie trotzdem mehrere Mietobergrenzen nach selbst definierten "Wohnungsmarkttypen" festgelegt haben.
Betroffene müssen in schlechten Wohnungen
ausharren
Mit diesem Trick verhindern Jobcenter, dass
Leistungsbezieher innerhalb das Landkreises in eine teurere Region umziehen dürfen. Das Gesetz regelt nämlich, dass innerhalb eines Vergleichsraums die Miete der neuen Wohnung nicht die der alten
übersteigen darf. Ist dies doch der Fall, muss das Amt die Mehrkosten nicht übernehmen. Nur wenn sie in einen anderen Vergleichsraum ziehen, etwa wegen eines Jobs, müssten die Ämter dortige
Mietobergrenzen anerkennen. Schon angesichts der generell steigenden Mieten erscheint diese Praxis absurd. Kritiker mahnen, dass Betroffene damit gezwungen würden, in sehr schlechten, etwa sogar
feuchten und schimmeligen Wohnungen auszuharren.
Das BSG hat nun die Fälle an die Vorinstanzen, die
Landessozialgerichte zurückverwiesen. Diese müssten den beklagten Jobcentern die Gelegenheit geben, neue Konzepte vorzulegen. Laut früherer Rechtsprechung müssten die Jobcenter bis dahin eigentlich
höhere Kosten bei allen Leistungsbeziehern übernehmen und sich dabei an den Mietstufen im Wohngeldgesetz orientieren. Da diese weitaus höher liegen, werden sie das wohl nicht tun.
Obergrenzen weitaus niedriger als Mietstufen
beim Wohngeld
Dazu ein konkretes Beispiel: Das beklagte
Jobcenter Salzlandkreis in Sachsen-Anhalt erlaubt einem Alleinstehenden in der Kreisstadt Schönebeck aktuell eine maximale Bruttokaltmiete von 270 Euro, gesplittet in 219 Euro netto kalt und 51 Euro
Betriebskosten. Laut Wohngeldgesetz gilt in Schönebeck die Mietstufe 2. Diese ermöglicht es Alleinstehenden allerdings, bis zu einer Bruttokaltmiete von 351 Euro Wohngeld zu beziehen. Der Unterschied
beträgt also 81 Euro. Bei zwei Personen liegt die Differenz zwischen Jobcenter-Richtlinie und Wohngeldtabelle bereits bei 106 Euro, bei Vier-Personen-Haushalten sogar bei knapp 200 Euro.
Ebenso verhält es sich in den anderen beklagten
Kommunen. In der Börde-Kreisstadt Haldensleben etwa liegen die kommunalen Obergrenzen je nach Haushaltsgröße mit 61 bis 126 Euro unterhalb der Wohngeldrichtlinien für die Bruttokaltmiete. Auch in
Halberstadt im Harz beträgt die Differenz 60 bis rund 200 Euro. Und in Bad Segeberg liegt der Unterschied bei 24 bis 124 Euro. Dabei gilt es zu bedenken, dass die Mietstufen im Wohngeldgesetz 2017
wegen zu niedriger "Höchstpreise" angehoben wurden.
Differenz zwischen tatsächlichen und
bezahlten Wohnkosten wächst
Der Sozialwissenschaftler Stefan Sell beklagt in
seinem Blog "aktuelle-sozialpolitik.de", dass kommunale Jobcenter tendenziell immer höhere Summen bei Erwerbslosen und Aufstockern im Hartz-IV-Bezug auf diese Weise einsparen. Von 2016 auf
2017 stieg die Summe der im gesamten Jahr verweigerten Wohnkosten um 25 Millionen auf 627 Millionen Euro, obwohl sogar die Zahl der betroffenen Haushalte um mehrere Hunderttausend gesunken war.
Sell konstatiert in seinem Artikel:
Zum einen sind die seitens der Jobcenter übernahmefähigen
Kosten gedeckelt (und das oftmals unrealistisch niedrig im Kontext der lokalen Wohnungsmärkte), zum anderen aber läuft der Hinweis, durch einen Umzug in eine billigere Bleibe die Kosten wieder voll
erstattet zu bekommen, angesichts des eklatanten Mangels auf der Angebotsseite ins Nirwana.
Der Wissenschaftler betonte, dass das BSG mit
seiner aktuellen Rechtsprechung bezüglich der Angemessenheit von Wohnkosten einer seit Jahren konstanten Linie folgt. Unterdessen aber habe das Bundesverfassungsgericht schon mehrere
Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.
„Der Sozialstaat ist ein buchstäbliches Armutszeugnis“
03.
Februar 2019 um 11:45Ein Artikel von: Redaktion
Armut ist in unserer
Gesellschaft nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Das sagen Arian Schiffer-Nasserie und Renate Dillmann im Interview mit den NachDenkSeiten. Die beiden
Sozialwissenschaftler durchdringen in ihrer aktuellen Studie die Oberfläche der Armutsforschung, die in der Regel Armut als Abweichung vom Normaleinkommen definiert. Schiffer-Nasserie und Dillmann
nehmen sich dem Thema grundsätzlicher an und sagen: „Wenn der deutsche Sozialstaat mit mehreren Ministerien, zwölf Sozialgesetzbüchern und vielen Milliarden Euro jährlich interveniert, dann gibt es
in diesem Land offenbar auch stets auf Neue ein erhebliches Maß sozialer Bedürftigkeit.“ Und die Gründe für diese Situation führen zu tieferliegenden systemischen Ursachen. Ein Interview über den
Sozialstaat, Armut und ihre systemischen Ursachen. Von Marcus Klöckner.
Zumindest im Vergleich zu anderen Ländern gibt es in Deutschland seit langem einen relativ starken Sozialstaat. Warum gibt es dennoch dauerhaft Armut? Warum wurde die Armut im Land bis heute
nicht überwunden?
Schiffer-Nasserie: Es stimmt. Deutschland
hat einen vergleichsweise gut ausgebauten Sozialstaat. Es gibt in Deutschland so gut wie keine soziale Notlage, die nicht bereits sozialrechtlich erfasst und sozialpolitisch bearbeitet wird.
Dillmann: Allerdings ist es nicht so, dass man von einem starken Sozialstaat erwarten kann, dass er die Ursachen für sein Tätigwerden überwindet. Ganz im Gegenteil zeugt eine umfassende Sozialpolitik
zunächst einmal davon, wie viele Notlagen es in einem kapitalistisch entwickelten und reichen Land gibt.
Wie genau meinen Sie das? Wieso
kann man von einem starken Sozialstaat nicht erwarten, dass er die Ursachen von Armut beseitigt?
Dillmann: Die sozialpolitischen Maßnahmen
vom Kindergeld über das Wohngeld bis zur Pflegeversicherung sind zunächst einmal Ausdruck davon, dass der größte Teil der Menschen in diesem Land „von der Wiege bis Bahre“ nicht dazu in der Lage ist,
aus eigenen Mitteln das Leben als Familien mit Kindern, in Zeiten der Krankheit, der Arbeitslosigkeit, des Alters, der Pflegebedürftigkeit etc. selbständig zu bestreiten.
Der Sozialstaat also als
offensichtliches Zeichen dafür, dass etwas Grundlegendes in dem Land nicht stimmt?
Dillmann: Der
Sozialstaat ist in diesem Sinne – nüchtern betrachtet – ein buchstäbliches Armutszeugnis über die Lebensbedingungen der Mehrheit in diesem Land. Wenn der deutsche Sozialstaat mit mehreren
Ministerien, zwölf Sozialgesetzbüchern und vielen Milliarden Euro jährlich interveniert, dann gibt es in diesem Land offenbar auch stets auf Neue ein erhebliches Maß sozialer
Bedürftigkeit.
Wovon der Staat auch
ausgeht.
Dillmann: So ist es. Der soziale Staat
rechnet mit diesen Notlagen. Und ganz im Gegensatz zu dem, was sozial Engagierte oder im Sozialwesen Beschäftigte in Deutschland häufig von „ihrem“ Staat erwarten, zielt seine Tätigkeit nicht auf die
Beseitigung der Ursachen sozialer Notlagen, sondern darauf, diese Notlagen wirtschafts- und staatsnützlich zu verwalten.
Die Armut, die Sie angesprochen haben,
entspringt nämlich den ökonomischen Grundlagen dieser Gesellschaft und ihrer Eigentumsordnung. An diesen ändert die Sozialpolitik nichts.
Armut ist also im System
angelegt?
Schiffer-Nasserie: Armut, wie immer man
sie auch näher bestimmt, bedeutet zunächst mal Ausschluss von Reichtum. Worin auch immer der Reichtum in modernen Gesellschaften bestehen mag, er existiert in jedem Fall als Eigentum, das heißt als
ausschließliche (!) Verfügungsgewalt über eine Sache. Der Eigentümer dieser Sache ist berechtigt, alle anderen von ihrer Nutzung auszuschließen. Das Prinzip Eigentum beinhaltet bereits die
prinzipielle Trennung zwischen Haben und Benutzen, zwischen Bedürfnis und den Mitteln der Bedürfnisbefriedigung. Die gehören in der Regel anderen. Ausschluss vom Reichtum fängt also nicht da an, wo
Menschen arbeitslos werden, wo sie unter dem Hartz IV-Regime verarmt werden oder wo man ihnen sogar lebenswichtige Nahrungsmittel, Medikamente oder Wohnraum vorenthält. Ausschluss von den Mitteln der
eigenen Interessensverfolgung und Ausschluss von den Mitteln, um nützliche Dinge für die Bedürfnisbefriedigung herzustellen, konstituieren geradezu diese Gesellschaft.
Da klingt jetzt Karl Marx
an.
Schiffer-Nasserie:
Wahrscheinlich ist bei den NachDenkSeiten einigen noch der erste Satz aus der Marxschen Kapitalanalyse bekannt: „Der Reichtum der Gesellschaften, in denen kapitalistische Produktionsweise
herrscht, erscheint als ungeheure Warenansammlung…“ Das bedeutet: Alle Dinge, die man in dieser Gesellschaft benutzen will, um notwendige oder auch darüber hinausgehende Bedürfnisse zu
befriedigen, sind Waren. Sie gehören den Warenproduzenten bzw. Anbietern und sie haben einen Preis, den man zunächst einmal zahlen muss, wenn man sie benutzen will. Ein Angebot, das man nicht
ablehnen kann. Die böse Ironie: Waren werden nicht produziert, um Bedürfnisse zu befriedigen, sondern um die Bedürfnisse jener auszunutzen, die über die nötige Zahlungsfähigkeit verfügen! Der
Gelderwerb ist der Zweck, die Produktion und der Verkauf von nützlichen Dingen, von Waren, ist das Mittel dazu. In diesem Sinne ist die warenproduzierende Gesellschaft mit ihren riesigen Warenbergen
übrigens extrem bedürfnisfeindlich.
Bitte etwas
konkreter.
Dillmann: Die konkreten Folgen dieser
vermeintlich abstrakten Formulierung kennt jeder von uns aus eigener Erfahrung: Wer nicht über das nötige Geld verfügt, kann die Waren nicht benutzen, die er benötigt. Er wird auch dann von ihnen
ausgeschlossen, wenn die entsprechenden Sachen bereits überreichlich vorhanden oder gar unverkäuflich sind. Lebensmittelüberschüsse, nicht ausgelastete Produktionskapazitäten, Fabrikschließungen,
brachliegender Ackerboden, globale Überproduktion einerseits…
… und Armut und Hunger
anderseits?
Schiffer-Nasserie: Genau. Armut im
Kapitalismus ist also gerade nicht dem Mangel an Reichtum geschuldet, sondern dem Zweck dieser Produktion, nämlich der Geldvermehrung.
Vieles läuft auf
Produktionsmittel hinaus, über die ein Großteil der Bürger nun mal nicht verfügt, oder?
Schiffer-Nasserie: So ist es. Denn es
sind ja nicht nur die Mittel der Bedürfnisbefriedigung, die als fremdes Eigentum vorliegen. Das Problem mit dem Eigentum gewinnt wesentlich an Schärfe dadurch, dass moderne Menschen in der Regel
nicht die Möglichkeit haben, getrennt vom Markt als Selbstversorger die Dinge ihres Bedarfs herzustellen. Schlimmer noch: In einer Gesellschaft, in der alle Dinge nur gegen Geld erhältlich ist, sind
die wenigsten Menschen in der Lage, selbst Waren zu produzieren und am Markt gegen Geld zu verkaufen. Es fehlen ihnen schlicht und ergreifend die Mittel dazu – die sogenannten
Produktionsmittel.
Klar, viele Menschen besitzen nun mal
nicht die nötigen Maschinen, Fabriken, Werkzeuge, um konkurrenzfähige Produkte am Markt anzubieten.
Schiffer-Nasserie: Noch haben sie das
Geld, um entsprechende Produktionsmittel zu kaufen. In diesem Sinn sind moderne Lohnabhängige in der Bundesrepublik übrigens objektiv „absolut arm“, nämlich ausgeschlossen von den Mitteln der
herrschenden Reichtumsproduktion. Das begründet ihre „soziale Schwäche“, ihre „Unselbständigkeit“ und ihre „Abhängigkeit“ von Arbeitgebern und Sozialstaat!
War das schon immer
so?
Dillmann: Es ist klar, dass ein solches
Verhältnis nicht vom Himmel gefallen ist. Dass es in einer Gesellschaft Menschen gibt, denen vieles gehört, auf das andere dringend angewiesen sind, ist nicht von Natur aus so. Es ist Resultat einer
staatlichen Ordnung, in der das Recht auf Eigentum garantiert wird und das die Produktionsmittel der Gesellschaft kategorisch mit einschließt. Und es ist Resultat eines historischen Prozesses, in dem
sich Eigentümer von Geldvermögen und Grund und Boden herausgebildet haben, während viele – vor allem die Bauern vom Land und die Gesellen in den Städten – von ihren früheren Lebensgrundlagen getrennt
wurden. Diesen Prozess, den Marx als „ursprüngliche Akkumulation“ bezeichnet, erläutern wir im historischen Teil III unseres Buches für Deutschland.
Dennoch gibt es etwas, was die
Bürger anbieten können: sich selbst. Auf dem Arbeitsmarkt.
Dillmann: Diejenigen,
die keine Waren verkaufen können, weil sie nicht über die Mittel zu ihrer Herstellung verfügen, müssen selbst zu einer Ware werden! Sie müssen sich selbst zu Markte tragen; sie müssen
sich anbieten; natürlich nicht auf den Märkten, auf denen ihre begüterten Mitbürger mit Stahl, Immobilien, Gemüse oder Autos handeln. Auf solchen Märkten haben sie wörtlich „nichts zu
bieten“. „Ihr“ Markt ist für die an Produktionsmitteln eigentumslose Mehrheit der Gesellschaft ganz „selbstverständlich“ der Arbeitsmarkt.
Das ist doch erst einmal kein
Problem, oder?
Dillmann: „Ihr“ Angebot
auf diesem Markt sind die Eigentumslosen selbst, das ist ihre Arbeitskraft. Das ist ihre Zeit, ihre Kraft, ihr Körper, ihre Nerven und ihr Geist; das sind ihre Fähigkeiten und Kenntnisse,
die sie gegen Geld bereit sind, in fremde Dienste zu stellen. Und „ihr“ Preis ist der Lohn, den sie für den Verkauf ihrer Arbeitskraft erzielen wollen. Dabei kommt es auf die gewählte
Formulierung „Verkauf der Ware Arbeitskraft“ enorm an: Denn ohne Produktionsmittel kann dieser Typ Mensch keine Produkte herstellen und verkaufen. Aus dem gleichen Grund kann er aber auch nicht
„selbständig“ arbeiten. Er kann also auch nicht „seine Arbeit verkaufen“, wie es immer wieder so gerne formuliert und geglaubt wird. Um überhaupt arbeiten zu können, braucht dieser Typ Mensch nämlich
jemand, der ihm „Arbeit gibt“, weil er über die entsprechenden Produktionsmittel und -stätten verfügt und ihn dort „beschäftigt“. Er braucht also einen „Arbeitgeber“, weil er in Ermangelung
von Produktionsmitteln nicht einmal in der Lage ist, „selbständig“ zu arbeiten. Dieser Typ Mensch heißt deshalb modern „Arbeitnehmer“ und wird von seinem Arbeitgeber – wenn er Glück hat,
sogar unbefristet ein ganzes Arbeitsleben lang – „abhängig beschäftigt“. Bereits an dieser Stelle ist eine böse Ironie kaum zu übersehen: Freiheit, also das staatlich geschützte Recht, die eigenen
Interessen verfolgen zu dürfen, entpuppt sich für die auf Lohn angewiesene Bevölkerungsmehrheit als der existentielle Zwang, die eigene Lebenszeit und die eigene Kraft in den Dienst fremder
Interessen stellen zu müssen, um überhaupt verdienen, d.h. leben zu können.
„Lohnarbeit ist das Lebensmittel
der Bevölkerungsmehrheit“, schreiben Sie in Ihrem Buch.
Schiffer-Nasserie: Ja.
Das muss unter diesen Bedingungen so sein – allerdings ist Lohnarbeit ein ausgesprochen schlechtes Lebensmittel. Nur weil die vom Lohn Abhängigen keine anderen Mittel haben, heißt das
nämlich noch lange nicht, dass sie in ihrem Arbeitsplatz auch über ein geeignetes Mittel zur Finanzierung ihres Lebens verfügen. Das gilt zunächst einmal für all jene, die zwar darauf
angewiesen sind, Lohn und Brot durch abhängige Beschäftigung zu verdienen, die aber gar nicht arbeitsfähig sind oder deren Beschäftigung im Hinblick auf das Gewinninteresse der Unternehmen zu
unrentabel ist, weil die betreffenden Menschen zu jung, zu alt, zu schwach, zu langsam, zu schwanger oder zu behindert sind. Sie verfügen insofern nicht über die persönlichen oder sachlichen
Bedingungen, um an Geld zu kommen – Geld brauchen sie allerdings natürlich trotzdem, um leben zu können. Andere treten, wie schon erklärt, am Markt an und verkaufen mangels anderer verkäuflicher
Dinge ihre eigene Arbeitskraft. Weil sie einen Arbeitsplatz allerdings nur unter der Bedingung bekommen, dass dieser sich als rentabel erweist, erlösen sie im Normalfall so wenig, dass sie nicht
einmal die mit Sicherheit eintretenden Notlagen ihres Daseins als abhängig Beschäftigte ausreichend finanzieren können: die nötige Qualifizierung ihrer Arbeitskraft, das Wohnen dort, wo es Arbeit
gibt, Verdienstausfall bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und Alter usw. Für die große Mehrheit derer, die am Markt auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft, sprich: auf Lohnarbeit angewiesen sind, ist
insofern Armut der Ausgangs- wie der Endpunkt ihrer ökonomischen Bemühungen.
Und damit wären wir wieder bei
der aktuellen Sozialpolitik.
Dillmann: Daraus entspringen die
Handlungsfelder der modernen Sozialpolitik, die das Buch an neun Kernbereichen „von der Wiege bis zur Bahre“ abhandelt: Sozialpolitik will diese Notfälle, die aus lohnabhängiger Beschäftigung
resultieren, so verwalten, dass die Menschen trotz bzw. mit ihnen in dieser Gesellschaft überleben können.
Wenn wir von „Lohnarbeit“
sprechen, liegt der Begriff „Lohnabhängig“ nicht fern. Durch ihn wird sichtbar, dass die Lohnarbeiter nicht „frei“, sondern „abhängig“ sind. Was genau bedeutet das?
Schiffer-Nasserie: Freiheit und
Abhängigkeit sind, wie schon kurz ausgeführt, im Kapitalismus kein Gegensatz! Es ist vielmehr so, dass gerade die Freiheit, die der Gesetzgeber allen seinen Bürgern gewährt, für diejenigen, die
nicht über Geldmittel verfügen, mit schöner Regelmäßigkeit dazu führt, dass sie sich in die Abhängigkeit eines Lohnverhältnisses begeben müssen – aus freien Stücken!
Ist das nicht ein historischer
Fortschritt des Kapitalismus?
Dillmann: Darin besteht ja gerade die
ungeheure Produktivkraft „marktwirtschaftlicher“ Dienst- und Arbeitsverhältnisse im Unterschied zu den unfreien, vorbürgerlichen Ausbeutungsverhältnissen, die alle mehr oder weniger auf unmittelbarem
Arbeitszwang beruhten. Unter den bisher dargelegten Bedingungen von rechtlicher Freiheit, eigentumsbedingter, existenzieller Markt- und Geldbedürftigkeit und der auf Armut an Produktionsmitteln
beruhenden Unfähigkeit, selbständig Geld durch den Verkauf von Produkten zu erzielen, entwickelt sich das wohlverstandene „Eigeninteresse“, für andere zu arbeiten, von ihnen beschäftigt zu werden.
Arbeit, die in vorbürgerlichen Zeiten den Menschen als eine möglichst zu vermeidende Last oder zumindest als notwendiges Übel erschien, wird unter diesen Bedingungen zur Tugend und zum ganz
speziellen Massenbedürfnis: Die überwältigende Mehrheit der Menschheit „sucht Arbeit“!
Armut ist also, wie Sie sagen,
unter den gegebenen systemischen Rahmenbedingungen der Ausgangs- und Endpunkt vieler Bürger?
Schiffer-Nasserie: Ja, und die Gründe
haben wir ja bereits in Ansätzen erläutert. Armut ist aber auch das Resultat rentabler Lohnarbeit, weil Lohnabhängige nur beschäftigt werden, wenn sie mehr Reichtum herstellen, als ihre Bezahlung
kostet. Indem die Produkte und Dienstleistungen der Lohnabhängigen nicht ihnen, sondern ihren Arbeitgebern gehören, steht der von ihnen hergestellte Reichtum den Lohnabhängigen als wachsendes fremdes
Eigentum ihrer Arbeitgeber gegenüber. Arbeit macht eben nicht jene reich, die sie verrichten, sondern jene, die sie beschäftigen. Deshalb geht die so genannte Schere zwischen Armut und Reichtum immer
weiter auf. Hinzu kommt die zunehmende Kapitalkonzentration im Zuge jeder weiteren Rationalisierungswelle auf der einen Seite und die Verarmung bisher regulär Beschäftigter durch Entlassungen und
Frühverrentung auf der anderen Seite. Für einen Skandal, das heißt für einen Verstoß gegen Recht, Ordnung und die guten Sitten in diesem Land kann man das nur halten, wenn man von den ökonomischen
Gesetzen des Kapitalismus noch nichts weiß oder nicht mehr wissen will. Das muss sich ändern.
Sie haben mit Ihrer Untersuchung
versucht durch die Oberfläche der Armutsforschung zu dringen. Zu welchem abschließenden Befund sind Sie denn gekommen?
Schiffer-Nasserie: Wir
sind zu dem Resultat gekommen, dass sozialwissenschaftliche Armutstheorien sehr grundsätzlich falsch liegen, wenn sie Armut in dieser Gesellschaft als Ausnahme definieren bzw. wenn sie Armut als
quantitative Abweichung vom Normaleinkommen fassen.
Mit dieser Position weichen Sie
stark von der Betrachtung der bekannten Sozialforschung ab.
Schiffer-Nasserie: Das ist uns bewusst.
Aufklärung und wissenschaftlicher Fortschritt gehen eben auch in der Gegenwart nicht ohne die Kritik weit verbreiteter „Irrtümer“.
Inwiefern „irrt“ die moderne
Armutsforschung?
Dillmann: In Kurzform:
Wer die Einkommen und Vermögen dieser Gesellschaft in ihrer quantitativen Verteilung misst, der geht erstens darüber hinweg, dass die Einkommensquellen qualitativ verschieden sind und im
Gegensatz zueinander stehen. Darin verharmlost die Armutsforschung den fundamentalen Gegensatz der beiden Einkommensquellen von Kapital und Lohnarbeit zu einem quantitativen Unterschied vermeintlich
gleichartiger Einkommensbezieher. Gewinn steht aber gegen Lohn und umgekehrt; das als bloß unterschiedlichen Anteil an Geldzuflüssen erfassen, ist ökonomisch nicht zutreffend, wenn
auch politisch gewiss opportun – denn so wird ein ökonomischer Antagonismus in die Frage sozialer Gerechtigkeit verwandelt. Davon lebte und lebt die Politik der deutschen Sozialdemokratie. Zweitens
erklärt die geltende „Armutsdefinition“ (arm ist, wer weniger als 50% des Medianeinkommens bezieht) Armut einfach per Definition zu einem Minderheitenphänomen, einer Abweichung vom „Normalen“. Bei
durchschnittlichen Löhnen und Gehältern sieht die empirische Sozialforschung schlicht nichts, was sie an Armut erinnert – auch dann nicht, wenn das Einkommen dieser „Normalen“ augenfällig
weder dazu reicht, die absehbaren Schadensfälle ihrer Lohnarbeitsbiografie (Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter, Pflegebedürftigkeit) selbständig zu finanzieren, ihre Familien anständig zu unterhalten
und schon gar nicht, aus der ständigen Not des Kalkulierens mit Zeit und Geld (mehr arbeiten oder mehr sparen – in der Regel beides) einmal herauszukommen. Moderne Armutsforschung geht weder den
ökonomischen Gründen des Ausschlusses nach noch ist sie in der Lage logisch zu begründen, warum die Reichen im Kapitalismus notwendig immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Lob und Tadel des
deutschen Sozialstaats gehen in der wissenschaftlichen Debatte gründlich an einer nüchternen Bestimmung seiner Ziele, seiner Entstehung und den Ursachen der aktuellen Notlagen von Millionen Menschen
vorbei. Das wollten wir in unserem Buch anders machen.
Worauf läuft Ihre Kritik
hinaus?
Schiffer-Nasserie: Wir wollen einen
theoretischen Beitrag zur Neuformierung praktischer gesellschaftlicher Gegenwehr leisten. Die ist bitter nötig. Wir sind der Überzeugung, dass diese nicht ohne eine nüchterne, voreingenommene
Betrachtung der vorgefundenen Verhältnisse erfolgreich gelingen kann.
Dillmann: Und schon gleich nicht mit der
Neubelebung der sozialdemokratischen Lebenslüge, dass die Interessen von Kapital und Lohnarbeit vereinbar seien. Deshalb beschäftigen wir uns im Buch auch explizit mit dem Aufstieg und dem Zerfall
der Sozialdemokratie in Deutschland. Auch wenn wir damit sicher manche Leser erst mal enttäuschen. Und wir untersuchen den „real-sozialistischen“ Gegenentwurf der DDR und ihrer Sozialpolitik jenseits
der üblichen Verurteilungen und Vereinnahmung. Beide Varianten der alten Arbeiterbewegungen sind unseres Erachtens „zu kurz gesprungen“.
Lesetipp: Renate
Dillmann / Arian Schiffer-Nasserie Der soziale Staat: Über nützliche Armut und ihre Verwaltung. Ökonomische Grundlagen | Politische Maßnahmen | Historische Etappen. 304 Seiten | Hardcover | 2018 | EUR 19.80
Hartz-IV-Bezieher mit bürokratischem Wahnsinn konfrontiert. Schikane und Existenznot drohen
Von Susan Bonath
Kafkaesker
Behördenirrsinn: Wer sich den Prozessen in deutschen Jobcentern nicht ergeben mag, muss teils hart um sein Recht kämpfen
Foto: Christian Charisius/dpa
Olaf B. (Name geändert) ist verzweifelt. Seit drei
Monaten hat der 35jährige getrennt lebende Vater zweier Söhne, zwölf und ein Jahr alt, kein Geld gesehen. Dabei hat er sich bereits im Oktober, unmittelbar nach dem Ende seines langjährigen
Arbeitsverhältnisses in einer Leiharbeitsfirma, erwerbslos gemeldet. Anspruch hat er auf Arbeitslosengeld I (ALG I) und aufstockendes Hartz IV. Doch dann findet er sich in einem bürokratischen Wust
zwischen Arbeitsagentur und Jobcenter im Landkreis Börde, Sachsen-Anhalt, wieder. Unterlagen scheinen zu verschwinden, immer neue Aufforderungen zur Mitwirkung ereilen ihn. »Ich habe völlig den
Überblick verloren«, sagt B.. Dabei ist er pleite: Zwei Monatsmieten ist er schuldig, Rechnungen bleiben liegen, Mahnungen erreichen ihn. Er kann nicht einmal die Fahrten mit der Bahn zu den Ämtern
finanzieren. Die 8,70 Euro für den Sparpreis muss er sich von Freunden leihen. Sozialtickets gibt es dort nicht.
Am Ende geht die Geschichte gut aus. Doch alleine,
sagt B., hätte er das nicht geschafft. In Begleitung klärt er Ende Januar bei den Ämtern das Problem. Man sagt ihm: Erstens hätte er den ALG-I-Antrag vor dem Hartz-IV-Antrag stellen müssen, nicht
umgekehrt. Das hört er allerdings zum ersten Mal. Außerdem fehlt angeblich ein Kontoauszug von Mitte 2018. Den habe er eingereicht, beteuert B.. Er sei aber nicht da, meint die Sachbearbeiterin. Die
Sparkasse um die Ecke verlangt fünf Euro pro Blatt. Sofort ausdrucken sei aber nicht möglich, man müsse das Gewünschte mit der Post schicken und die Gebühren abbuchen, heißt es. Doch B.s Konto ist
leer. Die Angestellte zuckt mit den Schultern: »Dann geht das nicht.«
Beim Jobcenter versteht das Problem zunächst
niemand. Doch warten kann B. nicht. Er und seine Kinder, für die er sich das Sorgerecht mit der Mutter teilt, müssen essen. Der Wohnungsverlust muss verhindert werden. Als er die Sachbearbeiterin
dringlich bittet, tätig zu werden, droht sie mit dem Sicherheitsdienst. Dann schickt sie ihn doch zur Leistungsabteilung. Nach langem Hin und Her wird eingelenkt: Es sei unstrittig, dass B. Anspruch
auf Leistungen habe, stellt man dort fest und drückt ihm einen Zettel mit Barcode in die Hand. Damit soll er sich beim Drogeriemarkt Rossmann in der Innenstadt einen Regelsatz von 424 Euro auszahlen
lassen – als Vorschuss, bis die Anträge fertig bearbeitet sind. »Das Jobcenter ist wie ein Feind, der darauf lauert, dass man Fehler macht«, findet er.
»Verschleppte Anträge bei gleichzeitiger mangelhafter Beratung sind ein bekanntes Problem, das sich aktuell offenbar sogar verschlimmert«, weiß die frühere Jobcentermitarbeiterin Inge Hannemann (Die
Linke). Sie kann es »nachvollziehen, wenn Menschen bei den vielen An- und Nachforderungen nicht mehr durchblicken«. Viele hätten »nur noch Angst vor dem Jobcenter«. Oftmals, erklärte Hannemann im
Gespräch mit jW, führe dies auch noch zu Sanktionen. »Vor allem junge Leute melden sich aus Furcht nicht mehr, andere verzweifeln und rutschen
ebenso in eine Spirale aus Verschuldung und immer mehr Armut«, sagte sie. Sich gegen die Schikanen zu wehren, könne Jahre dauern. Das fehlende Budget im Rücken mache Betroffene abhängig und lasse sie
vor Gegenwehr zurückschrecken. »Um wirklich zu seinem Recht zu kommen, muss man eigentlich besser sein, als das Jobcenter selbst«, konstatierte sie.
Mit brutaler Gewalt wird der Klassenkampf von oben gewonnen. Das ist absehbar.
Der Multimilliardär Warren Buffett hat schon Anfang des Jahrtausends verlautbart*, es gebe Klassenkrieg und es sei seine Klasse, die Klasse der Reichen, die diesen Krieg gewinne. Zur Zeit wird uns
vermutlich vorgeführt, wie das geht. In Frankreich. Mit Deckung von Präsident und Regierung geht die französische Polizei mit brutaler Gewalt gegen Gelbwesten vor. Hier ist
eine eindrucksvolle Bilanz des Geschehens. Aus diesem Text stammt der oben gezeigte Ausschnitt, den ich bewusst hier eingestellt habe, weil wir in den deutschen Medien ansonsten wenig von der
Brutalität dieses Klassenkampfes erfahren. Albrecht Müller.
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Sie müssen nach unten
scrollen und finden dann die Fotos der schon im November und Dezember verletzten Menschen. Das reicht, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie die Regierenden mit dem Volk umgehen, wenn es seine
Stimme zum Protest erhebt.
Die folgenden Fotos geben
einen Eindruck von der Depression, die die staatliche Gewalt bei den protestierenden Menschen auslöst:
Die Bundesregierung schweigt zu den Vorgängen.
Von Angela Merkel, die
gestern den französischen Präsidenten in Aachen getroffen hat, war nichts zu hören. Hat sie bei Macron die Einhaltung der Menschenrechte angemahnt? Mit Sicherheit nicht.
Man muss davon ausgehen,
dass in der gesamten westlichen Welt und auch in Deutschland im Notfall der von Warren Buffett beschworene Krieg der Reichen gegen die Armen mit ähnlichen Mitteln, wie sie in Frankreich sichtbar
werden, geführt wird.
„Noch nie waren die Reichen
hierzulande so reich wie heute. Und noch nie war das Vermögen in Deutschland so ungleich verteilt. Wer sind sie, dieses oberste Prozent oder Promille der deutschen Gesellschaft? Wie leben sie? Und
was denken sie über Deutschland? Grimme-Preisträger Florian Opitz unternimmt eine Reise in die diskrete Welt der Superreichen.
Ein Prozent der Deutschen
besitzt über ein Viertel der Vermögenswerte des Landes, die Hälfte der Bürger hat wiederum gar kein Vermögen. Noch nie waren die Reichen so reich wie heute. Und noch nie waren die Vermögen in
Deutschland so ungleich verteilt.“
Der Film zeigt, auch wenn
er nicht sonderlich kritisch ist, eindrucksvoll: der Teufel macht auf den größeren Haufen. Ganz selbstverständlich wird hierzulande hingenommen, dass die Vermögensverteilung immer weiter
auseinandergezogen wird.
Die im Film skizzierte
Entwicklung wird von der Bundesregierung und der Bundeskanzlerin hingenommen. Es wird nichts dagegen getan. Im Gegenteil. Man nimmt in Kauf, dass die Großkonzerne um vieles weniger Steuern zahlen als
die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger. Man hat bei der Erbschaftssteuer entlastet. Man lässt die Vermögenssteuer ruhen und tut nichts gegen Steueroasen, die der normale Mensch in der Regel
nicht nutzen kann, die Superreichen aber schon. Und wenn einer dieser Vermögenden eine seiner Kapitalgesellschaften verkauft, dann sind die versteckten Gewinne bei der Realisierung auch noch
steuerfrei.
Noch gibt es in Deutschland
keine den Gelbwesten vergleichbare Aufstandsbewegung.
Der arte-Film zeigt, dass
auch hierzulande eine Protestbewegung notwendig wäre. Aber wenn sich diese bilden würde, dann würde Politik und Polizei vermutlich ähnlich reagieren wie in Frankreich. Der Klassenkampf von oben würde
auch hierzulande geführt, auch mit Gewalt.
Fazit: Die Artikelüberschrift “Mit brutaler Gewalt wird der Klassenkampf von oben gewonnen. Das ist absehbar” klingt resignierend und deprimierend. Ist das verwunderlich?
Würden Sie Ihrem 23-jährigen studierenden Sohn oder ihrer 50-jährigen Tante raten, sich zusammenschießen zu lassen, ein Bein, einen Arm oder ein Auge zu verlieren oder das Gebiss zertrümmert zu
bekommen? Die Brutalität hat abschreckende Wirkung. Sie zeigt, was der Multi-Milliardär aus den USA meinte, wenn er vorhersagte, der Klassenkampf werde von denen da oben gewonnen. Dank der Helfer in
der Politik, von Macron bis Merkel, dank der Mitwirkung der Polizei und auch dank der Medien, die zumindest in Deutschland die Brutalität des Vorgehens gegen die Gelbwesten, also gegen die
protestierenden Ausgegrenzten und sogenannten Kleinbürger niedrig hängen.
(Warren Buffett Original engl.: ”There’s class warfare, all right, but it’s my class, the rich class,
that’s making war, and we’re winning.” – im Interview mit Ben Stein in New York Times, 26. November 2006)
Todesfälle durch Pfefferspray und Taser: Für Politik und Polizei nicht der Rede wert
Von Markus Bernhardt
Warmmachen: Beamte des
Sondereinsatzkommandos üben den Einsatz von Tasern (29.11.2012)
Foto: Boris Roessler/dpa
Verschlusssache
In den USA, wo Taser bereits seit
längerem benutzt werden, verzeichnete die dortige Sektion von Amnesty International zwischen 2001 und 2017 über 700 Todesfälle im Zusammenhang mit dem Einsatz der Waffe. Die besagten
Elektroschockpistolen verfügen über Metallpfeile, die sich in den Körper bohren und eine Spannung von bis zu 50.000 Volt übertragen. Infolge dessen erlahmt die Muskulatur. Besonders für Menschen, die
auf die Einnahme von Psychopharmaka angewiesen sind oder Drogen wie Kokain oder Ecstasy konsumiert haben, kann der Beschuss tödlich enden.
In der als »Verschlusssache«
eingestuften Broschüre »Handhabungshinweise für Reizstoffsprühgeräte mit Pfefferspray« des Polizeitechnischen Institutes (PTI) der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster von 2008 wird der
Einsatz von Reizgas bewertet. Darin geben die Behörden zu, dass die Gefahr für Betroffene, die unter »Drogeneinfluss stehen und/oder sich zuvor heftig körperlich angestrengt haben« besonders groß
sei. Allein das Einatmen des Sprays kann zu schwerer Luftnot führen, was vor allem für Asthmatiker eine überdurchschnittliche Gefahr darstellt. Den Betroffenen droht Blutdruckabfall oder -anstieg
sowie eine verringerte oder erhöhte Herzfrequenz und eine damit einhergehende Bewusstlosigkeit. Keineswegs in seiner Gefährlichkeit zu unterschätzen ist unterdessen auch der Sprühstrahl der
Spraydosen selbst. Wird man aus nächster Nähe getroffen, kann je nach Abstand und Härtegrad des Sprühstrahls sogar eine Erblindung drohen. (bern)
Verkleinern
Die Militarisierung der Polizei fordert immer wieder Todesopfer. Am vergangenen Freitag verstarb im rheinland-pfälzischen Pirmasens erneut ein Mann infolge eines Tasereinsatzes durch die Polizei. Der
56jährige, offenbar psychisch erkrankte Mann sollte gegen seinen Willen von den Beamten zu einer ärztlichen Untersuchung gebracht werden. Als er sich dagegen zur Wehr setzte, griffen die zur
Elektroschockpistole. Nachdem der Mann kollabiert war und ins Krankenhaus gebracht wurde, verstarb er dort. Laut Obduktionsbericht, über den der SWR am Montag berichtete, soll er einen Herzinfarkt erlitten haben. Erst im vergangenen Oktober war ein 43jähriger Mann in Nürnberg verstorben, der zuvor von
der Polizei mit einem Taser beschossen worden war.
Auch der Einsatz durch Pfefferspray fordert immer
wieder Todesopfer. Am 12. Januar war ein 36jähriger Mann in Berlin verstorben, der bereits am 27. Dezember Opfer eines polizeilichen Pfeffersprayeinsatzes geworden war. Der Betroffene hatte infolge
des Einsatzes des gefährlichen Sprays das Bewusstsein verloren und verstarb.
Obwohl mittlerweile in regelmäßigen und immer
kürzeren Abständen nach Pfefferspray- und Tasereinsätzen Menschen zu Tode kommen, weigern sich die Beamten und auch verantwortliche Politiker, die Gefahren für Leib und Leben auch nur zur Kenntnis zu
nehmen. In der Vergangenheit hatte es mehrfach Initiativen in Bund und Ländern gegeben, zumindest die Zahl der Todesfälle, zu denen es nach Taser- oder Pfeffersprayeinsätzen kam, statistisch erfassen
zu lassen. Dies wurde jedoch immer verweigert. Und der Zusammenhang zwischen den Einsatzmitteln und den Todesfällen wurde stets bestritten. Bürgerrechtsorganisationen sprechen sich klar gegen diese
Waffen aus. So hatte etwa die niederländische Sektion von Amnesty International bereits im vergangenen Jahr einen Bericht zum Probelauf des Tasers in den Niederlanden erstellt. Darin widerlegten die
Menschenrechtler viele Argumente, die von den Befürwortern auch in Deutschland vorgebracht werden. Außerdem sei bereits das Training für die Beamten »mangelhaft« gewesen. In der nur zwei Tage
dauernden Vorbereitung seien »viele Risiken, die selbst vom Hersteller ausführlich vorgebracht werden, kaum behandelt« worden.
Zwar ist der Taser darauf ausgerichtet, vermeintliche Delinquenten auf Distanz zu halten, er wurde in den Niederlanden jedoch in 44 Prozent aller Fälle im sogenannten Drive-stun mode genutzt,
monierte Amnesty. Dies bedeutet, dass die Waffe direkt an den menschlichen Körper gehalten und ein andauernder Stromschlag abgegeben wird. »Dieser Modus dient einzig der Schmerzzufügung, um
Widerstand zu brechen«, kritisieren die Bürgerrechtler. Sie weisen zudem darauf hin, dass der Taser in 80 Prozent der Fälle gegen Unbewaffnete eingesetzt worden war. Die Erkenntnisse der Organisation
stoßen bei den in Deutschland verantwortlichen Politikern und Behörden jedoch nach wie vor auf taube Ohren. So werden Taser im Rahmen der Verschärfungen der Polizeigesetze der Länder aktuell nach und
nach in den alltäglichen Gebrauch überführt.
Studie: Vermögen der Milliardäre in Deutschland um mehr als 20 Prozent gestiegen. Jedes fünfte Kind von Armut betroffen
Von Simon Zeise
Die deutschen
Oligarchen Georg Schaeffler (l.), Susanne Klatten und Stefan Quandt bereichern sich schamlos
Foto: Daniel
Karmann/dpa; Matthias Balk/dpa; Frank Rumpenhorst/dpa; Montage jW
Die Bundesrepublik zählt zu den Industrienationen, in
denen die Ungleichheit am größten ist. Das reichste eine Prozent der Kapitalisten verfügt hierzulande über soviel Vermögen, wie die ärmsten 87 Prozent der Lohnabhängigen. Das geht aus einem Bericht
zur sozialen Ungleichheit der Organisation Oxfam hervor.
Im vergangenen Jahr konnten die Multimilliardäre in der
BRD förmlich im Schampus baden, denn laut Bericht ist es ihnen gelungen, ihren Reichtum um 20 Prozent zu steigern. Geschmiert liefen ihre Geschäfte dank der freundlichen Hilfe der Bundesregierung.
Beim Amtsantritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) 2005 hatten die Hochvermögenden in Deutschland Bargeld, Einlagen, Wertpapiere und Forderungen an Versicherungen im Wert von rund vier
Billionen Euro angehäuft. 14 Jahre später hat es die Bundesregierung geschafft, das Geldvermögen der »privaten Haushalte« auf mehr als sechs Billionen Euro zu steigern – das Bruttoinlandsprodukt der
BRD umfasste 2018 lediglich 3,3 Billionen Euro. Möglich wurde das deshalb, weil Deutschland das Eldorado für Kapitalisten ist. Das Erbe von Konzernchefs wird auf Minderjährige übertragen, um den
Besitz am Fiskus vorbeizuschleusen. Eine Vermögenssteuer wird seit 1997 nicht mehr erhoben.
Für die Leistung der Bundesregierung ist schnell ein
Zeugnis ausgestellt: Mit 15,8 Prozent liege die Armutsquote auf dem höchsten Stand seit 1996, teilte Oxfam mit. Jedes fünfte Kind sei von Armut betroffen. Frauen verdienten im Durchschnitt 21,5
Prozent weniger als Männer. Schlechter sei die Lage in der EU nur in Estland und Tschechien.
Weltweit seien die Vermögen der Superreichen 2018
täglich um 2,5 Milliarden Dollar (2,19 Milliarden Euro) auf 900 Milliarden Dollar gestiegen, berichtet Oxfam – ein Plus von zwölf Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 26 Milliardäre besäßen genauso viel
wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Das Vermögen von Amazon-Chef Jeffrey Bezos, dem reichsten Mann der Welt, sei 2018 auf 112 Milliarden Dollar angewachsen. Das Gesundheitsbudget Äthiopiens
entspreche demnach einem Prozent seines Vermögens.
Die Bosse und Spekulanten haben diese Summen nicht
erarbeitet. Sie bedienten sich am öffentlichen Eigentum, raubten den von der arbeitenden Bevölkerung geschaffenen Mehrwert. Die Einkommen und Vermögen der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung sind im
vergangenen Jahr um elf Prozent gesunken. 3,4 Milliarden Menschen hätten pro Tag maximal 5,50 Dollar zur Verfügung. Vielen von ihnen drohe etwa bei Krankheit der Fall in die extreme Armut, weil sie
Behandlungen oder Medikamente nicht bezahlen könnten. Insgesamt lebten 736 Millionen Menschen in extremer Armut und müssten mit weniger als 1,90 Dollar täglich versuchen zu
überleben.
Doch es regt sich Widerstand. In Frankreich gingen am
Sonnabend erneut 84.000 »Gelbwesten« auf die Straße, um gegen die Kürzungspolitik des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu demonstrieren. ATTAC Deutschland hatte am Freitag abend erklärt:
»Die Erosion des Vertrauens nicht nur zu Macron, sondern zu den etablierten Institutionen bei gut zwei Dritteln der Bevölkerung ist Symptom der allgemeinen Krise neoliberaler Wirtschafts- Sozial- und
Gesellschaftspolitik.« Es sei ein »genereller Ausdruck von Wut und tiefer Enttäuschung bei ›denen da unten‹ und von Kontrollverlust bei den Herrschenden, wie er sich nach 30 Jahren neoliberaler
Globalisierung nicht nur in Frankreich manifestiert«.
Die VATICAN NEWS schreiben darüber. Die SOS-Kinderdörfer
wissen davon. GRAND TOURISME, das Magazin für Politische Kultur und Mobilität, kann nicht dazu schweigen: Die saudi-arabische Armee verheizt im anscheinend unendlichen Krieg im Jemen Kindersoldaten.
Eisern schweigt die TAGESSCHAU. Das zentrale Nachrichten-Instrument der ARD tut so als wäre nichts. Doch Ladislaus Ludescher vom Germanistischen Seminar der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg hat
diese Grabesstille kühl und wissenschaftlich dokumentiert: In seiner Langzeitstudie "Vergessene Welten" mit Daten zur Berichterstattung der Tagesschau im Jahr 2018 stellt er nach einer Auswertung von
4.000 Tagesschau-Sendungen fest: "Dass sich in der wichtigsten Nachrichtensendung im deutschsprachigen Raum, die täglich durchschnittlich von bis zu 10 Mio. Zuschauern verfolgt wird und für viele
Menschen zu einem nicht unerheblichen Teil die politische Wahrnehmung der Welt bestimmt, die Berichterstattung stark auf den sog. Westen und Nahen Osten konzentriert, wodurch zahlreiche blinde
Flecken entstehen. - Dazu gehört die von den Vereinten Nationen als aktuell schlimmste humanitäre Krise der Welt bezeichnete Situation im von Cholera und Hunger geprägten Bürgerkriegsland
Jemen."
Dass die saudischen Kindersoldaten im Jemen nicht selten mit dem deutschen
Export-Schlager, dem Gewehr G3 von Heckler & Koch ausgerüstet sind, ist kommt in der TAGESSCHAU nicht vor. Auch der Bau einer Waffenfabrik nach deutschem Muster im finsteren Königreich wird von
der ARD-Nachrichten-Schleuder konsequent beschwiegen. Die staatseigene saudische Rüstungsfirma MIC produziert dort das deutsche Sturmgewehr G-36 in Lizenz. Heckler & Koch ist in einer Lage, in
der öffentliche Aufmerksamkeit eher stören könnte. Denn immer noch bemüht sich die gern romantisch "Waffenschmiede" genannte Todes-Fabrik um einen Auftrag für das neue Standardgewehr der Bundeswehr.
Als Ablösung für das bisherige Modell G36. Man ist in Konkurrenz mit anderen Wettbewerbern. In einem vertraulichen Schreiben des Beschaffungsamtes der Bundeswehr hieß es, dass keines der von
verschiedenen Herstellern angebotenen Sturmgewehre die Anforderungen erfüllt habe. Den Unternehmen wurde eine Frist bis zum 15. Februar 2019 gesetzt, um die Probleme zu beseitigen. Da will man
keinesfalls in die Schlagzeilen geraten.
Die Öffentlichkeit
scheut auch Andreas Heeschen, der Mehrheitsgesellschafter bei Heckler & Koch. Das einzige bekannte Foto des Finanzjongleurs zeigt ihn auf einem Pressetermin im Bundestagswahlkampf 2009 in der
Heckler-&-Koch-Zentrale in Oberndorf bei Rottweil. Da begrüßte der Schattenmann den Strippenzieher der CDU, Volker Kauder, damals Chef der Unions-Bundestagsfraktion, und auch den einstigen
Verteidigungsminister Franz Josef Jung. Rechts von Heeschen saßen die Gäste aus Berlin. Links von ihm stand ein Maschinengewehr. Auf Fotos aus dem jemenitischen Kampfgebiet kann man das
Maschinengewehr 4 (MG4) erkennen: Eine neue Waffe. Sie wurde erst seit 2005 bei den deutschen Streitkräften eingeführt. Heckler & Koch wirbt in Hochglanz-Prospekten gern mit der Feuerkraft des
Mordgerätes: "Die große Kampfkraft und Kampfreichweite, die optimale Feuergeschwindigkeit und die einfache Handhabung machen es zu einer Waffe, die ihresgleichen sucht." Seinesgleichen sucht auch das
konsequente Schweigen deutscher Medien über den Krieg im Jemen. Das stellte auch die Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) fest.
Die INA ist ein
Zusammenschluss von Medienwissenschaftlern und Journalisten, die die Öffentlichkeit auf Themen und Nachrichten aufmerksam macht, die von
deutschen Massenmedien vernachlässigt werden. Unter den "Top 10 der vernachlässigten Themen im Jahr 2017" rangierte der Krieg im Jemen weit vorne. Die Initiatoren des Berichts gehen von der
Prämisse aus, dass es in der deutschen Medienwelt ein ausgeprägtes „Rudelverhalten“, Themenkonjunkturen und notorisch ausgeblendete Themen gibt. Fraglos ist der Leitwolf des Rudels die
TAGESSCHAU.
Jüngst erst hat
die Bundesregierung einen Kriegsschiff-Export nach Ägypten bewilligt. Das Land ist Teil der von Saudi-Arabien geführten Koalition gegen die sogenannten Huthi-Rebellen im Jemen. Und die
ägyptische Luftwaffe war auch an Bombardements im geschundenen Land beteiligt. Davon kein Wort in der TAGESSCHAU und in den ihr folgenden Subsystemen. Die Fregatte aus der Werft von Thyssen
Krupp Marine Systems kostet rund 500 Millionen Euro.
Das ist ein ganz ordentliches Schweigegeld.
Auch wenn es nicht unmittelbar in die Redaktionen fließt. Schließlich schweigt auch die deutsche Regierung zu den saudischenm Verbrechen. Obwohl in den Staatsverträgen der öffentlich-rechtlichen
Sender nicht verankert ist, dass sie nur das senden, was der jeweiligen Regierung genehm ist, handeln sie doch so. Der arme deutsche Medien-Konsument wird zu VATICAN MEDIA wechseln müssen, wenn er
über die Rüstungs-Seilschaften informiert sein will.
RTDeutsch
International
Ukraine: Rechtsradikale "Bürgerwehr" als
Wahlbeobachter bei Präsidentschaftswahl zugelassen
Ukrainische Ultranationalisten formen sich
legal zu "bürgerlichen Formationen" und eine Bewegung wurde nun sogar zum offiziellen Beobachter für die Präsidentschaftswahlen zugelassen.
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Laut der Zentralen Wahlkommission der Ukraine wurde die
rechtsradikale, zum Teil mit Neonazis bemannte "Nationale Bürgerwehr" als offizieller Wahlbeobachter für die Präsidentschaftswahl am 31. März zugelassen. In Deutschland und anderswo wird geschwiegen,
die UN-Mission in der Ukraine schlägt Alarm.
Von Zlatko Percinic
Vor
einem Jahr wurde die "Nationale Bürgerwehr" gegründet, als eine Gruppe von 600 Personen mit dunklen Anzügen durch die Straßen von Kiew lief und dabei einen Eid auf die Gruppierung ablegte. In
einem Video erklären sie ihr Credo: "Wir werden die Ordnung in der Ukraine
herstellen." Anführer dieser neuen Bürgerwehr sind Andrij Biletski, der "Weiße Führer" der Asow-Bewegung und
Chef der politischen Partei "Nationaler Korpus", Igor Michailenko, ein weiterer Asow-Anführer, der sich selbst als "Nationalist" bezeichnet, und Wladislaw Korenok, der als stellvertretender
Kommandeur der ukrainischen Streitkräfte vorgestellt wird. Biletski ist sicherlich die charismatischste Figur in der rechtsextremistischen Szene der Ukraine.
Als
die Menschen in der Ostukraine den Putsch in Kiew im Februar 2014 und vor allem die daran beteiligten rechtsradikalen und ultranationalistischen Kräfte nicht unterstützen wollten, gehörte das
Asow-Bataillon zu den ersten freiwilligen Milizen, die einen Krieg gegen die abtrünnigen Provinzen führen wollten. Unvergessen auch das Interview,
welches Andrij Biletski dem britischen The Telegraph gewährte:
Die historische Mission unserer Nation in diesem
kritischen Moment ist es, die weißen Rassen dieser Welt in einen letzten Kreuzzug für deren Überleben zu führen. Einen Kreuzzug gegen die von Semiten angeführten
Untermenschen.
Nun
ist Biletski aber nicht irgendein durchgeknallter Spinner, wie ihn viele Kriege in ihren chaotischen Anfangsphasen produzieren. Er hat die AK-47 an der Front im Donbass gegen einen Bürostuhl im
ukrainischen Parlament in Kiew eingetauscht und sitzt dort als stellvertretender
Vorsitzender des Ausschusses für Nationale Sicherheit und Verteidigung fest im Sattel.
Da
die "Nationale Bürgerwehr" auch ganz offen für eine paramilitärische
Ausbildung wirbt, sich immer wieder gegen die Regierung von Präsident Petro Poroschenko stark macht und dabei von staatlichen Stellen wie Justiz und Polizei geduldet
wird, glauben viele in der
Ukraine, dass hinter diesem Projekt Innenminister Arsen Awakow steckt.
Fiona Fraser, Leiterin der UN-Mission zur Überwachung der Menschenrechte in der Ukraine, stuft die "Nationale Bürgerwehr" zusammen mit den bekannteren Extremistenparteien, wie den Nationalen Korpus (politischer Flügel des Asow-Bataillons), C-14, Rechter
Sektor oder Swoboda, als Bedrohung für die Demokratie und Freiheit der Menschen in der Ukraine ein. Auch Maria Nikolakaki, Professorin für Erziehung und Pädagogik an der Universität von Peloponnes, beobachtete mit Sorge das Erscheinen dieser Gruppierung in den Straßen der
Ukraine:
Nazis in der Ukraine. Wir dachten, wir würden es nicht
erleben, solche Bilder wieder zu sehen. Dank den USA-EU geschieht es. Traurige Momente der menschlichen Geschichte.
Während es also weltweit durchaus äußerst kritische Stimmen zur gefährlichen Entwicklung in der Ukraine gibt – nicht wenige vergleichen die "Nationale Bürgerwehr" mit der
Sturmtruppe der Nazis – wird dieses Thema hierzulande totgeschwiegen. Kein einziges der großen deutschen Medienportale hat auch nur ansatzweise darüber berichtet. Lediglich die
schweizerische Neue Zürcher Zeitung schrieb über "Kiews umstrittene
Bürgerwehr". Exemplarisch für das Unterdrücken einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung zum Thema Neonazismus in der Ukraine ist die Reaktion der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linken (Drucksache
19/3908).
Die Fragesteller
wollten mit Frage 10 konkret wissen, über welche Kenntnisse die Bundesregierung verfügt hinsichtlich "Aktivitäten, Aktivisten bzw. Mitgliederpotentiale, Finanzierung, Bewaffnung und gesellschaftliche
Resonanz (auch hinsichtlich ihrer Darstellung in Massenmedien) ukrainischer rechtsextremer Gruppierungen". Dabei wurden eine ganze Reihe von Gruppierungen genannt, darunter auch die oben genannten
Organisationen wie C14, Swoboda, Rechter Sektor und eben auch die "Nationale Bürgerwehr". Die Antwort der Regierung lautete:
Die Bundesregierung verfolgt aufmerksam und mit Sorge die
Aktivitäten von der rechtsextremen Szene zugerechneten Gruppierungen in der Ukraine, die nach Einschätzung des Verfassers der zitierten Studie bisher nicht auf wachsende Resonanz in der Gesellschaft
stoßen und spricht dieses Thema auch gegenüber der ukrainischen Regierung an. Nach sorgfältiger Abwägung ist die Bundesregierung zu der Auffassung gelangt, dass eine weitere Beantwortung der Frage 10
aus Gründen des Staatswohls nicht in offener Form erfolgen kann. Eine weitergehende Beantwortung dieser Frage würde Informationen zu Aufklärungsaktivitäten, Analysemethoden und zur aktuellen
Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste des Bundes preisgeben.
Die Frage 11 widmete
sich nochmal konkret der "Nationalen Bürgerwehr" und in der Antwort bestätigt die Bundesregierung, dass gemäß der ukrainischen Gesetzgebung "Bürgerliche Formationen zum Schutz der Öffentlichen
Ordnung lokale Selbstverwaltungen und Strafverfolgungsorgane unterstützen" und dabei sogar "physische Gewalt ausüben" dürfen. Nur zählt sie die "Nationale Bürgerwehr" offensichtlich nicht zu einer
legitimen "Bürgerlichen Formation". Denn ansonsten gebe es keinen Grund für die weitere Ausführung:
Die Bundesregierung beobachtet Berichte über
Registrierungen von Gruppierungen, die der rechtsextremen Szene zugeordnet werden, als bürgerliche Formationen zum Schutz der Öffentlichen Ordnung und der Staatsgrenze aufmerksam und mit Sorge. So
sollen lokale Zellen der "Nazyonalny Druschini" (Nationale Bürgerwehr/Anm.) in den Gebieten Dnipropetrowsk, Wolhynien, Iwano-Frankiwsk und Saporischschja sowie der "Rechte Sektor" in der Region Riwne
als bürgerliche Formationen zum Schutz der Öffentlichen Ordnung und der Staatsgrenze registriert sein.
Wenn also alles
entsprechend der "ukrainischen Gesetzgebung" verläuft, die "bürgerliche Formation" registriert und genehmigt wurde, weshalb sollte die Bundesregierung dann die Berichte über die "Nationale
Bürgerwehr" "aufmerksam und mit Sorge" beobachten? Vielleicht aus denselben Gründen wie viele Ukrainer selbst und andere ausländische Beobachter der Entwicklungen in der Ukraine auch. Dass nun eine
solche Bewegung, mit einem "Weißen Führer" an ihrer Spitze, der einen "Kreuzzug gegen die von Semiten angeführten Untermenschen" propagiert, von der Zentralen Wahlkommission als Beobachter für die
Präsidentschaftswahlen Ende März zugelassen wurde, spricht den ganzen Versicherungen der Bundesregierung und der EU über den demokratischen Fortschritt in der Ukraine blanken
Hohn.
Der "Nationalen Bürgerwehr" kann das aber
alles egal sein. Sie zeigen
sich stolz auf diese politische Legitimierung und die nationale Verantwortung, die ihnen die Zentrale Wahlkommission in Kiew zugesprochen hat. Auf ihrer Internetseite schreiben sie,
dass "sehr bald die Präsidentschaftswahlen beginnen werden". "Unglücklicherweise wird der Wille der Ukrainer von einer großen Zahl an Verstößen begleitet." Deshalb lassen sie "alle, die den
Wahlprozess stören wollen, wissen, dass unsere Kräfte ausreichend vorhanden sein werden, um unverhohlene Verbrechen zu verhindern".
https://youtu.be/2hbcxiSYDpM
Tatsachen v. 07.01.2019
Über 86 000 Erwerbslose in Mecklenburg-Vorpommern Zeit zu handeln statt zu tricksen
Schlechte Meldungen kann die Bundesregierung nicht gebrauchen. Deshalb bleibt sie dabei, die Arbeitslosenzahlen schönzurechnen. Arbeitslose, die krank sind, einen
Ein-Euro-Job haben oder an Weiterbildungen teilnehmen, werden bereits seit längerem nicht als arbeitslos gezählt. Viele der Arbeitslosen, die älter als 58 sind, erscheinen nicht in der offiziellen
Statistik. 2009 kam eine weitere Ausnahme hinzu: Wenn private Arbeitsvermittler tätig werden, zählt der von ihnen betreute Arbeitslose nicht mehr als arbeitslos, obwohl er keine Arbeit hat. Wer die
tatsächliche Arbeitslosigkeit erfassen will, muss ehrlich rechnen. Dazu sagte der damalige Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) am 4.6.2009 in der Fernsehsendung Panorama: „Alles, was an Effekten durch
arbeitsmarktpolitische Maßnahmen entsteht, wird jedes Mal zusammen mit der Arbeitsmarktstatistik veröffentlicht. ... Ich glaube, dass man sich auf die Seriosität dieses Prozesses verlassen kann.“ Wer
anders rechnen wolle, könne ja „seine Zahl veröffentlichen – und dazu ein Flugblatt drucken.“ Das tun wir gern. Auch laut Valerie Holsboer, Vorständin der Bundesagentur für Arbeit, reicht die
offizielle „Arbeitslosenzahl allein […] für eine transparente Darstellung nicht aus“ (Neue Osnabrücker Zeitung vom 16.12.2017). Hier ist die tatsächliche Zahl, die allein auf amtlichen Daten der
Statistik der Bundesagentur für Arbeit beruht. Im Dezember 2018 sind immer noch über 86 000 Menschen in Mecklenburg-Vorpommern erwerbslos. Zeit zu handeln statt zu tricksen.
Offizielle Arbeitslosigkeit, Mecklenburg-Vorp., Dezember 2018 Nicht gezählte Arbeitslose verbergen sich hinter:
62.681
Älter als 58, beziehen Arbeitslosengeld II 7.214 Ein-Euro-Jobs (Arbeitsgelegenheiten) 2.525 Förderung von Arbeitsverhältnissen 92 Fremdförderung 3.083
Bundesprogramm Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt 548 berufliche Weiterbildung 4.321 Aktivierung und berufliche Eingliederung (z. B. Vermittlung durch Dritte) 4.444 Beschäftigungszuschuss (für schwer
vermittelbare Arbeitslose) 56 Kranke Arbeitslose (§146 SGB III) 1.981 Nicht gezählte Arbeitslose gesamt 24.264 Tatsächliche Arbeitslosigkeit, Meckl.-V., Dezember 2018 86.945
Quellen: Bundesagentur für Arbeit: Arbeitsmarkt in Zahlen. Arbeitslosigkeit und Grundsicherung für Arbeitsuchende. Mecklenburg-Vorpommern, Dezember 2018,
Blatt 9. Die dort aufgeführten Gründungszuschüsse und sonstige geförderte Selbstständigkeit haben wir in der Tabelle nicht berücksichtigt.
Das Auschwitz-Komiteelädt für Sonntag, 13. Januar, um 13 Uhr in das Hamburger »Polittbüro« am
Steindamm 45 zur Matinee »Gegen das Vergessen« ein.In einem offenen Brief an Hamburgs Ersten Bürgermeister und an die Präsidentin der
Hamburgischen Bürgerschaft vom Freitag teilte Esther Bejarano, Vorsitzende des Auschwitz-Komitees,dazu mit:
In Hamburg habe ich mich bisher (fast) immer
sicher gefühlt. Aber jetzt müssen wir Ihnen in Ihrer Eigenschaft als Erster Bürgermeister und als Präsidentin der Bürgerschaft Kenntnis geben von einem Vorgang, der uns zutiefst besorgt und den
Eindruck erweckt, als würde sich ausgerechnet ein öffentliches Unternehmen, die Hochbahn Hamburg, im vorauseilenden Gehorsam dem möglichen Druck rechter Kreise beugen: Uns, dem Auschwitz-Komitee,
wurde die Plakatierung in der Hochbahn (…) verweigert. Das ist ein bisher einmaliger Vorgang, denn wir plakatieren unsere Veranstaltungen zur Erinnerung an die Pogromnacht und an die Befreiung des KZ
Auschwitz dort regelmäßig ganz problemlos. Das sieht übrigens die S-Bahn in Hamburg auch so und plakatiert jetzt statt dessen für unsere Veranstaltung. (…)
Unser Plakat zeigt eine Abbildung der
Seebrücken-Demonstration in Hamburg am 29. September 2018: »Gemeinsam gegen den Hass« und »Hamburg zum sicheren Hafen! Schluss mit dem Sterben im Mittelmeer – für sichere Fluchtwege«. Drei Tage
zuvor, am 26. September, hatte die Hamburgische Bürgerschaft einen Antrag (#14465) angenommen »Hamburg ist sicherer Hafen für Flüchtlinge – Kriminalisierung von Seenotretterinnen und -rettern
beenden«. Dieser Beschluss scheint der Hochbahn nicht bekannt zu sein. Dass aber auch noch Kritik an unseren Podiumsgästen geübt wird, das ist schlicht empörend! Auf dem Podium werden Dr. Detlef
Garbe, Direktor der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Dr. Regula Venske, Präsidentin des PEN Deutschland, Ruben Herzberg, ehemaliger Schulleiter, David Begrich aus Magdeburg und eine junge Aktivistin aus
der Antifa gemeinsam mit mir sitzen.
Vom 11. bis zum 14. Januar 2019 veranstaltet die AfD ihren Bundesparteitag in der Sachsen-Arena in Riesa. Dazu erklärte das Bündnis »Aufstehen gegen
Rassismus«:
Die Wahl des Ortes ist kein Zufall. Rechte
Strukturen haben in Riesa Tradition, denn als Wohnort verschiedener NPD-Kader und Verlagssitz der Deutschen Stimme nutzen die NPD und ihre
neonazistischen Anhänger die Stadt seit Jahren als Rückzugsraum und Zentrum ihrer Aktivitäten. Dies prägte Stadt und Zivilgesellschaft. Im Hinblick auf die Landtagswahlen Anfang September will die
AfD auf diesen bereiteten Boden aufbauen und sich als zukünftige Regierungsfraktion in Stellung bringen. (…)
Die Initiative »AfD? Ade!«, der Riesaer Appell
sowie regionale und überregionale Vereine, Parteien und Institutionen veranstalten gemeinsam im betreffenden Zeitraum und darüber hinaus unterschiedlichste Aktionen für eine plurale Gesellschaft.
(…)
Allein mit Veranstaltungen und Lesungen ein
Zeichen gegen die AfD zu setzen, halten wir für unzureichend. Daher wird am 12.1. ab 13 Uhr eine Demonstration stattfinden. Diese beginnt am Bahnhof und führt durch die Riesaer Innenstadt hin zur
Sachsen-Arena. Dort erfolgt eine Protestkundgebung in Sicht- und Hörweite.
4.Januar 2019 * Jahrgang 51 * Nr.1
Polizisten üben Volksverhetzung Rechte Netzwerke nur bei Polizeibehörden in Hessen?
Der Skandal um neofaschistische Netzwerke bei der hessischen Polizei weitet sich aus. Nachdem bereits im Oktober fünf Beamte des 1. Reviers von Frankfurt am Main
suspendiert worden waren, da sie über einen Messengerdienst rassistische Nachrichten verschickt haben sollen, wurden kurz vor Weihnachten insgesamt drei weitere Beamte suspendiert. Der Skandal war
öffentlich bekannt geworden, nachdem eine türkischstämmige Rechtsanwältin am 2. August Strafanzeige erstattete. Sie war von einem „NSU 2.0“ bedroht worden. Nach und nach wurde klar, dass
Polizeibeamte hinter den Bedrohungen stecken mussten. Während der hessische Landesinnenminister Peter Beuth (CDU), dessen Partei gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen die Landesregie
rung stellt, behauptete, dass die Vorgänge „unverzüglich mit Nachdruck verfolgt“ würden und es derzeit keine Anhaltspunkte für ein „rechtes Netzwerk“ bei der
Polizei gebe, sehen SPD, FDP und Linkspartei dies gänzlich anders. Für Hermann Schaus, Parlamentarischer Geschäftsführer und Innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Hessischen Landtag, ist
offensichtlich, dass das Innenministerium und „namentlich Innenminister Beuth“ (CDU) den Skandal unter den Teppich kehren wolle. „Anders ist die Geheimhaltung – auch gegenüber dem LKA – nicht zu
erklären“, so Schaus. Seine Parteifreundin Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, erneuerte ihre Forderung nach Einführung unabhängiger Polizeibeschwerdestellen.
Diese
dürften jedoch „keine zahnlosen AlibiInstitutionen sein, die nur als Feigenblatt dienen“. Die Beschwerdestellen müssten vielmehr organisatorisch unabhängig sein,
seien ausreichend mit finanziellen Ressourcen, qualifiziertem Personal und umfassenden Kompetenzen auszustatten und sollten das Recht haben, Akten einzusehen und Zeugen zu befragen, forderte Jelpke.
Der NRW-Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Michael Mertens, traf die gewagte Einschätzung, dass es Fälle wie in Hessen in seinem Bundesland nicht gebe. Man könne aber aus Frankfurt
lernen, dass es wichtig sei, regelmäßige Fortbildungen zu Moral und Ethik anzubieten. Die gut 50 000 Polizisten, die es in NRW gibt, seien jedoch auch ein „Abbild der Gesellschaft“, so ein Sprecher
der GdP NRW. Es gebe keinen „Gesinnungs-TÜV“.
Oliver Ongaro, Sprecher des antifaschistischen Bündnisses „Düsseldorf stellt sich quer“, sagte zu den Vorgängen in Frankfurt: „Es herrscht eine Stimmung, in
der Flüchtlinge als Straftäter abgestempelt werden.“ Dieses Bild werde auch von den Behörden gezeichnet, so Ongaro. Er habe den Eindruck, dass die Polizei Flüchtlinge als Kriminelle betrachte. Damit
werde auch einer Ideologie gefolgt. Außerdem habe er das Gefühl, dass Vorfälle wie in Frankfurt „sehr lange gedeckelt“ würden. Der DKP-Vorsitzende Patrik Köbele forderte, den braunen Sumpf endlich
trockenzulegen, egal ob sich dieser in Behörden und Geheimdiensten oder offen neofaschistischen Gruppen und Parteien organisiere.
Christian Spenger zu „DW enteignen“ Gegen Entschädigungen
Auf ihrem letzten Berliner Landesparteitag am 15. und 16. Dezember beschloss die Partei „Die Linke“, das Volksbegehren jener Aktivisten zu unterstützen,
die eine „Enteignung“ der Deutsche Wohnen (DW) fordern. Ein für nächstes Frühjahr geplantes Volksbegehren zielt mittlerweile nicht mehr allein auf den DW-Konzern, sondern auf alle privaten
Wohnungskonzerne mit über 3 000 Wohnungen. Sie alle sollen „enteignet“ werden. Die DKP ist immer für die Enteignung der Schlüsselindustrien und Großkonzerne, aber hier ist „Enteignung“ gegen
Entschädigung gemeint. Diese Entschädigung würde die Spekulationsgewinne der Konzerne sichern. Das wird aber erst im Kleingedruckten zugegeben, daher ist die Kampagne in gewisser Weise unehrlich. Die
neoliberale „taz“ ist begeistert: Keine kontroverse Debatte; auch bei der Linkspartei stoße der Antrag auf Zustimmung. Katalin Gennburg, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Fraktion, spreche
gar anerkennend davon, dass sich die Partei „aus der Regierung heraus radikalisiert“. Weil hier mit Illusionen gehandelt wird. Der eher rechte Berliner Landesverband hat nämlich das Problem, dass er
seine Regierungsbeteiligung und auch kommende Wunschkoalitionen, „Rot-Rot“ oder „R2G“, vor der Basis rechtfertigen muss. Denn der Kapitalismus feiert auch in der Hauptstadt, ob mit oder ohne
Beteiligung der Partei „Die Linke“ an derRegierung, fröhliche Urständ. Und die Wagenknechtsche „Aufstehen“Bewegung droht, alle Unzufriedenen abzuholen. Da bietet die populistische
„Enteignen“-Kampagne die Chance, kräftig links zu blinken: Klingt wie Sozialismus, ist aber nichts weiter als Schall und Rauch oder eben, wenn die Kampagne denn wirklich fruchten sollte, die
Erfüllung feuchter Investorenträume, die ihr Wohnraum-Portfolio zum Marktwert inclusive erwartbarem Gewinn würden versilbern können. Man gaukelt Radikalität vor, doch auf der Strecke bleiben die
Berliner Mieter aus der Arbeiterklasse, die so oder so bei einem jährlichen Bevölkerungswachstum von 40000 zunehmend um Wohnraum konkurrieren müssen. Dringend benötigter billiger Wohnraum entsteht
mit dieser Linken nicht. Das Schlimmste aber ist, dass sowohl bei Genossen der Linkspartei wie auch bei den zahlreichen KampagnenUnterstützern einmal mehr Illusionen entstehen, die nur enttäuscht
werden können. Immobilienhaie und AfD-Hetzer reiben sich da die Hände.
Debatte
ärgerlicherweise mangelt es im Außenministerium der BRD an Personen, die weitblickend denken. Doch wir können darauf hoffen, dass in Kürze besser sortierte Personen Einzug halten und geistreicher auftreten. Andernfalls läuft die Beziehung, die wir entwickeln wollen, eher kompliziert. Das wäre nicht in unserem Interesse.
Ich gehe davon aus, dass in Kürze eine bedeutende Trasse aus Asien bis nach Berlin entstehen wird. Wir hoffen darauf! Denn diese neue Verbindung sorgt für einen Aufschwung, auf den wir seit Jahrzehnten hoffen. Und der hier dringend vonnöten ist.
Herzlich willkommen und vielen Dank!
vielen Dank für Ihre Ausführungen. Allerdings werden Sie bei BILD damit nichts bewirken. BILD ist keine Zeitung sondern primär ein Kampfblatt aus einer der unteren Schubladen. Das ist von den Eigentümern so gewollt und in einer westlichen Demokratie offenbar nicht anstößig. Die Zeit wird auch über dieses Blatt hinweggehen.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Landahl
Ihr offener Brief an die Redaktion der BILD-Zeitung spricht mir aus dem Herzen. Ob die Redakteure allerdings eine Richtigstellung in ihrer Zeitung bringen wird, bezweifle ich - entspräche allerdings auch nicht ihrer Tradition - zumal sich dieses üble und primitive Schmieren- und Hetzblatz für eine ganz besondere, intellektuell nicht gerade anspruchsvolle Leserklientel dadurch auszeichnet, rassistisch, volksverhetzend unausgewogen und verlogen zu berichten.
Der Tenor der Berichterstattung dieses Blattes ist schon immer provokant, primitiv und unverschämt gewesen. Fakten werden umgedeutet, geleugnet und führen - wie in dem von Ihnen kritisierten Fall - zu Fake News.
Sie, liebe Frau Tao Lilli, haben richtig gehandelt. Meiner Ansicht nach aber hätte Ihr offener Brief entweder zur Information auch an andere Zeitungen geschickt werden sollen, vielleicht aber auch als Anzeige in einer großen Tageszeitung mit Niveau veröffentlicht werden müssen.