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Es ist von grundlegender Bedeutung, jedes Jahr mehr zu lernen als im Jahr davor.
(Peter Ustinov)

" Bildet euch, denn wir brauchen all euere Klugheit.

Bewegt euch, denn wir brauchen eure ganze Begeisterung.

Organisiert euch, denn wir brauchen eure ganze Kraft".

Titel  der italienischen Erstausgabe L`Ordine nuove vom 1.Mai 1919 Antonio Gramsci

Liebe Leser,

 

diese Seite ist mit dem 28.Februar 2016 neu erstellt worden und soll jedem Interessierten, die Möglichkeit geben, sich mit den dargestellten Texten auf dieser Seite zu verschiedenen Themen weiterzubilden bzw. entsprechendes Wissen wieder zu erneuern und zu festigen. Natürlich können diese inhaltlichen Auszüge, keine abschließende Bildung darstellen und somit auch nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Sie sollen dazu anregen, sich intensiver mit dieser Problematik zu beschäftigen, seine eigene Meinung selbstkritisch zu hinterfragen und der vielfach einseitigen bürgerlichen Berichterstattung in Rundfunk. Fernsehen und Zeitungen zu widersprechen.

Gerne können Sie mir unter der angezeigten Mailadresse Ihre Meinung, Kritiken und anregungen übermitteln.

 

Carsten Hanke

Das Lied von der Suppe

 

 

Wenn du keine Suppe hast Willst du dich da wehren?

Da musst du den ganzen Staat Von unten nach oben umkehren Bis du deine Suppe hast. Dann bist du dein eigener Gast.

Wenn für dich keine Arbeit zu finden ist

Da musst du dich doch wehren! Da musst du den ganzen Staat Von unten nach oben umkehren Bis du dein eigener Arbeitgeber bist. Worauf für dich die Arbeit vorhanden ist.

Wenn man über eure Schwäche lacht Dürft ihr keine Zeit verlieren

Da müsst ihr euch kümmern drum Dass alle, die schwach sind marschieren Dann seid ihr eine große Macht. Worauf keiner mehr lacht.    

      B.Brecht

Aus: Ausgabe vom 11.04.2020, Seite 12 / Thema
75 Jahre Befreiung

Erinnerung und Vermächtnis

Vor 75 Jahren wurde das Konzentrationslager Buchenwald befreit – von den Häftlingen selbst. Das wird seit 1990 bestritten
Von Günter Pelzl
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Jule Rouard/bit.ly/2yK5om0/creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de
Das Konzentrationslager Buchenwald kurz nach der Selbstbefreiung (Foto von Jules Rouard, Kriegsfreiwilliger in der 1. US-Armee, 16. Infanteriebataillon, 16. April 1945)

 

Günter Pelzl (Jg. 1948) ist promovierter Chemiker. Er war hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit und dort zunächst in der Abteilung »Geheimschriften und Markierungen«, dann in der Abteilung »Analyse und Reproduktion von Dokumenten« tätig. Einer seiner ihn prägenden Vorgesetzten war der Buchenwald-Häftling Richard Großkopf (1897–1977). Günter Pelzl schrieb an dieser Stelle zuletzt am 25. Juni 2018 über Sonia Combes Studie »Ein Leben gegen ein anderes. Der ›Opfertausch‹ im KZ Buchenwald und seine Nachgeschichte«.

Vor mir liegt ein kleines, vergilbtes Buch. Umschlag und Vorsatzblatt fehlen. Eigenartigerweise beginnt es mit der Seitenzahl fünf. Der Titel ist lapidar: »Bericht des internationalen Lagerkomitees Buchenwald«. Ich habe eine Weile gebraucht, um herauszufinden, was es mit den fehlenden vier Seiten auf sich hat. Dort stand ursprünglich das Vorwort. Es war herausgelöst worden. Der Verfasser war in Ungnade gefallen: Zu Unrecht beschuldigt, 1951 von einem sowjetischen Militärgericht als angeblicher Kriegsverbrecher zu lebenslanger Haft verurteilt und im August 1952 in einem Arbeitslager in Workuta in der Sowjetunion gestorben. Sein Name: Ernst Busse, Metallarbeiter und Kommunist aus Solingen, Lagerältester und Funktionshäftling, sogenannter Kapo, im Krankenbau im Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar. Busse war anonym beschuldigt worden. Es hieß, er habe sich an der Tötung von Häftlingen durch Giftinjektionen beteiligt und sei indirekt für den Tod zweier sowjetischer Genossen verantwortlich. Eine Untersuchungskommission der SED kam am 7. November 1946 zu dem Ergebnis, »dass der Genosse Busse im Sinne der gegen ihn erhobenen konkreten Anklagen nicht als schuldig anzusehen ist«.¹ Ernst Busse wurde trotzdem politisch »kaltgestellt«. 1950 wurde er schließlich nach Berlin-Karlshorst zu einer Besprechung einbestellt, und dort von Mitarbeitern des sowjetischen Volkskommissariat für innere Angelegenheiten (NKWD) verhaftet.

 

Niederträchtig und schändlich

75 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald am 11. April 1945 scheint es mehr als angebracht, aus dem Bericht des Lagerkomitees zu zitieren. Es ist hier nicht der Ort, stilistische Feinheiten zu diskutieren, der Inhalt ist von Bedeutung, denn er deutet auf erschreckende Weise in unsere heutige Zeit:

»Lange, ehe die Nazis zur Macht kamen, traten die Kommunisten auf den Plan und warnten das Volk vor der Hitlerclique. Denn wir wussten, dass Hitler Krieg und Not, Elend und Chaos bedeuten würde. ›Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!‹ Das sagten wir 1932 dem deutschen Volk. Aber unsere Warnungen verhallten ungehört, und wo sie gehört wurden, da wurden sie nicht verstanden. Als dann die Nazis an die Macht kamen, als sie immer unverhüllter und frecher ihre blutige Fratze zeigten, da verkrochen sich Millionen aus Angst vor dem Naziterror. Das Gespenst des Konzentrationslagers lag wie ein dunkler Schatten über ganz Deutschland. Nur ein kleiner Teil des Volkes blieb aufrecht. (…)

Heute gibt es viele Menschen in Deutschland, die erklären: ›Wir haben es nicht gewusst. Wir wussten nichts von Buchenwald, von Auschwitz, von Sachsenhausen usw.‹ Aber die Thüringer wussten sehr genau, was Buchenwald war. Denn wenn man einen fragte, warum er sich nicht gegen das Verbrechertum der Nazis zur Wehr setzte, so antwortete er: ›Dann käme ich ja nach Buchenwald!‹ Die Angst vor Buchenwald steckte allen Thüringern in den Knochen. (…)

Das deutsche Volk hat sich nicht nur an den Besten in seinen eigenen Reihen vergangen, sondern darüber hinaus an allen Völkern Europas. Jedem erschien es als ganz selbstverständliches Recht, dass Deutschland Österreich annektierte, in die Tschechoslowakei einmarschierte und schließlich den Krieg an Polen, Frankreich, Belgien, Jugoslawien, Griechenland und Norwegen erklärte. Den Höhepunkt seiner Verbrechen erreichte Hitler mit dem hinterhältigen Überfall auf die Sowjetunion. (…) Und wie hat sich die deutsche Jugend, der deutsche Soldat im Ausland verhalten? Man könnte ganze Bände mit den Niederträchtigkeiten und Schandtaten ausfüllen, die von der deutschen ›Kulturnation‹ in den besetzten Gebieten begangen wurden. (…)

Es ist ein Wunder, dass die Soldaten der Roten Armee, die so Unendliches erduldet haben, deren Frauen von deutschen Bestien geschändet wurden, deren Eltern erschlagen und zu Tode gefoltert wurden, denen die Deutschen Hab und Gut raubten und ihre Wohnungen verbrannten – es ist ein Wunder, dass diese bis ins Innere aufgewühlten Menschen das deutsche Volk nicht ausradiert haben. Und wir schämen uns nicht, uns zu beschweren, wenn ein Rotarmist eine Uhr abnimmt oder sich in eine Wohnung setzt. Wir glauben, wir haben ein Recht darauf, dass er sich anständig benimmt. Wir Deutschen, die wir die Welt zu einem Dreckhaufen gemacht haben, die wir unsere Soldaten zum Morden und Rauben aufforderten, wir glauben, wir haben ein Recht, von diesen Beraubten noch etwas zu fordern. (…)

Wir deutschen Antifaschisten schämen uns dessen, was durch Deutschland geschehen ist, am meisten. Auch wir fühlen uns mitschuldig an dem vom deutschen Volk begangenen Verbrechen. Denn wir haben es nicht verstanden, das deutsche Volk, als es noch Zeit dazu war, zu entschlossener Abwehr gegen die Naziverbrecher zusammenzuschließen. Darum müssen auch wir Antifaschisten, die zwölf Jahre lang im Zuchthaus und Konzentrationslager Schweres erduldeten, mit opfern und die schweren Lasten tragen. (…)

Wiedergutmachen heißt aber heute, arbeiten und nochmals arbeiten am demokratischen Wiederaufbau Deutschlands. (…) Wir ehemaligen Buchenwälder Konzentrationäre rufen allen Thüringern zu: ›Helft mit, damit ein neues antifaschistisches demokratisches Deutschland aufgebaut wird.‹«

Das Vorwort und der Bericht des Lagerkomitees entstanden Anfang Juli 1945, wenige Wochen nach dem Ende des Hitlerregimes. Es war noch keine Zeit für neue Parteihändel und gegenseitige Abrechnungen. Aus den Worten spricht die innere Erregung des knapp dem Tode Entronnenen und der Zorn über eigene Fehler und Versäumnisse.

Mordfabrik

Rund eine Viertelmillion Menschen wurde zwischen Juli 1937 und April 1945 im Konzentrationslager Buchenwald gefangengehalten. Jeder fünfte Häftling starb; das sind nach heutigen Schätzungen mehr als 55.000 Menschen. Beschönigend als »Arbeitslager« bezeichnet war Buchenwald eine Mordfabrik, in der sich die Nazis ihrer Gegner – in erster Linie Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter – entledigten, nicht ohne sie vorher für faschistischen Kriegswahn und Rüstungsprofite bis auf den letzten Blutstropfen auszubeuten.

»Das Lager Buchenwald wurde in den ersten Jahren seiner Entstehung ausschließlich von reichsdeutschen Politischen, asozialen und kriminellen Elementen belegt«, heißt es im Bericht des Lagerkomitees. Am 15. Juli 1937 kamen die ersten 149 Häftlinge aus dem KZ Sachsenhausen auf den Ettersberg bei Weimar an, unter ihnen 52 politische Häftlinge. Die Lagerstärke betrug im Dezember 1937 bereits 2.500 Häftlinge, darunter 1.500 Politische.² Am 15. Juni 1938 wurden die ersten 1.000 Juden im Lager interniert, im September weitere 2.200 Juden aus Österreich. Nach Kriegsbeginn 1939 kamen Tausende Polen, 1940 Niederländer und Belgier hinzu. Am 1. Juni 1941 waren 8.370 Häftlinge im KZ Buchenwald registriert. Mit Hitlers Überfall auf die Sowjetunion wurden am 18. Oktober 1941 die ersten 2.000 bis zu Skeletten abgemagerten sowjetische Kriegsgefangenen eingeliefert. 1944 schließlich kamen Franzosen und ungarische Juden ins Lager.

Wie problematisch die Einteilung der Konzen­trationslager der Nazis in sogenannte Arbeits- und Vernichtungslager ist, zeigt der Umstand, dass in Buchenwald 700 sowjetische Kriegsgefangene an einem einzigen Tag durch Genickschuss in einer eigens dafür gebauten Anlage ermordet wurden. Mehr als 8.000 Kriegsgefangene aus der Sowjetunion wurden in Buchenwald umgebracht.

Ab 1942 entwickelten sich die deutschen Konzentrationslager von Zwangslagern für politische Gegner zu Arbeitslagern für die deutsche Kriegsindustrie. Infolgedessen formierte sich in Buchenwald mit der Zeit unter dem Druck der in verschiedenen Außenlagern und Außenkommandos durchgeführten streng geheimen Rüstungsproduktion eine Gruppe fachlich gut ausgebildeter Gefangener. Dass dieser Häftlingsgruppe meist politisch gebildete Gegner des Naziregimes angehörten, machte einen wirksameren Zusammenschluss mit dem Ziel eines langsam, aber stetig wachsenden Widerstandes gegen die SS erst möglich. Die Solidarität unter den Häftlingen wuchs über die alten Parteibekanntschaften der eingelieferten Kommunisten. Ein erster antifaschistischer Kern entwickelte sich bis 1939 unter der Leitung von Walter Stoecker, Albert Kuntz und Theodor Neubauer.³ Seit 1939 wurde die Zusammenarbeit mit den ausländischen Häftlingen vorangetrieben. Das alles verlief nicht reibungslos, trafen doch hier von den Nazis Überfallene auf Deutsche. Dass es auch andere Deutsche als die SS gab, musste erst bewiesen werden, und ein roter Winkel, wie ihn die politischen Häftlinge tragen mussten, war noch kein Ausweis für Freundschaft. Zudem gab es auch unter den ausländischen Häftlingen Feindschaften, etwa zwischen Polen und Russen sowie Ukrainern. Des weiteren mussten die sprachlichen Hürden überwunden werden. 1943 fand die erste illegale Zusammenkunft von Vertretern der internationalen Gruppen statt. Das war die Geburtsstunde des illegalen internationalen Lagerkomitees.

Mit aller Härte

Mit den 250.000 Häftlingen und ihren SS-Bewachern kamen auch alle denkbaren negativen menschlichen Eigenschaften ins Lager: Neid, Missgunst, Niedertracht und Verrat. Diebstähle waren an der Tagesordnung, auch Morde gab es. Niemand hat je behauptet, dass die nach Buchenwald Verschleppten ausschließlich das Gute verkörperten. Zudem war es das Ziel der SS, alle positiven menschlichen und moralischen Eigenschaften der Häftlinge zu vernichten. Zu diesem Zweck bediente sie sich der »Berufsverbrecher« (BVer), vorbestrafte Kriminelle, die einen grünen Winkel an ihrer Häftlingskleidung trugen. Ihnen wurde 1937 von der SS die Häftlingsselbstverwaltung übergeben. Sie waren damit buchstäblich der verlängerte Arm der Nazis. Eugen Kogon, ehemaliger Buchenwald-Häftling und nach 1945 mit »Der SS-Staat« Verfasser einer der ersten Überblicksdarstellungen über das KZ-System der Nazis, schrieb dazu:

»Der Kampf um die Selbsterhaltung der antifaschistischen Kräfte hatte zur Voraussetzung, dass die Macht im Lager unter allen Umständen eindeutig in den Händen der politischen Häftlinge lag. (…) Aus keinen anderen Gruppen heraus ist jemals der Versuch unternommen worden, die interne Lagerleitung in die Hand zu bekommen, als aus den Reihen der Politischen und der BVer. Die Gründe waren bei den Roten klar, bei den Grünen alles andere als politisch: Sie wollten freie Bahn für ihre gewohnten Praktiken haben – für Korruption, Erpressung, materielle Besserstellung.«⁴

Dieser Satz verdient besondere Beachtung, weil heute »moderne« Historiker die hier von Kogon den Kriminellen zu Recht angelasteten Motive den kommunistischen Häftlingen unterstellen. Dass das Handeln der Illegalen auch von Fehlern und Irrtümern begleitet war, sei dabei unbenommen, es ist menschlich.

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Der Kampf der Politischen gegen den Terror der Kriminellen wurde mit aller Härte bis hin zur Tötung von Spitzeln und Verrätern geführt. Aus heutiger Sicht »rechtsstaatliche« oder moralisierende Maßstäbe an damaliges Handeln anzulegen, ist nicht nur abwegig, sondern auch überheblich und unterschlägt, dass sich das »Rechtssystem« der inneren Häftlingsselbstverwaltung unter dem Druck der äußeren absoluten Rechtlosigkeit des Herrschaftssystems der SS herausbilden musste. Dadurch luden natürlich alle verantwortlichen Häftlinge eine ungeheure moralische Verantwortung auf sich. Aber welche Alternative hatten sie?

1938 musste die SS schließlich politische Häftlinge als Lagerfunktionäre einsetzen. Mit einer aus Kriminellen gebildeten Häftlingsselbstverwaltung waren die anstehenden Aufgaben der Rüstungsproduktion nicht zu lösen. Nach einem misslungenen Versuch der »Grünen«, die Macht erneut zu erobern, wurde der innere Machtkampf 1942 endgültig zugunsten der »Roten« entschieden. Die schlimmsten unter den Kriminellen wurden entweder von den Häftlingen oder von der SS getötet. Auch der ILK-Bericht verschweigt das nicht: »(…) hatte diese Aktion bei den BVern eine Dezimierung der schlechten Elemente gebracht, so dass sich jetzt auch in diesen Blocks die positiven Elemente durchsetzen konnten. Manches gemeinsame Handeln (mit den Grünen!, G. P.) wurde damit ermöglicht«.⁵

Es mag sein, dass die näheren Umstände der Befreiung des KZ Buchenwald nach 1949 in der DDR heroisiert worden sind, aber verschwiegen wurde der Beitrag der US-Amerikaner daran nicht. Wenn man, wie das heute geschieht, schon aus ideologischen Gründen verbissen darum kämpft, den Anteil der Häftlinge an der Befreiung des Lagers zu schmälern oder gar die Selbstbefreiung gänzlich zu leugnen, um damit umgekehrt die »Befreiung« durch die Amerikaner zu heroisieren, sollte man aber doch wenigstens eingestehen, dass das Lager am 11. April 1945 formell eigentlich von nur zwei Angehörigen der US-Armee befreit worden ist: von Sergeant Paul Bodot und Oberleutnant Emmanuel Desard, zwei Aufklärern, die auf einem Feld außerhalb des Lagers auf einen Trupp bewaffneter Häftlinge stießen, die dort Gefangene bewachten. Vom Leiter dieses Trupps, einem Belgier, wurden die beiden US-Soldaten anschließend ins Lager geführt.⁶ Die beiden nächsten US-Amerikaner, die das Lager erreichten, waren Egon W. Fleck, ein Zivilist, und der Nachrichtenoffizier für psychologische Kriegführung Edward A. Tenenbaum. Auch sie bestätigen in einem am 24. April 1945 verfassten Bericht, dass das Lager von bewaffneten Häftlingen besetzt war, die bereits 125 SS-Männer gefangengenommen hatten.⁷

Dass die Häftlinge den Kampf gegen die verbliebenen Wachmannschaften erst aufnahmen, als Chancen für einen Sieg bestanden, hatte natürlich auch etwas mit der Nähe der amerikanischen Truppen zu tun. Schon am 12. April 1945 fand der erste Freiheitsappell statt, aber erst am 13. April übernahm die 3. US-Armee unter dem Kommando von General George S. Patton die Verwaltung des Lagers. Eilig hatte es Patton – ein ausgewiesener Antisemit, der im September 1945 in seinem Tagebuch festhielt, »die Juden stehen unter den Tieren«⁸ – mit der Befreiung des Lagers nicht. Überhaupt hätte er lieber gemeinsam mit den Deutschen gegen die Sowjetunion gekämpft.⁹

Es gelang den KPD-Genossen bereits am Abend des 2. Juli – also noch unter den Augen der abziehenden US-Amerikaner – in der Druckerei der ehemaligen Gauzeitung in der Weimarer Bahnhofstraße die erste Nummer der Thüringer Volkszeitung zu drucken. Sie wurde am Morgen des 3. Juli 1945 in einer Auflage von 80.000 Exemplaren ausgeliefert.¹⁰ Spiritus rector dieser Aktion war Paul Hockarth.¹¹ Vermutlich wurde in dieser Druckerei zur selben Zeit, ohne Einband und ohne Vorwort, auch die erste Auflage des Berichtes des internationalen Lagerkomitees gedruckt.

Die falsche Linie

Die letzte Auflage des ILK-Berichts erschien im Jahr 1946. Dann versank die Schrift in den Tiefen der politischen Giftschränke der DDR.¹² Bald schon setzten die 1933 nur scheinbar unterbrochenen Auseinandersetzungen innerhalb der KPD sowie zwischen KPD und SPD wieder ein, noch verschärft durch die Teilung Deutschlands in verschiedene Besatzungszonen. Viele der »Buchenwalder« wurden Opfer von »Parteisäuberungen«, die mehrfach und trotz anschließender Rehabilitation zum Verlust ihrer Positionen und ihrer politischen Reputation führten. Waren die sowjetischen Organe beteiligt, waren die Folgen oft noch gravierender. Das Schicksal Ernst Busses wurde schon erwähnt. Gleiches widerfuhr dem Lagerältesten von Buchenwald, Erich Reschke. Er wurde 1951 von sowjetischen Staatsorganen als Kriegsverbrecher zu lebenslänglicher Haft verurteilt und saß fünf Jahre im Arbeitslager in Workuta, bis er im Oktober 1955 entlassen und anschließend rehabilitiert wurde. Georg Krausz, der perfekt russisch sprach, wurde im Mai 1945 wegen des Verdachts der Spionage für die US-Amerikaner vom NKWD festgenommen und kam schließlich über mehrere deutsche NKWD-Lager zurück nach Buchenwald, wo sich mittlerweile das sogenannte Speziallager 2 befand. Selbst dem Vorsitzenden der SED, Wilhelm Pieck, gelang es nicht, ihn freizubekommen. Erst Robert Siewert, ein anderer Buchenwalder und mittlerweile Innenminister von Sachsen-Anhalt, »befreite« das Gründungsmitglied der Kommunistischen Partei Ungarns 1948 aus dem Zuchthaus Torgau.¹³ Und Harry Kuhn, ehemaliges Mitglied der illegalen Lagerleitung und seit 1949 Generalsekretär der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), wurde 1951 »wegen mangelnder Wachsamkeit gegenüber Parteifeinden« aller Ämter enthoben.

Was wussten die Buchenwalder Kommunisten von der aktuellen Moskauer Linie? Auf den Ettersberg kam keine Post von der Parteizentrale, und auch Kuriere wurden nicht ins KZ geschickt. Radio Moskau, das von den Häftlingen regelmäßig gehört wurde, überbrachte ebenfalls keine Botschaften der KPD-Führung. Zumindest wurden sie – viele von ihnen schon seit 1933 in Haft – von später festgenommenen Genossen über die Beschlüsse der Brüsseler Konferenz vom Oktober 1935, bei der die KPD von der Sozialfaschismusthese abrückte, in Kenntnis gesetzt. So waren sie nicht gezwungen, im Lager zuerst gegen die »Sozialfaschisten« – wie man die SPD-Mitglieder vor 1935 nannte – und dann erst gegen die SS zu kämpfen. Dass sie es sogar unter den Bedingungen des Lagers erreichten, ein Volksfrontkomitee zu schaffen, erwies sich allerdings später als politisches Problem.

Die von Stalin nach dem Zweiten Weltkrieg mit deutlich antisemitischen Tönen initiierten Prozesse u. a. gegen Noel Field¹⁴ und viele andere aufrechte Kommunisten führten zeitweilig zum fast völligen Ausschalten der Westemigranten aus dem politischen Leben der DDR. Im Prozess gegen Rudolf Slansky¹⁵ wurde auch der ehemalige Buchenwaldhäftling Josef Frank, Vertreter der tschechoslowakischen Genossen im ILK und nach 1945 stellvertretender Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, zum Tode verurteilt und hingerichtet; man warf ihm vor, in Buchenwald mit der SS kollaboriert zu haben.

Im Zuge der Affäre um Noel Field fand am 29. Mai 1953 eine »Befragung« Walter Bartel durch die Zentrale Parteikontrollkommission statt.¹⁶ Das Gespräch mit dem ehemaligen Vorsitzenden des illegalen Lagerkomitees in Buchenwand glich eher einem Verhör. Im Grunde genommen wurde Bartel, seit 1946 persönlicher Referent von DDR-Präsident Wilhelm Pieck, der Vorwurf gemacht, dass »die politische Linie im KZ prinzipiell falsch war«.¹⁷ Das war keine unglückliche Formulierung übereifriger Vernehmer, das war die von oben vorgegebene Linie der Untersuchung. Bartel kam mit einer »Versetzung« in eine Funktion außerhalb des Parteiapparates – er war später als Historiker an der Universität Leipzig tätig – davon. Erst 1959 konnte er sein Lebenswerk abschließen: »Buchenwald – Mahnung und Verpflichtung«. Der Titel war sicher nicht nur an die Nachgeborenen gerichtet, sondern auch an die Häftlinge, die das Lager überlebt hatten.

Jenseits der Parteibrillen

Der eingangs zitierte Bericht des Illegalen Lagerkomitees beschreibt eindrücklich, dass sich der Widerstand in Buchenwald und die Solidarität unter den Häftlingen nur jenseits der in den 1920er Jahren herausgebildeten Spaltungen und Unvereinbarkeitsbeschlüsse entwickeln konnte, dass Religion und Nationalität in Buchenwald keine Rolle spielten. Walter Bartel bekräftigte diese Einstellung nochmals nachdrücklich auf dem Buchenwaldtag am 11. April 1948: »Wir haben uns unseren Kampf nicht durch Parteibrillen oder Dogmen führen lassen. Wir fragten nur eines: Bist du bereit, mitzukämpfen, dann sei unser Mitstreiter. Bist du bereit mit uns zu handeln, dann komm zu uns. Uns interessiert nicht, welcher politischen Auffassung, welcher Weltanschauung du außerhalb des Zaunes oder außerhalb der Kampfbereitschaft warst. Daraus ergeben sich für uns damals und heute sehr ernsthafte Schlussfolgerungen.«¹⁸

Anmerkungen:

1 SAPMO-BArch, IV 2/4/375, Bl. 15–18, zit. n. Lutz Niethammer (Hg.): Der »gesäuberte« Antifaschismus, Berlin 1994, S. 322; Konzentrationslager Buchenwald (Bericht des internationalen Lagerkomitees Buchenwald), Weimar. Thüringer Volksverlag [1946] (im folgenden: ILK-Bericht)

2 Klaus Drobisch: Widerstand in Buchenwald, Berlin 1987, S. 13 ff.

3 Walter Stoecker (1891–1939), KPD-Reichstagsabgeordneter, Buchenwald 1937–1939, dort von der SS ermordet; Albert Kuntz (1896–1945), KPD, preußischer Landtagsabgeordneter, Buchenwald 1937–1943, 1945 im KZ Mittelbau-Dora ermordet; Theodor Neubauer (1890–1945), Historiker, Pädagoge, Mitglied des ZK der KPD, Buchenwald 1937–1939, entlassen, illegale Arbeit, 1944 verhaftet, in Brandenburg-Görden am 5. Februar 1945 hingerichtet

4 Der Buchenwald-Report. Bericht über das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar, hg. v. David A. Hackett, München 1997, S. 113

5 ILK-Bericht, S. 132 f.

6 Ulrich Peters: Wer die Hoffnung verliert, hat alles verloren. Kommunistischer Widerstand in Buchenwald, Köln 2003, S. 412 u. Emil Carlebach: Tote auf Urlaub. Kommunist in Deutschland. Dachau und Buchenwald 1937–1945, Bonn 1995, S. 197 f.

7 Modern Military Archives, Washington, 4. armoured division, 604-2.2, daily reports, June 1944–May 1945, abgedruckt in: Carlebach: Tote auf Urlaub, a. a. O., S. 9

8 https://foreignpolicy.com/2010/06/25/patton-the-anti-semite-and-hypocrite; Jonathan D. Sarna: American Judaism. A History, New Haven 2004, S. 266

9 Alan Axelrod: Patton. A Biography, London 2006, S. 165 f.

10 Steffen Kachel: Ein rot-roter Sonderweg? Sozialdemokraten und Kommunisten in Thüringen 1919 bis 1949, Köln/Weimar/Wien 2011, S. 273

11 Paul Hockarth (1902–1974), Schriftsetzer, vor 1933 Leiter der KPD-Druckerei in Erfurt, nach 1949 Direktor der VOB Zentrag (Zentrale Druckerei-, Einkaufs- und Revisionsgesellschaft mbH)

12 In der Bibliothek des Bundesarchivs existiert neben jüngeren Auflagen des ILK-Berichts (Thüringer Volksverlag) nur ein einziges Exemplar des Berichts aus der Thüringer Druckerei-Verlags G. m. b. H. Weimar mit der Signatur: BArch, ZBG: XIII 8215

13 Die späte Heimkehr des Robert Zeiler. Erlebnisbericht. In: Antifaschistischer Widerstandskämpfer 12/1989, https://kurzelinks.de/spaete-heimkehr

14 Noel Field (1904–1970), US-amerikanischer Kommunist, arbeitete als Informant für den sowjetischen Geheimdienst GPU und später den NKWD. Seine erpressten Geständnisse über ein angeblich von ihm geleitetes US-Spionagenetzwerk in Osteuropa machten ihn nach 1949 zur Schlüsselfigur der Schauprozesse und innerparteilichen »Säuberungen« in den volksdemokratischen Ländern.

15 Rudolf Slansky (1901–1952), Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, 1952 wegen der Leitung eines »staatlichen Verschwörungszentrums« zum Tode verurteilt und hingerichtet

16 Befragung Walter Barthel, 29.5.1953, SAPMO-BArch, ZPA IV 2/4/282, Bl. 111 ff.

17 Ebd.

18 Buchenwald-Archiv Weimar, 011–6

 

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Aus: Ausgabe vom 25.06.2018, Seite 12 / Thema
Faschismus

Eine vertane Chance

Sonia Combes Studie über die Häftlingsselbstverwaltung im Konzentrationslager Buchenwald und den angeblichen »Opfertausch« durch Kommunisten enttäuscht wegen fehlender Quellen und mangelnder Kritik der herrschenden Geschichtsschreibung
Von Günter Pelzl
 

 

 

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Sebastian Kahnert/dpa
»Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.« Aus dem Schwur von Buchenwald, gesprochen auf der Trauerkundgebung des Lagers am 19. April 1945 (im Bild das Buchenwald-Denkmal von Fritz Cremer)

 

 

 

Günter Pelzl (Jg, 1948) ist promovierter Chemiker. Er war hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit und dort zunächst in der Abteilung »Geheimschriften und Markierungen«, dann in der Abteilung »Analyse und Reproduktion von Dokumenten« tätig. Einer seiner ihn prägenden Vorgesetzten war der Buchenwald-Häftling Richard Großkopf (1897–1977).

Die Historikerin Sonia Combe hat ein Buch über das Konzentrationslager Buchenwald geschrieben.¹ Sie beschäftigt sich darin mit dem Kampf der Häftlinge um das Überleben in einem Lager, das dazu ausersehen war, seine Insassen durch Arbeit zu töten, indem man sie in Rüstungsbetrieben und in einem Steinbruch bis zum letzten Atemzug schuften ließ. »Vernichtung durch Arbeit« nannten es die Faschisten. Beschönigend als Arbeitslager bezeichnet, war es eine Mordfabrik, in der sich Nazideutschland seiner Gegner und kritischen Geister – in erster Linie Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter – entledigte, nicht ohne sie vorher bis auf den letzten Blutstropfen auszubeuten. Aber auch Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle und Kriminelle wurden hier eingesperrt. Mehr als 56.000 Häftlinge wurden in Buchenwald unweit von Weimar ermordet.

 

 

Am 16. April 2018 erschien in der jungen Welt ein Beitrag von Sabine Kebir (»Wahrheiten aus der Grauzone«) zu Combes Buch. Vieles, was Sabine Kebir schreibt, findet meine Zustimmung. Aber bei manchen Fragen komme ich zu anderen Ergebnissen. Das scheint mir gerade bei diesem ideologisch schwer befrachteten Thema nicht verwunderlich. Ich möchte hier einige Aspekte hervorheben, die es mir schwer machen, Combes Buch positiv zu beurteilen.

 

Der Titel des Buches »Ein Leben gegen ein anderes« ist eine Feststellung die zunächst irritiert, aber durch den Untertitel »Der ›Opfertausch‹ im KZ Buchenwald und seine Nachgeschichte« wird die Richtung deutlicher: Opfertausch als lebensrettende Methode, bei der man dem einen das Leben rettet, indem man einem anderen dasselbe nimmt? Deutsche Historiker »entdeckten« diese Methode bei kommunistischen Funktionshäftlingen (Kapos) im KZ Buchenwald, angewandt, um Ihresgleichen zu retten und Missliebige zu töten, so der Vorwurf.

 

Das »Buchenwaldkind«

 

Die Rettung des »Buchenwaldkindes« Stefan J. Zweig durch kommunistische Häftlinge beschreibt Combe in ihrem Buch so: »Dieser war am 25. September 1944 im Alter von dreieinhalb Jahren von kommunistischen Häftlingen vor dem Abtransport nach Auschwitz gerettet worden, indem sie seinen Namen von der Deportationsliste gestrichen hatten. Der Sinto Willy Blum, ein Jugendlicher im Alter von 16 Jahren hatte seine Stelle eingenommen.«² Diese Darstellung führte unmittelbar zum Kampfbegriff »Opfertausch«, der in sich selbst bereits das moralisch fragwürdige des Tuns trägt. Leider wird er nicht besser dadurch, dass man ihn in Anführungszeichen steckt. Hier liegen bereits die ersten Stolpersteine für die wahrlich anspruchsvolle Aufgabe: Kann man vorurteilsfrei an dieses Problem herangehen, wenn man sich von Beginn an des Vokabulars derjenigen bedient, deren Urteil über den »Opfertausch«, die Opfer und die Täter bereits feststeht?

 

Combe breitet eine Fülle von Material aus. Sie hat zahlreiche Interviews geführt. Ein Name fehlt. Warum hat sie kein Interview mit Stefan J. Zweig geführt? Sie teilt zwar mit, dass dieser in Wien lebt, warum es aber zu keiner Begegnung gekommen ist, darüber erfährt man nichts. Gerade Stefan J. Zweig hätte es verdient, dass man ihn nicht erneut zum Objekt einer Studie oder eines Buches macht, sondern selbst sprechen lässt. Zweig ist seit Jahrzehnten Zielscheibe derjenigen, die nachweisen wollen, dass Eigennutz und Rache und nicht Solidarität und Menschenliebe die Triebkräfte der Häftlinge waren, die ihn vor dem Tod in Auschwitz bewahrten. Er – und niemand andereres – strengte gegen den Leiter der Gedenkstätte Buchenwald einen Prozess wegen der Verwendung des Begriffs »Opfertausch« im Zusammenhang mit seiner Person an.

 

Combe spricht unkommentiert vom Mythos des »Buchenwaldkindes«. Ist das Buchenwaldkind eine Erfindung? Sind die Umstände seiner Rettung erlogen? Sie schwächt ab, interpretiert, zweifelt an – aber sie distanziert sich nicht. Für sie ist das Leben Stefan J. Zweigs das Ergebnis des Todes von Willy Blum – arrangiert durch buchhalterische Tricks von roten Kapos.

 

Stefan J. Zweig hat ein Buch über sich und seinen Vater Zacharias Zweig geschrieben.³ Aus ihm kann man alles erfahren über das Schicksal der Familie Zweig – von denen zwanzig Menschen Hitlers Mordmaschine nicht überlebten – bis hin zur Rettung von Vater und Sohn durch Häftlinge in Buchenwald. Hat sich Frau Combe nicht gefragt, warum dieses Buch von keinem Verlag angenommen wurde und schließlich im Eigenverlag erschien? Ist dieses Buch keine verlässliche Quelle? Ist Sonia Combe nicht aufgefallen, dass in ihrem vielzitierten Kogon-Bericht⁴ kein Wort zu Zacharias und Stefan J. Zweig steht? Ist es ein Zufall, dass ausgerechnet das Dokument, welches beweist, dass es keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Streichung des Buchenwaldkindes von der Transportliste und dem »Hinzufügen« von Willy Blum gibt, von den Erfindern des »Opfertauschs« nicht herangezogen wurde, obwohl es im Archiv der Gedenkstätte Buchenwald vorhanden ist? In diesem Schreiben vom 23.9.1944 bestätigt der Lagerarzt⁵, »die Häftlinge 41923/47 Bamberger, W. und 74254/47 Blum Willy wollen auf Transport mit ihren Brüdern, wogegen keine Bedenken bestehen.«

 

Es fällt schwer, an ein Versehen zu glauben. Man hätte auch Stefan. J. Zweig fragen können.⁶

 

Kogons Vorwort

 

Eugen Kogon schrieb den »SS-Staat« – eine überarbeitete Fassung seines erst 1996 von dem Historiker David A. Hackett herausgegebenen und im Auftrag des US-Geheimdienst verfassten »Buchenwald-Reports«⁷ – nicht schon im Lager, wie Sonia Combe irrtümlicherweise schreibt, sondern erst 1946. Dabei wurden die Einzelberichte, die im Report noch einzelnen Häftlingen namentlich zugeordnet waren, im Gesamtkontext der Beschreibung des Systems der deutschen Konzentrationslager aufgelöst. Kogon schildert die Verfahrensweise ausführlich im Vorwort zur ersten Ausgabe des Buches »Der SS-Staat«. Sein Bemühen um die Glaubwürdigkeit seiner Darstellungen veranlasste ihn, das Manuskript für ihn wichtigen Häftlingen vorzulesen:

 

»Jeder von uns hatte große Lagererfahrung: Fünf Jahre Haftzeit war unser Minimum, wir waren ›von unten aufgestiegen‹, zum Teil unter mühseligsten Umständen, allmählich aber in Positionen gelangt, die uns Einblick und Einfluss zugleich gebracht hatten. Beides war immer gefährlich gewesen, besonders da niemand von uns der ›Prominenten‹-Schicht des Lagers angehört hatte; keiner von uns war korrupt, keiner mit irgendwelchen Lagerschandtaten befleckt. Um gewisse Befürchtungen zu zerstreuen, der Bericht könnte sich zu einer Art Anklageschrift gegen führende Lagerinsassen gestalten, las ich ihn Anfang Mai 1945, soweit er damals bereits fertiggeschrieben war – es fehlten von insgesamt zwölf nur mehr die letzten zwei Kapitel –, einer Gruppe von 15 Männern vor, die entweder der illegalen Häftlingslagerleitung angehört hatten oder für bestimmte politische Häftlingsgruppen repräsentativ waren. Sie billigten den Inhalt als zutreffend und objektiv.«⁸

 

Bei aller Detailtreue, die Sonia Combe sonst an den Tag legt, ist es doch eine Unterlassung, wenn sie außer Walter Bartel und Ernst Busse die anderen Teilnehmer der Gruppe, denen Kogon sein Manuskript des obengenannten Buchenwald-Reports (nicht das des SS-Staats!) vorlas, nicht nennt. Unter den darin gesammelten Berichten standen nämlich in der Regel noch die Namen der Verfasser. Neben den Kommunisten, die an dieser Vorlesung Kogons teilnahmen, waren noch vertreten: der Sozialdemokrat Heinz Baumeister, der ukrainische Komsomolzenführer Boris Danilenko, der Zentrumspolitiker Werner Hilpert, der russische Kriegsgefangene A. Kaltschin, der Sozialist Ferdinand Römhild und der Sozialdemokrat Ernst Thape.

 

Als hätte Kogon geahnt, was 50 Jahre später mit dem Untergang der DDR möglich wurde: Die Diskreditierung des Antifaschismus in der DDR als verordnet und die Verunglimpfung des Widerstandskampfes im KZ Buchenwald als »beinahe kriminell«. Seit 1977 (45. Auflage) fehlt genau dieses Vorwort mit der obengenannten Aufzählung im »SS-Staat«.

 

Zwei deutsche Diktaturen

 

Ähnlich unkritisch zeigt sich Combe, wenn sie von »zwei deutschen Diktaturen« schreibt. Hatte die DDR nicht alles moralische Recht, aus der Erfahrung der gerade beseitigten faschistischen Diktatur einen Staat auf deutschem Boden zu schaffen, der eben den Antifaschismus – mit seiner konsequenten Ablehnung des Faschismus – zu seiner Grundlage machte? Standen nicht an vorderster Stelle genau diejenigen, die den deutschen Konzentrationslagern entronnen waren? Die DDR wurde doch erst gegründet, nachdem in Fortsetzung der alten Traditionen des Deutschen Reiches die Bundesrepublik gegründet worden war. Wie kommt Combe zu der Erkenntnis, in der DDR-Rezeption der Lagergeschichte habe es nur Helden und Henker gegeben? Der leichtfertige Umgang mit bereits negativ besetzten Begriffen ist ein durchgehendes Ärgernis ihres Buches.

 

Völlig daneben liegt sie, wenn sie meint, die DDR-Führung habe der physisch und moralisch am Boden liegenden Bevölkerung gewissermaßen eine stillschweigende Übereinkunft vorgeschlagen, »wenn sie ihr Gesellschaftsprojekt akzeptierte und mittrug, sollten die Naziverbrechen ausschließlich auf die BRD zurückfallen«⁹. Die Zahlen verurteilter Nazi- und Kriegsverbrechern in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR (1945–1990 insgesamt 12.890) kann man nachlesen. Dass außerdem 390.478 Nazis aus führenden Positionen entfernt wurden, ist ebenfalls belegt. Wie kann man angesichts dieser Zahlen von einer »Übereinkunft« sprechen?

 

Und was soll man davon halten, wenn Combe eine Behauptung Marcel Reich-Ranickis über Bruno Apitz, dieser sei ein Schriftsteller ohne Talent, unkommentiert wiedergibt? Combe selbst bezeichnet den Roman »Nackt unter Wölfen« in seltsamer Diktion als nicht völlig verfehlt, ein Buch, das in einer Gesamtauflage von drei Millionen Exemplaren erschien ist. Dass sich auch der ehemalige Buchenwaldhäftling und Schriftsteller Jorge Semprún 2004 zu der Aussage hinreißen ließ, »›Nackt unter Wölfen‹ ist kein Buch, das ist keine Literatur, das ist gar nichts«, bedeutet doch nur, dass die Tatsache, Häftling in Buchenwald oder anderswo gewesen zu sein, nicht einschließt, fortan immer recht zu haben.

 

Fehlende Quellen

 

Es hat den Anschein, dass Frau Combe bei der Wahl ihrer Quellen den Schwerpunkt auf ihrer Meinung nach unbelastete Zeugen legt. Belastet sind für sie offensichtlich Quellen mit kommunistischem Hintergrund. Selbst ihrem Landsmann und Buchenwaldhäftling Marcel Paul, Kommunist und Mitglied des Internationalen Lagerkomitees (ILK) misstraut sie und ringt sich halbherzig dazu durch, anzuerkennen, dass Marcel Pauls Rechtschaffenheit außer Zweifel zu stehen scheint. Immerhin hat dieser dem späteren Gründer des größten französischen Rüstungskonzerns Marcel Dassault in Buchenwald das Leben gerettet. Dass das allerdings keine Einzelleistung Marcel Pauls zur Rettung eines anderen Franzosen war, sondern auf einen Beschluss des ILK zur Rettung von 46 Häftlingen zurückging, die von der SS ermordet werden sollten, erwähnt sie nicht.

 

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Bei der Recherche für ihr Buch ist ihr eigenartigerweise eine 

 

weitere wichtige Quelle entgangen: der Bericht des Internationalen Lagerkomitees Buchenwald vom April/Mai 1945. Entstanden unmittelbar nach der Befreiung des Konzentrationslagers, ohne ideologische Einflüsse von »außen«, weder von der Moskauer KPD-Führung, noch von den Russen, noch von den US-Amerikanern. Sie hätte ihn finden können, denn er wird einige Male im erstmals 1960 erschienenen und seitdem mehrmals neu aufgelegten DDR-Standardwerk »Buchenwald – Mahnung und Verpflichtung« erwähnt, zu dessen internationaler Redaktion neben Walter Bartel auch der Résistance-Kämpfer und Kommunist Pierre Durand gehörte, der bis 2001 Vorsitzender des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos war. Durand wird in Combes Buch nicht genannt. Er hatte am 19. April 1945 den Schwur von Buchenwald in französischer Sprache verlesen. Der Bericht des Lagerkomitees, der gleichzeitig mit dem »Buchenwald-Report« Kogons entstand und bereits 1945 veröffentlicht wurde, geht auch auf das Krankenrevier und die dort praktizierten Methoden des organisierten Widerstands ein, einschließlich des Austauschs von Kranken im Block 61, dem »Block des Todes«. Dazu wurde ein kollektiver Beschluss gefasst, der unter anderen folgende Punkte enthielt:

 

»Zu diesem Austausch sollen vorzüglich ehemalige SS-Freiwillige oder Spitzel der SS oder Verräter herangezogen werden, die von ihren Landsleuten auf Grund der bei den Effekten gefundenen Nazilegitimationen festgestellt wurden. (…) Alle von der SS mit der Strafe des Erschießens oder Erhängens bedrohten Häftlinge werden, soweit wie möglich, im Block 61 aufgenommen, ihre Identität mit der von wirklich Verstorbenen vertauscht und sie unter neuem Namen am anderen Tag entlassen.«¹⁰

 

Auch in »Buchenwald – Mahnung und Verpflichtung« sind in den Berichten vieler Häftlinge die Methoden zur Rettung beschrieben worden – aber eben nicht als »Opfertausch«!

 

Der Kampf der Politischen gegen den Terror der SS und der BVer (d. h. den mit der SS kollaborierenden Berufsverbrechern) wurde mit aller Härte bis hin zur Tötung von Spitzeln und Verrätern geführt. Moralisierende Maßstäbe an damaliges Handeln anzulegen ist nicht nur abwegig, sondern auch überheblich und unterschlägt, dass sich das »Rechtssystem« der inneren Häftlingsselbstverwaltung unter dem Druck der äußeren absoluten Rechtlosigkeit des Herrschaftssystems der SS im Lager herausbilden musste. Dadurch luden natürlich alle verantwortlichen Häftlinge eine ungeheure moralische Verantwortung auf sich. Unter der Voraussetzung, dass sie hofften, das Lager lebend zu verlassen, hätte es nur die Alternative gegeben, sich einer Einbeziehung in jede Funktion der Häftlingshierarchie zu enthalten. Aber auch dieses Recht hatten die Häftlinge nicht. Das gilt auch für Eugen Kogon als Schreiber des ersten Lagerarztes und SS-Sturmbannführers Erwin Ding-Schuler, zu dem Kogon, wie er selbst bekundet, ein fast vertrauensvolles Verhältnis aufbaute. Diese Stellung ermöglichte ihm 1944 bei der Rettung von drei englischen Geheimdienstmitarbeitern vor dem sicheren Tod zu helfen. Niemand ist bisher auf die Idee gekommen, Kogon aufgrund dieser »Nähe« zu Ding-Schuler eine Kollaboration mit der SS zu unterstellen, um sich persönliche Vorteile wie z. B. das Überleben zu verschaffen.

 

Kollegial statt kritisch

 

Wie unkritisch Combe ihren deutschen Historikerkollegen gegenübertritt, wird deutlich, wenn sie dem Spezialisten für die Repression in der DDR Karl Wilhelm Fricke attestiert, ihm seien die Namen Ernst Busse und Erich Reschke unbekannt gewesen.¹¹ Beide wurden vom NKWD 1951 aufgrund von Denunziationen – und nicht aufgrund von Geständnissen – zu lebenslanger Lagerhaft verurteilt. Nur Erich Reschke überlebte. Busse starb 1955 in Workuta. Fricke hat in antikommunistischer Tradition diese beiden einfach nicht zur Kenntnis genommen. Beide waren ja trotz Lagerhaft Kommunisten und keine DDR-Dissidenten. Den Dissidenten Hans Joachim Schädlich kennt Fricke natürlich. Dieser musste in seinem Roman »Anders« einige Stellen über den »Opfertausch« in Buchenwald im Ergebnis einer Klage von Stefan J. Zweig streichen.

 

Dem eigentlichen Erfinder des antikommunistischen Kampfbegriffs »Opfertausch«, dem Historiker Lutz Niethammer, tritt Combe ebenfalls mehr kollegial als kritisch gegenüber und verteidigt ihn gegen »die professionellen Sachwalter der Antifaschismus-Doktrin des untergegangenen SED-Staates«,¹² die sich durch Niethammer in ihrem Lebenswerk verunglimpft sahen. Als Repräsentant dieser Sachwalter nennt sie ausgerechnet Emil Carlebach, der sich jahrelang gerichtlich gegen »Mordvorwürfe« zur Wehr setzen musste. Sein Pech war, dass man immer wieder versuchte, ihn zur Strecke zu bringen, weil er bis an sein Lebensende seinen Idealen treu blieb.

 

Im »Buchenwald-Report« (wortgleich bei Kogon und im ILK-Bericht) findet sich eine bemerkenswerte Aussage von Emil Carlebach: »Der Kampf gegen die SS für unsere Erhaltung konnte nicht orthodox oder liberal, zionistisch oder sozialistisch geführt werden, es ergab sich von selbst nur eine Möglichkeit: Zusammenschluss aller Widerstandswilligen auf dem Boden des Antifaschismus.«¹³

 

Walter Bartel drückte das 1948 auf dem Buchenwaldtag so aus: »Wir haben uns unseren Kampf nicht durch Parteibrillen oder Dogmen führen lassen. Wir fragten nur eines: Bist du bereit, mitzukämpfen, dann sei unser Mitstreiter. Bist du bereit, mit uns zu handeln, dann komm zu uns. Uns interessiert nicht, welcher politischen Auffassung, welcher Weltanschauung du außerhalb des Zaunes oder außerhalb der Kampfbereitschaft warst. Daraus ergeben sich für uns damals und heute sehr ernsthafte Schlussfolgerungen.«¹⁴

 

Sind das Haltungen von »kommunistischen Betonköpfen«, die ihre Stellung in Buchenwald dazu nutzten, um Abweichler von der kommunistischen Linie zur Strecke zu bringen, wie der von Combe zitierte Buchenwaldhäftling Ernst Federn behauptet?

 

Mit dem Untergang der DDR musste von Seiten der Sieger erneut gegen ihre »unverbesserlichen Anhänger« gekämpft werden, die nicht davon abließen sich auf den antifaschistischen Gründungskonsens der sozialistischen Republik zu berufen. Aus dem Gründungskonsens musste ein Gründungmythos, ja ein »verordneter Antifaschismus« werden. Erfüllten die daran beteiligten Historiker damit nicht einen politischen Auftrag, den der ehemalige Bundesjustizminister Klaus Kinkel die »Delegitimierung der DDR« nannte?

 

Gesäuberter Antifaschismus

 

Seitdem ist eine Flut von Schmähschriften gegen alle Arten von Antifaschisten erschienen. Lutz Niethammer erfüllte dann endlich mit großem Einsatz den Wunsch der Antikommunisten, indem er den Antifaschismus in der DDR solange »säuberte«, bis Kurt Schumachers »rotlackierte Faschisten« darunter hervorkamen. Doch dieser Sieg, wahrlich eines Pyrrhos würdig, erweist sich als trügerisch und gleichzeitig gefährlich, »entlarven« Niethammer und Co doch damit auch Eugen Kogon als Handlanger der »roten Kapos« von Buchenwald. Sie entziehen letztlich allen Bürgern der ehemaligen und jetzigen Bundesrepublik Deutschland die Legitimation, sich in ihrem antifaschistischen Bemühen auf Eugen Kogons »Der SS-Staat« berufen zu können und nicht auf die jetzt obsolete DDR-Rezeption. Was dann noch übrig bleibt, ist eine Bundesrepublik Deutschland als ökonomischer, juristischer und politischer Nachfolger des »Dritten Reiches«.

 

Sonia Combe hatte als Französin die Möglichkeit, sich aus den »innerdeutschen Querelen« um Buchenwald herauszuhalten und diese quasi aus neutraler Sicht zu beleuchten. Diese Chance hat sie leider nicht genutzt. Parallel zur Überhöhung des Antifaschismus in der DDR spricht sie von einer Überhöhung der Résistance in Frankreich. Gerade die Résistance – unter Beteiligung der Kommunisten – war es doch, die Frankreichs Ehre gerettet hat, nachdem Landesverräter wie Philippe Pétain sie bereits an Hitlerdeutschland verkauft hatten.

 

Die Gräben von damals sind eben nicht zugeschüttet oder eingeebnet. Wer auf welcher Seite steht, ist unschwer zu erkennen. Stefan J. Zweig spricht es trotzig aus: »Wir alle waren Rote Kapos in Buchenwald.«¹⁵ Sonia Combe hat mit ihrem Buch leider kein neues Kapitel aufgeschlagen. Die Chance, es anders und besser zu machen als Niethammer und seine Mitstreiter, ist vertan. Combes Wunsch nach einem europäischen Erinnerungsort bleibt Illusion. Der Weg, Buchenwald zu einer antikommunistischen Wallfahrtstätte zu machen, ist bereits beschritten. Ihr Buch wird daran nichts ändern. Der Schwur von Buchenwald ist noch nicht erfüllt.

 

Anmerkungen:

 

1 Sonia Combe: Ein Leben gegen ein anderes. Der ›Opfertausch‹ im KZ Buchenwald und seine Nachgeschichte, Berlin 2017

 

2 Ebd. , S. 26

 

3 Zacharias Zweig: »Tränen allein genügen nicht«. Mit Epilog, , zeitgenössischen Illustrationen, Bildern, Texten und Satiren, hg. v. Stefan J. Zweig. 2. Aufl., Wien 2007

 

4 Eugen Kogon: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager, München 1946

 

5 Das Dokument trägt keine Unterschrift, Lagerarzt war zuletzt SS-Sturmbannführer Erwin Ding-Schuler.

 

6 http://www.stefanjzweig.de/news.htm. Das Dokument ist hier als Faksimile abgebildet.

 

7 Der Buchenwald-Report. Bericht über das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar, hg. v. David A. Hackett, München 1996

 

8 Kogon, a. a. O., Vorwort

 

9 Combe, a. a. O., S. 174

 

10 Internationales Lagerkomitee (Hg.): Bericht des Internationalen Lagerkomitees, Weimar [1945], S. 79

 

11 Combe, a. a. O., S. 251

 

12 Ebd., S. 252

 

13 Der Buchenwald-Report, a. a. O., S. 203

 

14 Buchenwaldarchiv, BA 011-6, S. 2 f.

 

15 Zacharias Zweig, a. a. O., S. 372

 

 

 

 

 

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Edda Lechner

 

Jesus, Marx und ich – Wege im Wandel – Eine Achtundsechzigerin in der Kirche

 

Das historische Phänomen der Achtundsechziger jährte sich 2018 zum 50.Mal und brachte eine Reihe von wissenschaftlichen und literarischen Publikationen hervor. Dem möchte die Autorin Edda Lechner, wenn auch etwas verspätet, ihre eigene „autobiografische" Sicht der Dinge hinzufügen. Sie schreibt: „Als ehemalige Pastorin (Edda Groth), die den Vorstellungen dieser Bewegung folgte, gilt mein Interesse besonders denen, die mit mir an dieser Bewegung zur Veränderung von Kirche und Gesellschaft beigetragen haben, aber–so eigenartig es klingen mag–vor allem auch unseren Kontrahenten in der Hierarchie der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Schleswig-Holstein.“ Viele Gemeindemitglieder und neu gebildete demokratische Gremien an der Simeon-Kirche in Hamburg-Bramfeld, zahlreiche Amtsbrüder, kirchliche Mitarbeiter und Theologiestudenten in den verschiedenen Landeskirchen und auch die öffentlichen Presseorgane unterstützten ihre neuem pädagogischen und sozialen Vorstellungen bis hin zu ihren antikapitalistischen und sozialistischen Forderungen. Konkrete Beispiele und interessante Fälle werden wiederholt in das Buch mit einbezogen. Genauso lässt sich an ihrem konkreten Fall in der Zeit der Revolte von 1967 bis 1974 ablesen, in welcher Weise Kollegen, Pröpste, Kirchenvorstände und die Kirchenleitung als Teil der etablierten bürgerlichen Gesellschaft mit denen umsprang, die zu solchen christlichen Alternativen herausforderten. Edda Lechner selbst hat schließlich einen endgültigen Bruch mit der Kirche vollzogen, indem sie 1974 aus ihr austrat, weil sie zu der Erkenntnis gekommen ist, dass „uns kein höh'res Wesen rettet, sondern wir uns aus dem Elend nur selber erlösen können“. In dem Kapitel „Was kommt danach?“ stellt sie dar, wie sie unter dem politischen Druck des Radikalenerlasses in verschiedenen Berufen, in kommunistischen und linken Parteien und in alternativen Bewegungen ihre 68er Ziele weiterhin konsequent zu verwirklichen versuchte. Insgesamt ist ihre Abhandlung davon geprägt, stets darüber zu reflektieren, welche geistigen und geistlichen Vorbilder – ob Jesus oder Marx – ihren jeweiligen Wandel im Denken und Handeln bewirkt haben. Das Buch ist im Übrigen mit zahlreichem authentischen Bildmaterial versehen, das Titel-Foto zeigt sie oben rechts bei ihrer Protest-Aktion auf dem Kirchentag 1969.

 

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Zu den verschiedensten Themen kann man in den "Marxistischen Blättern" entsprechende Analysen, Berichte, wissenschaftliche Untersuchungen uvm. bis zur Diskussions vieles wiederfinden.

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Marxistische Blätter

1963 in Frankfurt a. Main gegründet sind die Marxistischen Blätter die älteste unter den existierenden marxistisch orientierten Zeitschriften in Deutschland.

Wäre das identisch mit „altmodisch“, gäbe es die MBl nicht mehr. Doch mit heute beständigen 2300 festen AbonentInnen und dem Freiverkauf stehen die MBl wohl dafür, dass sie den Vorsatz der Gründer, den Marxismus gerade im kapitalistischen Deutschland, wo der größte Aufwand getrieben wird, ihn „zu widerlegen bzw. zu bekämpfen“, zu verteidigen und authentisch marxistische Erkenntnisse zu vertreten, durchgehalten hat. Dies über Jahrzehnte mit dramatischen gesellschaftlichen und machtpolitischen Umbrüchen.

Da konnten wir nicht nur recht behalten. Da mussten manche schon für unumstößlich gehaltenen Positionen aufgegeben und sich, oft von Meinungsstreit angetrieben, darauf besonnen werden, dass der Marxismus eine sich durch kritische Prüfung an der Praxis entwickelnde, also dialektische Wissenschaft ist. Der Rückschlag für den Sozialismus und die internationale kommunistische Bewegung hat uns manches Schlechteren belehrt.

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Dabei ist uns als Theoriezeitschrift der „politische Gebrauchswert“ ein gewichtiges Kriterium. Die MBl stehen in enger Verbindung mit der DKP, der kommunistischen Partei, ohne formell und inhaltlich ein „Parteiblatt“ zu sein. Der Leitgedanke von Marx, Engels und Lenin, die revolutionäre Theorie mit der praktischen Arbeiterbewegung zu verbinden, macht die MBl dennoch offen für die Mitarbeit eines breiten Spektrums von Autorinnen und Autoren nationaler und internationaler Provenienz.

Die Marxistischen Blätter erscheinen zweimonatlich, mit 112 Seiten, im Neue Impulse Verlag. Anschrift der Redaktion und des Verlages: Hoffnungstr. 18, 45127 Essen. Das Einzelheft kostet 7,50 €, das Jahresabonnement 42,50 €. Verbilligtes Jahresabo (für Schüler, Studenten, Arbeitslose und andere Geringverdienende, auch im europäischen Ausland): 27,50 €. Ausland und Streifbandbezug: plus 7,50 € Versandkostenzuschlag. Mindestbezugszeitraum 12 Ausgaben (2 Jahre). Das Abonnement verlängert sich um jeweils ein Jahr, wenn es nicht spätestens sechs Wochen vor Ende des Bezugszeitraums schriftlich gekündigt wird.

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Umbau der Klassengesellschaft

Inhalt:

Werner Seppmann: Was kann die Klassenanalyse leisten?
Ekkehard Lieberam: Strukturveränderungen in der Lohnabhängigenklasse
Werner Seppmann: Strukturveränderungen in der Klassengesellschaft
Michael D Yates: Ein statistisches Porträt der US-amerikanischen arbeitenden Klasse
Nicole Mayer-Ahuja: Prekäre Arbeit und die Gewerkschaften?
Richard Albrecht: Pauperismus
Otto Meyer: Die real existierende Kirche in der Konter-Reform
Manfred Sohn: Schlussfolgerungen aus dem Umbruch der Klassengegensätze

Kart., 194 S.
10,90 EUR

  Umbau der Klassengesellschaft
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Projektbeschreibung

 

 

Die Marx-Engels-Gesamtausgabe wurde in den 1970er Jahren in Berlin und Moskau begonnen. Sie erwarb in Fachkreisen hohes Ansehen und ist in allen großen Bibliotheken der Welt präsent. Nach 1989 haben sich Wissenschaftler, Politiker und Verleger aus vielen europäischen Ländern, Japan und den USA nachdrücklich für die Fortführung der Ausgabe eingesetzt.

 

Auf Initiative des Internationalen Instituts für Sozialgeschichte, in dessen Besitz sich der größte Teil der Handschriften von Marx und Engels befindet, wurde 1990 in Amsterdam die Internationale Marx-Engels-Stiftung (IMES) gegründet, die seither die MEGA als akademische Edition in internationaler Forschungskooperation herausgibt. Die politisch unabhängige IMES ist ein internationales Netzwerk, dem neben der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissen­schaften und dem Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam, das Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn und das Rußländische Staatliche Archiv für Sozial- und Politikgeschichte in Moskau angehören. Ziel der IMES ist es, die MEGA als historisch-kritische Edition sämtlicher Schriften von Marx und Engels zu Ende zu führen.

 

Derzeit arbeiten Wissenschaftlerteams in Deutschland, Rußland und Japan an der MEGA. An der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften findet die Koordination der Arbeiten und die Endredaktion und Satzvorbereitung aller in internationaler Forschungskooperation edierten Bände statt.

 

Zur Geschichte der MEGA

Das Projekt einer historisch-kritischen Marx-Engels-Gesamtausgabe geht auf David Borisovič Rjazanov (1870–1938) zurück. Der russische Gelehrte begann in den 1920er Jahren in Moskau mit der Edition einer 42bändigen Marx-Engels-Ausgabe, die in Frankfurt am Main und Berlin verlegt wurde und von der zwischen 1927 und 1941 zwölf Bände erschienen sind. Die Machtergreifung Hitlers und der in den 1930er Jahren eskalierende stalinistische Terror, dem neben Rjazanov mehrere russische und deutsche Editoren zum Opfer fielen, setzten dieser Edition, in der erstmals Marx’ „Öko­nomisch-philosophische Manuskripte“ aus dem Jahre 1844 und die „Deutsche Ideologie“ veröffentlicht wurden, ein Ende. Obwohl Rjazanovs Projekt in der Zeit des „Tauwetters“ nach Stalins Tod in Moskau und Berlin wieder aufgegriffen wurde, konnte das Konzept für eine neue „zweite“ MEGA, die den literarischen Nachlass von Marx und Engels vollständig und originalgetreu darbietet, ausführlich kommentiert und die Textentwicklung mit modernen Methoden darstellt, erst in den 1960er Jahren gegen den Widerstand hoher Partei­instanzen, denen eine historisch-kritische Gesamtausgabe suspekt war, durchgesetzt werden. Das Internationale Institut für Sozialgeschichte (IISG) unterstützte das Projekt bereits damals, da der Charakter der Edition als historisch-kritische Gesamtausgabe garantiert wurde. Die 1972 in einem Probeband vorgestellten Editionsrichtlinien dieser „neuen“ MEGA orientierten sich an innovativen Editionskonzepten und wurden von der internationalen Fachwelt positiv aufgenommen. Zwei Drittel der für eine historisch-kritische Gesamtausgabe unentbehrlichen Originalhandschriften befinden sich seit den 1930er Jahren im Besitz des IISG, ein weiteres Drittel war nach Moskau gelangt und wird heute im Rußländischen Staatlichen Archiv für Sozial- und Politik­geschichte aufbewahrt. Von den bis 1990 erschienenen 36 Bänden wurde jeweils ein Drittel am Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU, Moskau, am Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin, sowie an der Akademie der Wissenschaften und einigen Universitäten und Hochschulen der DDR bearbeitet. Da die Edition somit eine Parteiangelegenheit war, erfolgten Einführung und Kommentierung der Texte nach den ideologischen Grundsätzen des Marxismus-Leninismus und auch auf die Textdarbietung gab es politisch motivierte Einflussnahmen.

 

Nach dem Herbst 1989 ergriffen das IISG und das Karl-Marx-Haus Trier der Friedrich-Ebert-Stiftung im Einvernehmen mit den beiden bisherigen Herausgeberinstituten die Initiative zur Gründung der Internationalen Marx-Engels-Stiftung (IMES), die im Oktober 1990 in Amsterdam errichtet wurde.

 

Im Februar 1992 schloss die Konferenz der deutschen Akademien der Wissenschaften einen Kooperationsvertrag mit der Inter­nationalen Marx-Engels-Stiftung. Auf Empfehlung des Wissenschaftsrates und der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung wurde die MEGA nach positiver Begutachtung durch eine internationale Kommission unter dem Vorsitz von Dieter Henrich als Vorhaben der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in das Akademienprogramm des Bundes und der Länder aufgenommen. Die „Begutachtung dieser Aus­gabe [hatte] zum Ergebnis, daß sie als Edition auf hohem Niveau erfolgt sei und auch westlichen Ansprüchen entspreche“.

 

Das gilt in gleicher Weise auch für das äußere Erscheinungsbild der – von dem Leipziger Buchkünstler Albert Kapr entworfenen – MEGA-Bände, deren Typographie und Einbandgestaltung auch nach dem Wechsel vom Dietz Verlag zum Akademie Verlag (1998) erhalten geblieben ist.

 

Neu war demgegenüber die Aufgabe der Entpolitisierung der Edition, insbesondere in der Kommentierung. An die Stelle des früheren, politisch motivierten teleologischen Deutungs- und Editionsimperativs ist nunmehr das Prinzip der konsequenten Historisierung des Werkes getreten. Dies meint eine Kontextualisierung, die das Marxsche Denken im Zusammenhang seiner Zeit und ihres Problem- und Fragehorizontes verortet. Dabei wird deutlich, daß Marx, unabhängig von der geschichtsprägenden Kraft seines Denkens, einen legitimen Ort in der Wissenschaftsgeschichte mehrerer Disziplinen besitzt: Über die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften hinaus wird durch die MEGA der enzyklopädische Ansatz eines Œuvres sichtbar, das sich über Philosophie und Soziologie bis hin zur Kulturgeschichte erstreckt. Durch die gelungene Rekonstitution des MEGA-Projekts als Akademienvorhaben hat Marx nach dem Epochenjahr 1989 seinen Platz im Kreis der großen klassischen Denker gefunden.

 

Philologische Prinzipien

Die Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) ist die vollständige, historisch-kritische Ausgabe der Veröffentlichungen, der nachgelassenen Manuskripte (Entwürfe) und des Briefwechsels von Karl Marx und Friedrich Engels.

 

Vollständigkeit

Sie bietet das literarische Erbe von Marx und Engels – soweit es überliefert und der Wissenschaft zugänglich ist – erstmals in seiner Gesamtheit dar. Zu den bereits bekannten Schriften, Artikeln und Briefen – erstmals auch der an sie gerichteten Briefe Dritter – kommt eine Reihe bisher unveröffentlichter bzw. neu entdeckter Arbeiten hinzu. Durch Autorschaftsanalysen konnte zudem die Urheberschaft von Marx oder Engels an zahlreichen Texten verifiziert oder falsifiziert und somit der Werkbegriff weiter konturiert werden. Darüber hinaus werden alle Manuskripte, Entwürfe, Notizen und Exzerpte publiziert.

 

Originaltreue
In der MEGA werden alle Texte in der Sprache der jeweiligen Originale wiedergegeben. Dies bildet die Grundlage für Untersuchungen zu Sprachschatz, Begriffswelt und zur Klärung historisch-genetischer Fragen der Terminologie. Die Textwiedergabe folgt getreu den überlieferten autorisierten Textvorlagen, auf Grundlage der originalen Handschriften und Drucke. Unvollendete Manuskripte werden in jenem Bearbeitungsstadium dargeboten, in dem die Autoren sie hinterlassen haben. Eine kritische Textrevision im Sinne der Beseitigung eindeutig fehlerhafter Stellen erfolgt behutsam und unter genauer Rechenschaftslegung.

 

Darstellung der Textentwicklung
Die MEGA dokumentiert vollständig und übersichtlich die Werkentwicklung von der er­sten Gedankenskizze bis zur Fassung letzter Hand mit Hilfe moderner Editionsmethoden: Die einzelnen Werke werden zunächst im Textteil nach der Handschrift oder dem Erstdruck vollständig wiedergegeben. Die gesamte autorisierte Textentwicklung in Manuskripten und Drucken veranschaulichen Variantenverzeichnisse im wissenschaftlichen Apparat, so dass jede einzelne Fassung eines Werkes herangezogen, aber auch die Textentwicklung in ihrer Gesamtheit überblickt werden kann. Damit wird ein bislang ungekannter Einblick in die Arbeitsweise der Autoren ermöglicht.

 

Ausführliche Kommentierung
Die Textdarbietung ist verbunden mit einer intensiven wissenschaftlichen Kommentierung. Diese beginnt mit einer Einführung, in der das Textmaterial vorgestellt und wissenschaftsgeschichtlich kontextualisiert wird. Im Anschluss daran wird die Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte jedes Werkes dargestellt. Dies schließt den Nachweis der Verfasserschaft, die Begründung der Datierung sowie eine genaue Beschreibung der überlieferten Handschriften und autorisierten Drucke ein. Es folgen das Variantenverzeichnis mit der Darbietung der Textentwicklung und das Korrekturenverzeichnis, das über redaktionelle Eingriffe in den überlieferten Text Auskunft gibt. Die Erläuterungen bringen die vom wissenschaftlichen Nutzer benötigten Sachhinweise, werkimmanente Verweise und Quellenbelege. Ein umfangreicher Registerapparat beschließt jeden Band.

 

Marx-Engels-Gesamtausgabe

 

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Die Lenin-Gesamtausgabe in 40 Bänden mit den dazugehörigen Registerbänden sind im Internet je nach Zustand für ca.300 € käuflich zu erwerben.

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Mehr Profite - mehr Armut - Prekarisierung und Klassenwiderspruch

Im Oktober 2006 irrlichterte kurz eine Debatte durch die Mainstreammedien, die - zumindest vergleichsweise - etwas mit der Realität in diesem Lande zu tun hatte. Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) entdeckte das »abgehängte Prekariat«, und ein bekennender Liebhaber des Pfälzer Weins, im Nebenjob SPD-Vorsitzender, machte sich öffentlich Sorgen um eine Unterschicht, die sich ihrem Schicksal ergeben habe.

Damit hatte die sogenannte Unterschichtendebatte begonnen. Sie sollte sich in der Folge als nicht mehr vollständig kanalisierbar erweisen.

Handlungsrahmen
Die Marx-Engels-Stiftung nahm diese Debatte zum Ausgangspunkt, um den Zusammenhang von Prekarisierung und Klassenwiderspruch zu analysieren. Unter dem Titel »Mehr Profite - mehr Armut« stellt sie den nunmehr vierten Band ihres Projektes Klassenanalyse vor. Die zutreffende Feststellung lautet: »Die Armut ist vom Keller in den ersten Stock der Gesellschaft gezogen.« Die sechs Autoren des Bandes behaupten dies nicht nur. Sie belegen ihre Thesen mit umfangreichem Faktenmaterial. So analysiert z. B. Ekkehard Lieberam die Stoßrichtung der FES-Studie als eine »Handreichung von Herrschaftswissen an die neoliberalen "Reformer" (...) Die Studie will den Regierenden Auskunft darüber geben, welche "Gruppen" dem "Wandel aufgeschlossen" oder "skeptischer" gegenüberstehen.«

Lieberams Text, der zwischenzeitlich unter dem Titel »Prekarität ist überall« im Verlag edition ost erschienen ist, ist Streitschrift im besten Sinne. Sie beschäftigt sich nicht nur fundiert mit den sozialen Verwerfungen in dieser Gesellschaft, sondern auch mit deren Ursachen. Auf Basis faktengestützer Analyse gelingt es Lieberam nicht nur, seine Skepsis hinsichtlich des Globalisierungsbegriffes zu erläutern, sondern er formuliert so etwas wie einen politischen Handlungsrahmen für die marxistische Linke in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen, der in der zukünftigen Debatte verstärkt Beachtung finden sollte.

Werner Seppmann indes unternimmt es in seinem Beitrag, den Zusammenhang von Prekarisierung, »sozialdestruktiven Entwicklungen einschließlich ihrer subproletarischen Verfestigungstendenzen« und den Strategien zur Verunsicherung weiter Teile der Bevölkerung durch die Herrschenden zu untersuchen. Seppmann findet eine Reihe von Antworten auf die Frage, warum die am deutlichsten an den Rand Gedrängten in diesem Land sich nicht vernehmlicher zu Wort melden, warum der Widerstand insgesamt so gering bleibt. » Von ihren eigenen Aktivitäten erwarten die Opfer der ausbeutungsorientierten gesellschaftlichen Umgestaltungsprozesse ebenso wenig positive Impulse für ihre Lebenssituation, wie von der "großen Politik". Deshalb verweigern sie sich mehrheitlich sozialen Protestbewegungen, wie auch den Wahlprozeduren« , meint Seppmann und macht deutlich, daß Verunsicherung und Existenzängste immer größere Teile der abhängig Beschäftigten erfassen. Dies hat handfeste soziale Ursachen und ist Ergebnis der Kapitaloffensive zur Verbesserung der entsprechenden Verwertungsbedingungen sowie des Klassenkampfes von oben. Mindestens weitere 20 Prozent der BRD-Bevölkerung leben mittlerweile in so unsicheren Verhältnissen und verfügen über ein so geringes Einkommen, daß sie jederzeit sozial abstürzen können.

Hier ist nur noch Raum, den Beitrag von Wolfgang Richter zu erwähnen, der sich auf Basis der Ergebnisse einer Dortmunder Forschungsgruppe mit den strukturellen und sozialen Auswirkungen der Hartz-Gesetzgebung und auch den Folgen für den sogenannten ersten Arbeitsmarkt auseinandersetzt.

Insgesamt ist der Band ein wesentlicher Beitrag zur Verbreiterung des marxistisch geprägten Zugriffs auf die gegenwärtigen Veränderungen in der Sozial- und Klassenstruktur der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Auch die Ansätze zur Handlungsorientierung sind prägnant zusammengefaßt.

Klassenfraktionen
Lieberam betont die Notwendigkeit zur Verständigung auf ein gemeinsames Programm, »das die verschiedenen Klassenfraktionen der abhängig Arbeitenden und sozial Ausgegrenzten zusammenführt«. Zu diesem Programm gehören für ihn Forderungen wie die nach Umverteilung der Arbeit durch radikale Arbeitszeitverkürzung, nach Existenzsicherung auf der Grundlage gesetzlicher Mindestlöhne und die Einführung einer ausreichenden sozialen Grundsicherung. »Dazu gehört auch der offenbar langwierige Abwehrkampf gegen die fortschreitende Umverteilung von unten nach oben und die Privatisierung des öffentlichen Eigentums.« Lieberam mahnt zu Recht: »Wenn die Linke in diesem Abwehrkampf gegen Privatisierung, Sozialraub, Reallohnkürzungen und Massenentlassungen nicht ihre Hausaufgaben macht, wird die Ausweitung prekärer Arbeits- und Lebensverhältnisse sich unweigerlich fortsetzen. Sie muß die Machtfrage und nicht die Haushaltsfrage stellen.«

Dem Band ist eine weite Verbreitung zu wünschen. Er sollte auch genutzt werden, um die Diskussion zwischen der marxistischen Linken und den real existierenden sozialen Bewegungen deutlich zu beleben.

Michael Mäde

Kart., 216 S.
12,90 EUR

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Sozialcrash

Mit der Restauration des Kapitalismus in Ostdeutschland seit 1990 haben sich dramatische gesellschaftliche Umbrüche vollzogen. Die westdeutsche Bourgeoisie zerschlug mithilfe ihres politischen und administrativen Personal zügig das sozialistische Eigentum und überführte es dort, wo es profitabel erschien, in Privateigentum. Sie festigte so ihre Machtbasis und machte die frühere DDR zugleich zum Experimentierfeld für ihre inzwischen "gesamtdeutsch" angelegten Konterreformen. Der Phase der "radikalen Zerstörung der ökonomischen Strukturen, der gesellschaftlichen Verhältnisse und damit auch der Normen zwischenmenschlichen Verhaltens"(M.Benjamin) folgte die - noch anhaltende - Phase der "Konter-Evolution"; die Annäherung des Klassenrealität zwischen West- und Ostdeutschland im Zeichen des entfesselten Kapitalismus. Doch ist nicht zu übersehen, dass die sozialen Widersprüche in Ostdeutschland auch heute noch in aller Regel schärfer in Erscheinung treten und aus der DDR überkommene soziale und politische Strukturen, Verhaltensweisen, Werteorientierungen wie auch Bewertung gesellschaftlicher Zusammenhänge erstaunlich zählebig sind. Aus den Einsichten in die Praxis von zwei gesellschaftlichen und politischen Systemen, mit der erlebten Abwertung des Lebens in der DDR, überhaupt mit den Erfahrungen aus "vormundschaftlicher Vereinigung" und Kapitalismus pur ist eine vielschichtige Ostidentität hervorgewachsen, gekennzeichnet durch eine ausgeprägte system- und kapitalismuskritische Einstellung, die im Zusammenhang mit dem Nachdenken über die Voraussetzungen politischer Klassenbildung nicht unbeachtet bleiben darf.

Kart., 152 S., Januar 2007
9,90 EUR

 

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Aus: Ausgabe vom 18.02.2017, Seite 4 (Beilage) / Wochenendbeilage

Ein Industriestaat wird zertrümmert

Die DDR basierte auf sozialistischem Eigentum, nach kapitalistischen Maßstäben ein Verbrechen. Das wird seit 1990 gesühnt

Von Arnold Schölzel

Sonneberg 1973: Auch der VEB Kombinat Spielwaren exportierte weltweit

ddrbildarchiv.de / Klaus Morgenstern/ dpa-Zentralbild

Flughafen Berlin-Schönefeld, 4. Oktober 1967: Eine Interflug-Stewardess stellt das neue Winterkostüm der DDR-Fluggesellschaft für das weibliche Bordpersonal vor

dpa - Report/ ZB

Andreasstraße in Berlin-Friedrichshain, 1970: Altstoffsammeln war in der DDR über Jahrzehnte selbstverständlich

ddrbildarchiv.de / Klaus Morgenstern/ dpa-Zentralbild

VEB Pentacon Kombinat Dresden, Januar 1976: Endkontrolle einer Spiegelreflexkamera »Praktica L2«

Ulrich Hässler /dpa-Zentralbild / picture alliance

Scharfenstein im Erzgebirge, 1992: Die Treuhand will eines der größten Werke zur Herstellung von Kühlschränken schließen

jW / Christian Bach

Die soziale Situation der abgewickelten DDR-Arbeiterinnen und Arbeiter hat nie interessiert – bald sollten die Landschaften ja blühen

jW / Christian Bach

Magdeburg, August 2002: Im früheren Schwermaschinenbaukombinat »Ernst Thälmann« (SKET)

jW Christian Bach

Leuna 1973: Mitglieder einer Frauenbrigade

picture-alliance / akg

Leipzig, 1950: Die VEB Baumwollspinnerei im Stadtteil Plagwitz mit Losung zum FDJ-Deutschlandtreffen

Archiv Spinnerei / dpa - Report

Noch gab es Arbeit: In der Leipziger Baumwollspinnerei zwischen 1990 und 1992

Christiane Eisler / picture alliance/dpa-Zentralbild

Sonneberg 1973: Auch der VEB Kombinat Spielwaren exportierte weltweit

ddrbildarchiv.de / Klaus Morgenstern/ dpa-Zentralbild

Flughafen Berlin-Schönefeld, 4. Oktober 1967: Eine Interflug-Stewardess stellt das neue Winterkostüm der DDR-Fluggesellschaft für das weibliche Bordpersonal vor

dpa - Report/ ZB

Für die Geschichte der DDR gibt es eine staatlich alimentierte und gelenkte »Industrie«. Sie bringt Filme, Dokumentationen, Ausstellungen und Schriften hervor, hat ein Monopol über Schullektüre, ist an den Universitäten maßgebend für »Forschung« und Lehre auf diesem Gebiet, verfügt über eigene Museen und setzt die propagandistische Bekämpfung des ostdeutschen Staates durch den westdeutschen im Kalten Krieg so fort, als sei der nie zu Ende gegangen. Ein Effekt ist: Die Verbrechen des deutschen Imperialismus in zwei Weltkriegen und im von ihm an die Macht gebrachten Faschismus verschwinden aus dem Bewusstsein vor allem Heranwachsender. Dies ist ein Grund, warum z. wB. in die »Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen«, eine frühere DDR-Haftanstalt, jährlich Zehntausende Besucher gebracht werden, die »Gedenkstätte Plötzensee«, wo zwischen 1933 und 1945 fast 3.000 Menschen, zumeist antifaschistische Widerstandskämpfer, oft bestialisch ermordet wurden, fast außerhalb öffentlicher Wahrnehmung existiert. Wer die Internetseiten beider Einrichtungen vergleicht, erfährt rasch, welchen Schwerpunkt die werdende neue deutsche Großmacht in ihrer Geschichtspolitik setzt.

Das ist nicht überraschend, auffällig aber, wie sparsam hierzulande mit der Zeit von »Treuhand«, Abwicklung, Zerstörung von Industrie, Kultur und sozialen Netzen der Ostdeutschen bis in deren Familien hinein umgegangen wird. Über die demnächst 27 Jahre seit dem Anschluss herrscht weitgehend Schweigen und vor allem in den alten Bundesländern verordnete Unkenntnis. Die flächendeckenden, vom damaligen Bundesfinanzminister Theo Waigel ausdrücklich gedeckten Straftaten bei der Plünderung des staatlichen DDR-Eigentums ergäben für sich genommen eine Skandalchronik, die ihresgleichen in der Weltgeschichte sucht. Aber es ging um mehr: Um die Zertrümmerung eines insgesamt modernen Industriestaates, weil er auf sozialistischem Eigentum basierte. Seine Einwohner störten allerdings. Sie lernten den neuen Staat als Motor privater Bereicherung kennen. Wie es in den Betrieben aussah, bevor die Raubritter einfielen, und wie zu Beginn ihrer Plünderungen, davon berichten die hier zusammengestellten Bilder. Ähnliches ließe sich heute aus Griechenland, Portugal oder Spanien zeigen, wo vor allem das deutsche Kapital mit Deindustrialisierung und Massenarbeitslosigkeit seine Führungsrolle in der EU ausübt.

 

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Zum 75. Jahrestag des Überfalls des faschistischen Deutschlands auf die Sowjetunion

Anton Latzo

 

Wortbrüchig und ohne vorherige Kriegserklärung überfiel vor 75 Jahren (22. Juni 1941) das faschistische Deutschland die Sowjetunion. Zu diesem Zeitpunkt tobte in der Welt schon fast zwei Jahre ein Krieg zwischen den beiden imperialistischen Machtgruppen. Der Überfall, den die Sowjetunion mit dem Großen Vaterländischen Krieg beantwortete, war wichtigster Bestandteil des 2. Weltkrieges. Sein Verlauf und Ausgang bestimmten wesentlich den Charakter der Ergebnisse des zweiten Weltkrieges, die weiteren Entwicklungsmöglichkeiten der Völker und die Perspektiven des Friedens.

 

Ursachen

Der zweite Weltkrieg entsprang, wie der erste, dem System des Kapitalismus und der ihm eigenen Widersprüche. Die Neuaufteilung der Welt zugunsten der von den USA, England und Frankreich geführten Mächtegruppierung, die aus dem ersten Weltkrieg als Sieger hervorgegangen war, beseitigte nicht die Widersprüche, die zum ersten Weltkrieg geführt haben. Sie schuf vielmehr alle Bedingungen für die weitere Verschärfung der Widersprüche und für neue Zusammenstöße.

 

Die Krise des Kapitalismus, die sich nach dem ersten Weltkrieg und der sozialistischen Oktoberrevolution entwickelte, vertiefte alle inneren Widersprüche des kapitalistischen Systems.

 

Besonders scharfe Widersprüche traten zwischen den alten und den jüngeren imperialistischen Mächten auf, die sich infolge der Ungleichmäßigkeit der Entwicklung des Kapitalismus nach vorn schoben, sowie zwischen den Siegerstaaten und den besiegten Ländern, die nach Revanche strebten.

Zwischen den beiden imperialistischen Mächtegruppierungen  entbrannte der Kampf um die Weltherrschaft, der immer schärfere Formen annahm.Wie vor dem ersten Weltkrieg wurde der Kampf besonders aggressiv von deutschen Imperialismus geführt.

 

Die Existenz und die Entwicklung des ersten sozialistischen Staates der Welt, der Sowjetunion, waren der neue und entscheidende Faktor, durch den sich die Situation und die Bedingungen der Vorbereitung des zweiten Weltkrieges von denen des ersten grundlegend unterschieden. Neben den Widersprüchen, die die Imperialisten trennten, gab es auch daraus resultierende Elemente, die sie zusammenführten. Das war vor allem der grundlegende Widerspruch zwischen den beiden sozialökonomischen Systemen, dem Kapitalismus und dem Sozialismus, der Kampf gegen den Sozialismus.

 

Der deutsche Imperialismus bereitete den Überfall auf die Sowjetunion langfristig vor. Besonders intensiv geschah das nach der Machtergreifung durch den Faschismus. Unter Ausnutzung der großzügigen Hilfe amerikanischer und britischer  Monopole und der von den bürgerlichen Regierungen der westlichen Länder betriebenen Politik der Beschwichtigung und der Begünstigung einer deutschen Aggression gegen die UdSSR konnte das faschistische Deutschland ein gewaltiges militärisch-ökonomisches Potenzial schaffen aus dem die genannten Monopole riesige Gewinne zogen.

 

So wurde der zweite Weltkrieg durch die Gesetzmäßigkeiten des Imperialismus geboren  und entstand innerhalb dieses Systems. Das Monopolkapital, dessen natürliche Wirkungsmöglichkeiten  und Instrumentarien zur Sicherung von Profit  und Herrschaft im Imperialismus in ihrer Wirksamkeit nachlassen, bringt den Faschismus hervor und setzt ihn ein, um seine innen- und außenpolitischen Ziele mit Gewalt durchzusetzen.

Die faschistische Ideologie und Politik erwachsen aus den materiellen Grundlagen des Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium. Der Faschismus erweist sich mit seiner autoritären, antidemokratischen und menschenfeindlichen Grundstruktur als geeignetes Mittel zur Durchsetzung der reaktionären und expansiven Ziele  des Imperialismus.

 

Militärische Kräfte

Die Faschisten setzten fast die ganze Kraft der imperialistischen deutschen Kriegsmaschinerie und außerdem die Streitkräfte der Satelliten des faschistischen Deutschlands (Finnland, Horthy

Ungarns, des bürgerlich-feudalen Rumäniens und später auch des faschistischen Italiens) gegen die Sowjetunion ein.

Zum Zeitpunkt des Überfalls auf die UdSSR verfügte das faschistische Deutschland über eine 8,5 Millionen Mann starke Armee. Die deutsche Wehrmacht besaß 214 Divisionen und 7 Brigaden, über zehntausend Flugzeuge, eine starke Kriegsmarine. 

Über eine Million Soldaten zählten die Armeen der Verbündeten Deutschlands, Rumäniens, Finnlands und Ungarns. Hinzu kam Italien mit seinen Kräften. Diese „Verbündeten“ haben dutzende ihrer Divisionen unter den Befehl des deutschen Oberkommandos gestellt. An den westlichen Grenzen der Sowjetunion wurden so 190 Divisionen entfaltet, über 4000 Panzer und etwa 5000 Flugzeuge konzentriert. Die Invasionskräfte waren 5,5 Millionen Mann stark.

Die deutsche Regierung ging bereits im Jahre 1940 zu einer umfassenden Truppenkonzentrierung an den sowjetischen Grenzen über. Am 1. Juni 1941 war diese Aktion im wesentlichen abgeschlossen.

Für die Rote Armee war so ein ungünstiges militärisches Kräfteverhältnis entstanden. Im Bereich der grenznahen Militärbezirke und Flotten verfügten die sowjetischen Truppen über 2,9 Millionen Mann, 1540 Flugzeuge neuer Bauart und zahlreiche Flugzeuge alter Modelle, etwa 35 000 Geschütze und Granatwerfer, 1800 schwere und mittlere Panzer (davon zwei Drittel neue Modelle) und zahlreiche leichte Panzer älterer Bauart. Insgesamt betrug das Übergewicht des faschistischen Gegners gegenüber der Sowjetunion: an Truppen das 1,8fache, an mittleren Panzern das 1,5fache, an modernen Flugzeugen das 3,2fache und an Geschützen und Granatwerfern das 1,25fache.

 

Für die sowjetische Regierung und für die Führung der sowjetischen Streitkräfte waren die aggressiven Pläne des Faschisten und ihre Absicht, die Sowjetunion zu überfallen, offensichtlich. Die Bestimmung des Zeitpunktes für diesen Überfall beruhte jedoch auf einer Fehleinschätzung. J.W. Stalin war fälschlicherweise der Auffassung, dass die deutsche Führung sich nicht in absehbarer Zeit entschließen würde, den zwischen Deutschland und der UdSSR 1939  abgeschlossenen Nichtangriffsvertrag zu verletzen, wenn es dafür keinen Vorwand habe.

Die sowjetische Regierung versuchte den Überfall Deutschlands auf die UdSSR mit diplomatischen Mitteln zu erschweren. Noch am Abend des 21. Juni1941 (21Uhr 30 Minuten) versuchte sie Gespräche mit der deutschen Regierung anzuknüpfen. Molotow traf sich mit dem deutschen Botschafter in Moskau, von der Schulenburg, und informierte ihn u.a. über den Inhalt einer sowjetischen Note wegen der zahlreichen Grenzverletzungen durch deutsche Flugzeuge. Nur wenige Stunden später drangen die faschistischen Streitkräfte  in die Sowjetunion ein.

 

Ziele

Die deutschen Imperialisten und faschistischen Machthaber spekulierten schon in den 1920er Jahren auf die antisowjetische  und antikommunistische  Einstellung und auf die antisowjetischen Pläne der herrschenden Kreise der USA, Englands und Frankreichs. Sie nutzten den Antikommunismus und Antisowjetismus, um von ihren Konkurrenten Kredite, technische Erkenntnisse, Rohstoffe und strategische Materialien zu bekommen, restriktive militärische Auflagen nach dem 1. Weltkrieg aufzuheben und Unterstützung auf diplomatischer Ebene zu erhalten.

 

Dieses Verhalten der internationalen imperialistischen Kreise förderte  jene Kräfte in Deutschland, die die Beseitigung der Weimarer Republik und die Schaffung politischer und ideologischer Zustände förderten, die eine Politik des Revanchismus und des Strebens des deutschen Imperialismus nach Weltherrschaft ermöglichten. Die antisowjetischen Ziele waren gemeinsame Ziele des internationalen Imperialismus mit den deutschen Imperialisten. In der Errichtung einer faschistischen Diktatur in Deutschland sahen sie den für sie erstrebenswerten Weg.

 

Im Krieg gegen die UdSSR stellte sich die faschistische deutsche Führung das Ziel, die soziale und politische Ordnung des Sowjetlandes  zu beseitigen, den sowjetischen Staat zu zerschlagen, die Macht der Gutsbesitzer und Kapitalisten wiederherzustellen, die staatliche Selbständigkeit der Völker der Sowjetunion zu beseitigen, sie zu Sklaven der deutschen Herrenmenschen zu machen sowie die Reichtümer der UdSSR an sich zu reißen.

Am 30. März 1941 erklärte Hitler laut Tagebuch Halders (Eintragung vom 30. März 1941) als er die Ziele und Pläne des Krieges gegen die UdSSR darlegte: „Unsere Aufgaben hinsichtlich Russlands: die Streitkräfte zerschlagen, den Staat vernichten. Der Krieg gegen Russland ist ein Kampf zweier Ideologien. Tod dem Bolschewismus, der gleichbedeutend ist mit einem sozialen Verbrechen. Unsere Aufgabe ist der Vernichtungskrieg. Unsere erstrangige Aufgabe ist die Vernichtung der bolschewistischen Kommissare und der kommunistischen Intelligenz. Die neuen Staaten werden keine eigene Intelligenz haben. Man darf nicht zulassen, dass eine neue Intelligenz entsteht.“

 

Die deutschen Imperialisten betrachteten die Zerschlagung der Sowjetunion als eine äußerst wichtige Etappe auf dem Weg zur Eroberung der Weltherrschaft. Die Rassentheorien hatten die Aufgabe, die Vorbereitung des Raubkrieges durch den deutschen Imperialismus zu begründen. Ihre Weltherrschaftsansprüche erklärten die faschistischen Strategen mit der von den Ideologen  des Imperialismus und der Reaktion erfundenen Geopolitik.

Auf der Grundlage der Geopolitik und der Rassentheorie beruhte auch die Lebensraumtheorie, die in der faschistischen Propaganda eine wichtige Rolle spielte.

 

So entstand im Zentrum Europas der gefährlicher Brandherd, der zum Hauptherd des zweiten Weltkrieges wurde.

 

Lehren

Der zweite Weltkrieg erfasste nahezu alle Länder der Erde. Die Hauptlast des erbitterten Kampfes gegen das faschistische Deutschland trug jedoch das Sowjetvolk, trugen seine Streitkräfte und seine im Rücken des Feindes kämpfenden Partisanen. Seine Verluste an Menschen und Material waren unermesslich.

 

Bürgerliche Historiker, Politologen und führende Politiker der Gegenwart bemühen sich auch heute immer wider, die Rolle der Sowjetunion zu entstellen. Sie versuchen zugleich die Ideologie und Politik des Imperialismus, besonders des deutschen Imperialismus, die zum zweiten Weltkrieg und zum Überfall auf die Sowjetunion führten, so zu interpretieren, dass sie dem aktuellen politischen Auftrag an die heute Regierenden dienlich ist und das Wesen des deutschen Imperialismus und seiner Politik im Dunkeln verschwinden lässt. In diesem Sinne wird nicht nur Politik beurteilt, sondern verstärkt das Denken breitester Kreise der Bevölkerung beeinflusst und NATO-Truppen, zu denen auch die Bundeswehr gehört, vertragswidrig in Osteuropa vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer stationiert

 

Es ist nicht zu übersehen, dass wesentliche Elemente der Lebensraumtheorie und der Geopolitik erneut in der „wissenschaftlichen“ Diskussion, in den Denkfabriken für die außen- und Sicherheitsstrategie des deutschen Imperialismus, in den Medien und sogar in den Planungen und Grundlagendokumenten (Weißbuch der Bundeswehr) zur Entwicklung der außenpolitischen und Sicherheitsstrategie der Bundesrepublik eine wichtige Rolle spielen.

Diskussionsthemen

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