Liebe Besucher,
in Vorbereitung der Bundestagswahlen, werden hier Wahlversprechen aufgeführt und was aus Ihnen geworden ist. Ich bitte um Zusendungen, da ich dieses umfangreiche Feld alleine nicht bearbeiten kann. Die Adresse finden Sie unter Impressum!
Vielen Dank
Diese Seite wurde am 7.12.2016 neu eingerichtet.
Anmerkung:
Jeder wahlberechtigte Bürger der BRD sollte sich an Hand dieser Wahlprüfsteine, selbst ein Bild darüber machen, welche Partei und welchen Kandidaten er denn im September 2017 wählen wird.
Dabei ist es genauso wichtig, zu bewerten, wie welcher Kandidat bzw. Partei in der Vergangenheit sich entsprechend positioniert hat. Ebenso wichtig ist kritisch zu hinterfragen, wie glaubwürdig seine jetzigen Wahlaussagen sind.
Jeder wahlberechtigte Bürger trägt eine enorme Verantwortung, wie er letztendlich wählt.
Carsten Hanke
(parteilos)
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Aus dem Rundbrief von Joachim Jahnke „global news 3785 14-04-20
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Steinmeier und die neue Solidarität in einer anderen Gesellschaft
Es war eine für den sonst ziemlich beamtenhaft trockenen Bundespräsidenten ungewöhnlich pathetische Rede zu ungewöhnlicher Zeit und besonders ungewöhnlich für Menschen mit einem längeren Gedächtnis, die er am Samstag vor Ostern an das deutsche Volk richtete (hier nur Auszüge): "Nur möglichst schnell zurück in den alten Trott, zu alten Gewohnheiten? Nein, die Welt danach wird eine andere sein. Ich glaube: Wir stehen jetzt an einer Wegscheide. Schon in der Krise zeigen sich die beiden Richtungen, die wir nehmen können. Entweder jeder für sich, Ellbogen raus, hamstern und die eigenen Schäfchen ins Trockene bringen? Oder bleibt das neu erwachte Engagement für den anderen, für die Gesellschaft? Und helfen die, die es wirtschaftlich gut durch die Krise schaffen, denen wieder auf die Beine, die besonders hart gefallen sind? Solidarität - ich weiß, das ist ein großes Wort. Die Solidarität, die Sie jetzt jeden Tag beweisen, die brauchen wir in Zukunft umso mehr! Wir werden nach dieser Krise eine andere Gesellschaft sein. Wir wollen keine ängstliche, keine misstrauische Gesellschaft werden. Aber wir können eine Gesellschaft sein mit mehr Vertrauen, mit mehr Rücksicht und mit mehr Zuversicht. Wir können und wir werden auch in dieser Lage wachsen." Die Leute mit dem längeren Gedächtnis werden sich erinnern, wie begrenzt dieser Bundespräsident in seiner politischen Vergangenheit die Solidarität mit den Schwachen geachtet hat. Steinmeier leitete das persönliche Büro des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Schröder und ging mit ihm als Chef des Bundeskanzleramts in die Bundesregierung. In dieser Funktion, die er von 1999 bis 2005 bekleidete, wurde er einer der Gründungsväter der Agenda 2010, die zu den unseligen Hartz-Gesetzen führte. Er gehörte damals auch dem Steuerungskreis zur Umsetzung der Hartz-Reformen an. Es war die Zeit, als unter Schröder die soziale Solidarität in Deutschland immer weiter abgebaut wurde.
Man sollte auch an seine Rede auf dem deutschen Arbeitgebertag von 2013 denken, als Steinmeier daran erinnerte, daß es die entscheidenden Steuersenkungen unter einer
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sozialdemokratischen Regierung gegeben hätte: mit der Senkung des Spitzensteuersatzes, mit der Senkung des Eingangsteuersatzes, mit der Senkung der Unternehmenssteuern und mit dem Abgeltungssteuergesetz, wonach die Kapitalzinsen nur noch für die Hälfte versteuert würden. Das sei damals immerhin sozialdemokratische Steuerpolitik gewesen, und er finde das bis heute nicht so ganz schlecht. Allerdings waren diese auf die Gut- und Bestverdienenden konzentrierten Steuergeschenke, deren sich Steinmeier ausgerechnet vor den Arbeitgebern rühmte, auch Fußtritte gegen die soziale Solidarität in Deutschland. Und wie steht es heute bei den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise mit der Solidarität gegenüber den Schwachen in der Gesellschaft? Viele Millionen Arbeitnehmer, vielleicht mehr als die Hälfte (die Zahlen sind noch nicht bekannt), rutschen in die Kurzarbeit und verlieren sofort 40 % ihres entgangenen Lohnes, die durch das staatliche Kurzarbeitergeld nicht ausgeglichen werden. Allein die Metall- und Elektroindustrie erwartet bis Ende April rund 2,2 Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit, mehr als die Hälfte der gesamten Branchenbeschäftigten. Unter den Kurzarbeitern sind sehr viele Niedriglohnarbeiter, die sofort und noch mehr auf die kümmerlichen Sozialhilfen angewiesen sein werden. Etwa jeder fünfte Vollzeitbeschäftigte arbeitet derzeit für einen Niedriglohn: 4,14 Millionen Menschen oder 19,3 % der Vollzeitbeschäftigten mit weniger als 2203 Euro brutto im Monat (Abb. 20829). Noch viel größer sind die Anteile bei Frauen, Menschen unter 25 Jahre und Ausländern, und bei den Frauen sind es oft Alleinerziehende mit viel Kinderarmut (Abb. 20830).
Gleichzeitig verbreitet sich Unsicherheit, ob die Unternehmen mit der Kurzarbeit durchhalten oder ob viele der Betroffenen in die Arbeitslosigkeit und nach nur einem Jahr Arbeitslosengeld Dank der von Steinmeier mitgeschaffenen Hartzgesetze auf das miese Hartz4-Niveau weiter abrutschen. Auf der anderen Seite hat die EZB mit ihren gigantischen Finanzspritzen dafür gesorgt, daß sich die Börsenkurse erstaunlich schnell wieder erholt haben, wenn auch noch nicht voll (Abb. 20828).
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Warum konnte der Bundespräsident in seiner Rede über die Bedeutung der Solidarität und die "andere Gesellschaft nach dieser Krise", kein einziges Wort über die von der Krise besonders sozial Benachteiligten verlieren, für die der Staat bisher sehr begrenzt Solidarität zeigt? Und schließlich, wird das vom Bundespräsidenten gepriesene, neu erwachte Engagement für den anderen und die Gesellschaft wirklich dauerhaft sein? (…) … Nein, diese andere Gesellschaft der Solidarität, zu der er in seiner früheren politischen Verantwortung so wenig beigetragen hat, ist wohl nur eine Beruhigungspille für die in der Gesellschaft, die jetzt unter der Wirtschaftskrise besonders leiden werden. So philosophiert denn auch Wilhelm Heitmeyer, einer der bedeutendsten deutschen Soziologen und Gründungsdirektor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld, zweifelnd: "Es ist ja jetzt auch eine spannende Frage, ob und wie sich möglicherweise eine neue gesellschaftliche Solidarität entwickelt - oder eben auch nicht". * * * * * aus dem Rundbrief von Joachim Jahnke „global news 3785 14-04-20“
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Anmerkung: Die Grünen als ehemalige Öko-und Friedenspartei,sind nicht nur für die militärische Aufrüstung, obwohl das Militär mit seinen Ressourcenverschwendung nicht nur der größte Umweltsünder sind, sie sind auch mit ihrer aggressiven Ausrüstung eine Gefährdung für den Frieden.Also keine Auslandseinsätze der Bundeswehr und Abrüstung statt Aufrüstung.
Deutschland
Weil Deutschland bei Militärmission nicht mitmacht: US-Botschafter Grenell sieht rot
1.08.2019 • 16:57 Uhr
Quelle: AFP © Saul Loeb
(Archivbild). Richard Grenell während einer Anhörung des Senats für Auswärtige Beziehungen auf dem Capitol Hill in Washington, DC, 27. September 2017.
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Der US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, hat die Bundesregierung für ihre ablehnende Haltung zum Bundeswehreinsatz in der Straße von Hormus scharf kritisiert. Unter anderem verwies er auf die vielen Opfer, die die USA bisher für Deutschland erbracht hätten.
Die zumindest temporäre Absage der Bundesregierung an einer Beteiligung der Bundesmarine an einer "Schutzmission" in der Straße von Hormus ist auf wenig Verständnis beim amtierenden US-Botschafter Richard Grenell gestoßen. Dieser setzte umgehend auf eine Medienkampagne gegen die Bundesregierung.
Mehr lesen:US-Botschafter Grenell: "Deutschland muss kapieren, dass es so nicht weitergehen kann"
Gegenüber dem Springerblatt BILD erklärte der umstrittene Botschafter:
Was wir wollen, was die amerikanische Bevölkerung will, ist ein klares Bekenntnis der deutschen Bevölkerung, dass sie den Westen unterstützt.
Im Gespräch mit der Augsburger Allgemeinen erklärte er:
Amerika hat viel geopfert, um Deutschland dabei zu helfen, ein Bestandteil des Westens zu bleiben. Die USA haben derzeit 34.000 Soldaten in Deutschland stationiert, das sind Milliarden Dollar, die die amerikanische Bevölkerung ausgibt.
Darüber hinaus betonte Grenell, dass Deutschland die größte Wirtschaftsmacht in Europa sei und dass dieser Erfolg "globale Verantwortlichkeiten mit sich" bringe.
Letzte Woche hatte der US-Botschafter zudem dieses, eingedenk der US-amerikanischen Vorliebe für Angriffskriege und Interventionen, recht zweideutige Banner an der US-Botschaft in Berlin anbringen lassen:
Keine Satire! Aktuelles Banner @usbotschaft #Berlin: "Unsere Botschaft heißt Liebe" - Was wohl die Völker #Afghanistan #Libya #Syria #Venezuela #Iraq #Iran #Yugoslavia #Chile #Vietnam #Somalia #Guatemala #Haiti #Bolivia #Cuba zu dieser #Lovedeclaration des US-Imperialismus sagen?
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Am Mittwoch hatte Außenminister Heiko Maas (SPD) einer US-geführten Militärmission in der Straße von Hormus mit deutscher Beteiligung eine deutliche Absage erteilt. Doch der Druck vonseiten des US-Botschafters scheint Wirkung zu zeigen.
Denn trotz der klaren Absage durch das Auswärtige Amt geht die Debatte über die Entsendung der Bundeswehr weiter. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen wirbt weiterhin vehement für einen eigenständigen europäischen Einsatz mit deutscher und französischer Beteiligung zum Schutz von Handelsschiffen in der strategisch bedeutsamen Meerenge – parallel zu der amerikanischen Operation "Sentinel" (Wache).
Mehr lesen:Maas: Deutschland beteiligt sich nicht an US-Mission in der Straße von Hormus
Die Gründe für eine eigene europäische Mission am Golf bleiben bestehen, auch wenn sich Großbritannien für eine Mission mit den USA entscheiden sollte. Es geht ja um europäische Interessen und nicht um spezifisch britische. Eine europäische Mission sollte also von einer Gruppe europäischer Staaten gebildet werden, zu der Frankreich und Deutschland zählen müssen", erklärte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags der Deutschen Presse-Agentur.
Auch der Grünen-Außenpolitiker und Mitglied der Atlantik-Brücke Omid Nouripour machte sich für eine Teilnahme der Bundeswehr stark.
Die USA versuchen bereits seit Wochen, breite Unterstützung für ihre Militärmission zum Schutz von Handelsschiffen vor iranischen Angriffen im Persischen Golf zu bekommen. Großbritannien berät derzeit mit den USA, wie ein gemeinsames Vorgehen aussehen könnte. Unter dem neuen Premierminister Boris Johnson haben sich die Briten in der Frage der Hormus-Mission auf die Seite der USA geschlagen, nachdem der inzwischen abgelöste frühere Außenminister Jeremy Hunt zunächst eine europäische Mission befürwortet hatte.
Maas begründete die deutsche Absage damit, dass die Bundesregierung die US-Strategie des "maximalen Drucks" auf den Iran für falsch halte. Deutschland wolle keine militärische Eskalation und setze weiterhin auf Diplomatie. Die Frage, ob er eine parallele europäische Mission befürworte, beantwortete Maas nicht.
Die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer hatte am Mittwoch auf der Bundespressekonferenz betont, eine maritime Schutzmission europäischer Staaten halte die Bundesregierung grundsätzlich "weiterhin für erwägenswert". Auch mehrere Unionspolitiker sprachen sich dafür aus.
https://youtu.be/Fb4tqXPIvZQ
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Jobwunder? Nein, die Agenda 2010 hat keine Arbeit geschaffen...
8. NOVEMBER 2018 | PATRICK SCHREINER Die rot-grüne »Agenda 2010« der Regierung Schröder habe Arbeit geschaffen, so der Tenor vieler Medienberichte zu den jüngst veröffentlichten Beschäftigungszahlen des Statistischen Bundesamts. Doch davon kann keine Rede sein.
In seiner Regierungserklärung vom 14. März 2003 hat der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) seine »Agenda 2010« mit den Worten angekündigt: »Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen.« Angebotsorientierte, ▸arbeitgeberfreundliche Maßnahmen bestimmten daraufhin die ▸Arbeitsmarktund Sozialpolitik der rot-grünen Bundesregierung: Einführung von Hartz IV (einschließlich einer Ausweitung von Sanktionen und Arbeitszwang auch zu schlechten Bedingungen), Ausweitung der Leiharbeit, Ausweitung des Niedriglohnsektors, Liberalisierung des Handwerks, Einschränkung des Kündigungsschutzes, Leistungsabbau bei der gesetzlichen Krankenversicherung sowie der Rentenversicherung. Die so genannten Lohnnebenkosten für Arbeitgeber wurden gesenkt. Die Überlegung hinter dieser Politik: Wenn Arbeit billiger werde und Arbeitslose in (fast) jedes Beschäftigungsverhältnis gezwungen würden, dann entstünden neue Arbeitsplätze. Selbst Schröders Konkurrentin und Nachfolgerin Angela Merkel zeigte sich angetan: »Ich möchte Bundeskanzler Schröder ganz persönlich dafür danken, dass er mit seiner Agenda 2010 mutig und entschlossen eine Tür aufgestoßen hat, eine Tür zu Reformen, und dass er die Agenda gegen Widerstände durchgesetzt hat.«
Die Agenda 2010 hat eines ihrer Ziele, nämlich einen großen Niedriglohnsektor zu schaffen, durchaus erreicht. Weit über 20 Prozent der abhängig Beschäftigten hierzulande arbeiten mittlerweile für Niedriglöhne – auch im ▸internationalen Vergleich ist dies ein hoher Wert. Schröder selbst lobte sich schon 2005 vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos, er habe »einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt.« Aber hat Schröder auch das eigentliche Ziel seines Maßnahmenpakets erreicht, nämlich Arbeit zu schaffen?
Gerne wird, um angeblich positive Auswirkungen der »Agenda 2010« zu belegen, auf die vergleichsweise positive ▸Entwicklung des Arbeitsmarktes seit Mitte der 2000er Jahre verwiesen. So etwa vor Kurzem ▸Alexander Hagelüken in der Süddeutschen Zeitung: »Wer dem Jobrekord 2018 eine Kerze anzündet, darf den Namen der Partei eingravieren, die heute mit Schröder hadert und vielleicht auch deshalb orientierungslos abwärts taumelt: SPD.«
Und die neoliberale, arbeitgebernanzierte Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) verkündete in einer Werbekampagne, die 2017 während des Bundestags-Wahlkampfes Druck gegen einen vermeintlich sozialeren Kurs des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz machen sollte: »5,3 Millionen Arbeitslose – 12,5 Prozent Jugendarbeitslosigkeit – 1,8 Millionen Langzeitarbeitslose. Deutschland war der kranke Mann Europas. Jetzt stehen wir dank der Agenda 2010 wieder gut da.«
8.11.2018 Jobwunder? Nein, die Agenda 2010 hat keine Arbeit geschaffen... | Blickpunkt WiSo
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Dass die Zahl der Arbeitslosen gesunken ist, lässt sich in der Tat nicht leugnen – genauso wenig wie der Umstand, dass die Zahl der Erwerbstätigen und der abhängig Beschäftigten seit Mitte der 2000er angestiegen ist. Nun mag man argumentieren, dass die Realität aber ganz anders aussehe, weil diese günstige Entwicklung am Arbeitsmarkt durch ▸Niedriglöhne und prekäre Beschäftigung »erkauft« worden und daher ganz und gar nicht positiv zu beurteilen sei. Gänzlich falsch wäre eine solche Kritik nicht. Wie das nachfolgende Schaubild zeigt, hat ▸atypische Beschäftigung in der Tat massiv zugenommen:
Und doch ist eine solche Kritik an den unsozialen Folgen der Agenda 2010 aus mindestens drei Gründen unvollständig, wenn nicht fragwürdig. Erstens, weil der Trend zur prekären und atypischen Beschäftigung schon vor der Agenda 2010 einsetzte, sie diesen also »nur« fortsetzte oder verstärkte. Zweitens, weil man mit einer solchen Kritik Gefahr läuft, die zentrale Grundannahme von Schröder & Co. zu übernehmen und zu akzeptieren – dass nämlich Arbeit prekärer werden müsse, damit überhaupt neue Arbeit entstehen könne. Heiner Flassbeck hat zur Genüge und schon ▸sehr früh begründet, warum diese Argumentation Humbug ist, vor einiger Zeit auch ▸Michael Wendl hier auf Blickpunkt WiSo. Drittens ist eine solche Kritik an den unsozialen Folgen der Agenda 2010 schlicht deshalb unvollständig bzw. fragwürdig, weil sie unterstellt, die Agenda 2010 habe tatsächlich Arbeit geschaffen. Genau das hat sie aber eben nicht.
Um das zu beurteilen, kann man nämlich nicht wie Hagelüken und die INSM schlicht auf die Entwicklung der Arbeitsplätze oder der Arbeitslosigkeit schauen. Entscheidend ist vielmehr die Entwicklung der Zahl der gearbeiteten Stunden. Betrachtet man diese, so stellt man leicht fest: Ein nennenswerter Teil der »guten« Entwicklung bei den Arbeitsplätzen ist darauf zurückzuführen, dass Arbeit schlicht auf mehr Köpfe verteilt wurde. Das nachfolgende Schaubild zeigt sehr anschaulich, dass die Zahl der abhängig Beschäftigten deutlich schneller gewachsen ist als die Zahl der von diesen Menschen gearbeiteten Stunden:
8.11.2018 Jobwunder? Nein, die Agenda 2010 hat keine Arbeit geschaffen... | Blickpunkt WiSo
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Will man beurteilen, ob Arbeit neu entstanden ist, muss man daher alleine und ausschließlich die Entwicklung der Zahl der gearbeiteten Stunden betrachten. Nur wenn mehr Arbeitsstunden anfallen, und zwar unabhängig von der Zahl derer, die sie leisten, kann man davon sprechen, dass Arbeit geschaffen wird.
Der Arbeitsmarktforscher Joachim Möller vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kam 2013 in einem ▸Beitrag für Spiegel Online zum Ergebnis, dass die Zahl der Arbeitsstunden 2012 höher gewesen sei als 2003 (dem Jahr der Schröder‘schen Regierungserklärung). Dass dem tatsächlich so war, lässt sich unschwer der blauen Kurve in obigem Schaubild entnehmen. Dort wird auch ersichtlich, dass die Zahl der gearbeiteten Stunden seitdem sogar noch weiter nach oben ging. Dieser Anstieg der Zahl der Arbeitsstunden sei, so Möller, der Beweis für den Erfolg der Agenda 2010. Er schreibt:
»Ein Blick auf die Zahlen zeigt: Das Arbeitsvolumen lag 2012 mit 58,12 Milliarden Stunden um gut vier Prozent über dem Stand von 2003 mit 55,88 Milliarden Stunden. Man muss fast 20 Jahre, bis ins Jahr 1994, zurückgehen, um einen ähnlich hohen Wert zu nden. Der Arbeitsmarkterfolg der letzten Jahre ist also auch am Arbeitsvolumen ablesbar.« Und am Ende seines Textes kommt Möller – trotz einiger halbwegs kritischer Nebenbemerkungen etwa zur Zunahme atypischer Beschäftigung – zu diesem überaus positiven Fazit:
»Sieht man sich die Situation am deutschen Arbeitsmarkt unvoreingenommen an, lässt sich nicht wegdiskutieren, dass sich Schröders Arbeitsmarktreformen unterm Strich ausgezahlt haben.« Hat die Agenda 2010 also dazu geführt, dass die Zahl der Arbeitsstunden in Deutschland angestiegen ist? Die Antwort sei vorweggenommen: Nein. Möllers Behauptung, obwohl zumindest von den klügeren Befürwortern der Agenda 2010 immer wieder in ähnlicher Form wiederholt, kann nicht überzeugen – und zwar aus vier Gründen:
Erstens, weil ein Vergleich der Jahre 2003 und 2012 bzw. 2017 einem Vergleich von Äpfeln und Birnen gleichkommt. 2003 war ein Krisenjahr, 2012 und 2017 waren Aufschwungjahre. Man sollte, um aussagekräftige Ergebnisse zu bekommen, nur Aufschwungjahre oder Krisenjahre miteinander
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vergleichen. Also beispielsweise das Jahr 2000 mit dem Jahr 2012 oder 2017. Dann fällt die Bilanz der Agenda 2010 zwar (scheinbar) immer noch günstig aus, relativiert sich aber um einiges.
Zweitens, weil der aktuelle Aufschwung schon seit mehreren Jahren anhält. Ein Aufschwung führt immer zu zusätzlichen Arbeitsstunden – und ein langer Aufschwung eben zu besonders vielen. Das ist nicht weiter überraschend, denn im Kapitalismus geht es immer auf und ab.
Drittens, weil dieser Aufschwung keineswegs von der Agenda 2010, sondern ganz wesentlich von der ▸Binnennachfrage getrieben wird. Wenngleich noch höhere Löhne wünschenswert gewesen wären, so ▸stiegen die Reallöhne in den letzten Jahren doch immerhin an. Damit ist dieser Aufschwung (und die Zunahme der Arbeitsstunden) ganz wesentlich auf eine Entwicklung bzw. Ursache zurückzuführen, die den Annahmen der Agenda 2010 vollständig widerspricht. Laut Agenda 2010 sollten ja niedrigere Lohn- und Lohnnebenkosten zur Schaffung von Arbeit führen. Tatsächlich aber steigt die Zahl der Arbeitsstunden wieder an, seitdem und weil die Löhne und Lohnnebenkosten wieder stärker steigen.
Viertens, weil Deutschland einen großen und in der Tendenz wachsenden Leistungsbilanzüberschuss verzeichnet. Es werden hierzulande also mehr Waren und Dienstleistungen produziert und ins Ausland exportiert, als anderswo produziert und von dort nach Deutschland importiert werden.
Seit der Agenda 2010 hat sich dieser Überschuss nochmals in etwa verdoppelt. Zugespitzt formuliert bedeutet ein Leistungsbilanzüberschuss einen Nettoexport von Produktion und Arbeit und dementsprechend dann auch einen Export von Arbeitslosigkeit in andere Länder. Schließlich verbucht ein Land nur dann Überschüsse, wenn andere Länder Dezite verbuchen. Bleiben derartige Ungleichgewichte nun aber dauerhaft bestehen, so führt dies zu ▸weltwirtschaftlichen Verwerfungen bis hin zu Krisen. Dennoch setzte die Agenda 2010 als ▸wirtschaftspolitische Strategie gezielt auf solche Überschüsse. Und die wirtschaftspolitische Mehrheit in Deutschland – einschließlich der aktuellen Bundesregierung – tut das nach wie vor. Nun ist aus den eben genannten Gründen eine solche Strategie allerdings alles andere als nachhaltig und vernünftig. Bereinigt man vor diesem Hintergrund – zugegebenermaßen etwas hemdsärmelig* und nur näherungsweise – die Zahl der Arbeitsstunden in Deutschland um den Anteil des Leistungsbilanzüberschusses am Bruttoinlandsprodukt, also um die auf den Leistungsbilanzüberschuss zurückzuführenden
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Arbeitsstunden, so bleibt vom vermeintlichen »Beschäftigungswunder« Agenda 2010 nicht mehr viel übrig:
Selbst die verbleibenden Arbeitsmarkt-Effekte, die man mit etwas gutem Willen der Agenda 2010 zuschreiben kann, entpuppen sich bei genauerer Betrachtung also als wenig überzeugend. Die auf den ersten Blick positive Entwicklung von Arbeit und Beschäftigung seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts beruht mithin wesentlich auf dem Überschuss in der Leistungsbilanz, also auf einer gesamtwirtschaftlich problematischen Entwicklung.
Dies ist umso bedenklicher, als eine bessere Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik damals möglich war und auch heute möglich ist. Letzteres hat beispielsweise das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) vor einiger Zeit mit einer ▸»Modellsimulation einer erfolgreichen Wachstums- und Beschäftigungspolitik« gezeigt. Deutlich höhere öffentliche Ausgaben für Infrastruktur, Bildung und andere Bereiche öffentlicher Dienstleistungen sowie hohe Lohnsteigerungen über mehrere Jahre hinweg sind das genaue Gegenteil der Agenda 2010. Und genau diese und ähnliche Maßnahmen würden zu mehr Arbeit und Beschäftigung führen und den gesamtgesellschaftlichen Wohlstand erhöhen, so das IMK: »Mit dem hier präsentierten wirtschaftspolitischen Wachstumsszenario kann gezeigt werden, dass es in einem 15-Jahreszeitraum unter realistischen Rahmenbedingungen möglich ist, eine zusätzliche Zunahme der Erwerbstätigen um rund 2 Millionen Personen zu erreichen.« Es gilt, sich von der Agenda 2010 endlich ebenso zu ▸verabschieden wie von den Mythen, die sich nach wie vor um sie ranken. Der 20. Jahrestag der rot-grünen Regierungsübernahme (die Regierung Schröder trat ihr Amt am 27. Oktober 1998 an) ist ein guter Zeitpunkt dafür. Und der Fall der SPD weit unter 20 Prozent ist ein guter Grund.
* Die Zahl der Arbeitsstunden in den jeweiligen Jahren wurden hier rechnerisch um den Anteil des Leistungsbilanzüberschusses am BIP reduziert (bereinigt) in der Annahme, dass die Höhe dieses Überschusses in etwa dem Ausmaß der exportierten Arbeitslosigkeit entspricht. Etwas hemdsärmelig ist diese Berechnung vor allem, weil der Export wohl nur ▸unterdurchschnittlich arbeitsintensiv ist und
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weil auch schon 2003 ein Leistungsbilanzüberschuss bestand (was, nebenbei bemerkt, die Absurdität der damaligen Debatten um eine angeblich mangelnde »Wettbewerbsfähigkeit« der deutschen Wirtschaft aufzeigt.) Allerdings lag die auf diese Weise bereinigte Zahl der Arbeitsstunden noch 2017 so deutlich unter der des Jahres 2000, dass die Aussage dieses Artikels trotz der Hemdsärmeligkeit der Berechnung gültig bleiben kann. - Eine alternative Variante der Berechnung, die zu vergleichbaren Ergebnissen kommt, ndet sich auf ▸Maskenfall.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.
URL: https://www.blickpunkt-wiso.de/post/jobwunder-nein-die-agenda-2010-hat-keine-arbeit-geschaffen-2267.html | Gedruckt am: 08.11.2018
Aus: Ausgabe vom 25.11.2017, Seite 8 / Ansichten
Verantwortungsethiker einer einstmals großen Partei. Martin Schulz
Foto: Axel Schmidt/REUTERS
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Angela Merkel spricht: Die SPD sei eine große, stolze Partei, und sie möge doch auch jetzt, wie immer in der Vergangenheit, sich ihrer staatspolitischen Verantwortung nicht entziehen. Die Freundlichkeit ist entweder versteckter oder unbewusster Hohn. Durchtrieben ist die Bemerkung über die große Partei, die gerade ein bisschen kleiner geworden ist.
Mit dem Hinweis auf die staatspolitische Verantwortung will die Kanzlerin die SPD in eine große Koalition locken. Dabei übergeht sie, dass die große, stolze Partei immer staatspolitisch verantwortlich handelt, egal ob in der Opposition, als Gefolgschaft eines sozialdemokratischen oder als Juniorpartnerin eines christdemokratischen Kanzlers (oder einer Kanzlerin). Nie muss sie sich für staatspolitische Verantwortung entscheiden, sondern sie ist mit ihr identisch. Wäre ihr Deutschland nicht so heilig, dann könnte sie den Buchstaben D in ihrem Kürzel durch ein V ersetzen: Staats-Politische Verantwortungspartei.
Bekanntlich gilt das schon seit dem 4. August 1914, als die sozialdemokratische Reichstagsfraktion dem Kaiser Wilhelm die Kriegskredite bewilligte und dies damit begründete, sie lasse das Vaterland in der Stunde der Gefahr nicht im Stich.
Im gleichen Sinn handelten Ebert, Noske und Scheidemann 1918/1919. Sebastian Haffner irrte, als er 1969 behauptete, sie hätten damals die Revolution verraten. Das Gegenteil war der Fall. Die Mehrheitssozialdemokratie hat damals tatsächlich eine Revolution gemacht, nämlich eine rechtssozialdemokratisch-bürgerliche. Die ist aber immer die Todfeindin einer kommunistischen oder auch nur einer gründlich radikaldemokratischen Revolution. Als Friedrich Ebert dem Prinzen Max von Baden versicherte, er hasse die Revolution wie die Sünde, meinte er Spartakus. Er war staatspolitisch verantwortlich.
Dies galt auch bis 1933: Ob die SPD den Kanzler (bzw. zunächst den Reichsministerpräsidenten) stellte, sich von Stresemann 1923 in eine große Koalition einfügen ließ, 1928–1930 selbst eine solche führte oder – die meiste Zeit – bürgerliche Minderheitsregierungen (bzw. 1930–1932 die Präsidialdiktatur Brünings) tolerierte: Immer war die staatspolitische Verantwortung ihre Parteiräson.
Seit 1945 wiederholte sich das bis heute. Die SPD kann gar nicht anders. Geht sie, wie von Schulz am 24. September 2017 angekündigt, in die Opposition, handelt sie staatspolitisch verantwortlich, denn sie verhindert damit vielleicht, dass sie pulverisiert wird und dem Staat nicht mehr zur Verfügung steht. Das gleiche gilt, wenn sie eine Minderheitsregierung toleriert. Eintritt in eine Große Koalition ist also nur eine von drei Arten, sich staatspolitisch verantwortlich zu verhalten. Wäre die SPD noch größer und stolzer, als sie ist, müsste sie der Kanzlerin sagen, diese wisse offenbar nicht, mit wem sie es zu tun habe.
Meinung
Während die AfD eher mit provokanten Sprüchen zur Deutschen Vergangenheit irritierte, schaffen andere irritierende Fakten.
In dem sie zum Beispiel deutsche Soldaten immer weiter in den Osten verlegen und sich somit de facto, aus historischer Sicht, wie der buchstäbliche Elefant im Porzellanladen aufführen. Ein Kommentar von RT Deutsch Chefredakteur Ivan Rodionov.
https://youtu.be/tS3EAIFcq1M
https://deref-web-02.de/mail/client/-iaeI1Ppt8U/dereferrer/?redirectUrl=http%3A%2F%2Fwww.dr-schacht.com%2FWie_die_Linken_ihre_Wahlversprechen_erfuellen.pdf
Aus: Ausgabe vom 10.06.2017, Seite 5 / Inland
Die Finanzen sind die Voraussetzung: Protest für mehr soziale Gerechtigkeit (Nürnberg, 13. November 2010)
Foto: Daniel Karmann dpa/lby
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Andreas Brändle ist Landtagskandidat der Partei Die Linke in Niedersachsen
Doch, das Geld ist da. Die Linke strebt eine spürbare Umverteilung von oben nach unten an, von den Reichsten zu jenen, die gar kein Vermögen besitzen. Sie wäre demnach die größte Steuersenkungspartei. Zumindest kleine bis höhere Einkommen, nämlich bis zu 7.100 Euro monatlich, würden von niedrigeren Sätzen profitieren. Jeder zusätzliche Euro über einem Jahreseinkommen von einer Million würde mit dem Höchststeuersatz von 75 Prozent veranschlagt. Kern des Konzepts ist die Erhöhung des Grundfreibetrags von derzeit 8.820 Euro auf jährlich 12.600 Euro. Bis zu einer Summe von 1.400 Euro brutto für einen Alleinstehenden wären gar keine Steuern mehr fällig – für Bezieher niedriger Einkommen wäre das eine spürbare Verbesserung. Die Linke will bei den Großverdienern zulangen. Weitere wichtige Bausteine sind die Einführung einer Vermögenssteuer, eine Erbschaftssteuer, die den Namen verdient. Eine Reform der Kapitalertragssteuer muss her, so dass Kapitalerträge nicht mehr steuerlich gegenüber Löhnen bevorzugt werden. Eine Finanztransaktionssteuer würde den Einfluss von Spekulanten mindern. Die Gewerbe- und Grunderwerbssteuer soll durch eine Gemeindewirtschaftssteuer ersetzt werden. Sie soll den Kommunen mehr Einnahmen ermöglichen, durch eine Ausweitung der entsprechenden Steuerpflicht insbesondere auf Freiberufler, Ärzte, Apotheker, Rechtsanwälte und Notare, welche jedoch das abzuführende Geld vollständig auf ihre Einkommenssteuer anrechnen könnten.
Steht Die Linke mit einem gerechten Steuerkonzept alleine da? Für die SPD hat Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil Eckpunkte für ein Steuerkonzept vorgelegt. Gerechter soll es zugehen. Die unteren und mittleren Einkommen sollen entlastet werden. So würde beispielsweise eine Krankenschwester mit einem Bruttoeinkommen von 30.000 Euro jährlich, knapp 500 Euro pro Jahr weniger zahlen müssen. Mit dem Linke-Konzept wären für diese Krankenschwester die Steuern um 1.839 Euro niedriger. Ab einem Familieneinkommen von 20.000 Euro pro Monat würden gemäß den Eckpunkten der SPD sage und schreibe 84 Euro mehr Einkommenssteuer im Jahr fällig. Nach dem Abgabenkonzept der Linken wären es mehr als 10.000 Euro. Bei einer Einkommenssteuer von 49 Prozent wäre bei der SPD Schluss. Die wären da ab einem Jahreseinkommen von 150.000 Euro für eine Person fällig. Anders Jean-Luc Mélenchon, Präsidentschaftskandidat der Linken in Frankreich: Der wollte alle Einkommen über 240.000 Euro jährlich zu 100 Prozent besteuern.
Das Weil-Konzept sieht keine Vermögenssteuer vor. Dabei wäre gerade hier viel zu holen. Das Gesamtvermögen in der BRD betrug am 2. Juni 2017 rund 11,7 Billionen. Davon besitzt ein Prozent der Menschen 34 Prozent, das sind 3,96 Billionen Euro.
Mit dem Steuerkonzept der Linken würden die Kommunen, die Länder und auch der Bund die nötigen Einnahmen generieren können, um die Daseinsvorsorge auf hohem Niveau zu finanzieren und die Infrastruktur instand halten zu können. Insgesamt würden sich somit zusätzliche Einnahmen von rund 180 Milliarden Euro jährlich erzielen lassen. Allein über die Vermögenssteuer, die bei den Reichsten erhoben würde, ließe sich eine Summe von 80 Milliarden Euro jährlich an zusätzlichen Einnahmen erzielen. Da dies eine Ländersteuer ist, käme das Geld den 16 Bundesländern direkt zugute. Geld ist genug da, nur in den falschen Händen. Was liegt da näher, als es umzuverteilen.
Aus: Ausgabe vom 22.05.2017, Seite 2 / Inland
Foto: Klaus-Dietmar Gabbert dpa/lbn
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Gerd Bosbach ist Professor für Statistik und empirische Wirtschafts- und Sozialforschung an der Hochschule Koblenz, Standort Remagen
Gerd Bosbach/Jens Jürgen Korff: Die Zahlentrickser. Das Märchen von den aussterbenden Deutschen und andere Statistiklügen. Heyne-Verlag, München 2017, 272 Seiten, 19,99 Euro
Das Grundproblem ist, dass Zahlen objektiv wirken, aber den Sachverhalt oft falsch abbilden. Nehmen wir die eine Million Flüchtlinge, die 2015 angeblich nach Deutschland gelangt sind. Erstens sind längst nicht alle diese Menschen hier geblieben, und zweitens muss man die Dinge ins richtige Verhältnis setzen. Bei wahrscheinlich 800.000 Flüchtlingen kommen auf ein Dorf mit 1.000 Einwohnern mal eben zehn. Das hört sich nicht halb so dramatisch an wie eine Million. Beliebt ist auch folgendes Muster: Es gab mal ein Jahr mit einem, wie es hieß, »sprunghaften« Anstieg bei zugewanderten Rumänen und Bulgaren. Das lag aber nur daran, dass von diesen im Jahr davor praktisch keiner nach Deutschland gekommen war. Die Meldung vom »Zuwachs um 50 Prozent« zielte damals allein darauf ab, Angst zu erzeugen.
Hinter fast jeder Statistik steht ein Auftraggeber. Ist dieser in der Regel für die Manipulationen verantwortlich?
Manchmal wollen Auftraggeber wirklich etwas wissen, und dann wird auch neutral geforscht. Häufiger geht es aber darum, Argumentationsstoff für die eigene Sichtweise zu erhalten. Ich habe das während meiner Tätigkeit als Politikberater für das Statistische Bundesamt häufiger erlebt. Da sagten mir Leute am Telefon: Ich will diese oder jene Botschaft rüberbringen, liefern Sie mir die Zahlen dazu. Und weil jeder Statistiker einen Chef hat oder einen Betrieb, in dem er »funktionieren« muss, ermittelt er dann zielsicher genau die Daten, die dem Auftraggeber gefallen.
Über die Mythen »Fachkräftemangel« oder »die Deutschen sterben aus« hat man von Ihnen schon einiges gehört. Was ist neu an Ihrem neuesten Werk?
Wir haben eine ganze Reihe an Gebieten behandelt und dabei die gängigen Lügen entlarvt. Politik und Medien reden ja zum Beispiel gerne einen Konflikt zwischen reichen Rentnern und armer Jugend herbei. Auch sagt man uns, die Leistungsträger ächzten unter zu hoher Steuerlast, oder Deutschland sei der Zahlmeister Europas. Alle diese Verzerrungen und Verdrehungen setzen sich in unseren Köpfen fest und machen uns glauben, sie wären nichts als die Wahrheit. Höhere Löhne gefährden Arbeitsplätze – na klar, was denn sonst. Tatsächlich ist das nur eine Kopfgeburt neoliberaler Ideologen.
Aber es funktioniert.
Ein Beispiel: Heute mag der obszöne Reichtum zwar ein Thema sein. Aber trotzdem schrecken immer noch viele Bürger fast instinktiv zurück bei der Forderung nach einer Vermögenssteuer oder höheren Unternehmenssteuern. »Gott nein, dann bin ich meinen Job los«, denken sie. Das ist das Werk der Zahlentrickser.
Warum sind die Rüstungsausgaben, wie sie schreiben, »der Lieblingsball der Zahlenjongleure«?
Mit Rüstung lässt sich besonders viel Geld machen, weil der Staat bezahlt und weil soviel Geheimniskrämerei im Spiel ist. Karl Marx hat mal sinngemäß gesagt, bei 300 Prozent Profit existiert kein Verbrechen, das der Kapitalist nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens. Heute hört man, Deutschland müsse zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Rüstung stecken. Warum eigentlich: Die NATO gibt schon jetzt zehnmal so viel fürs Militär aus wie der »böse Russe«.
Noch ein Wort zum Abgasskandal. Wer legt eigentlich Verkehrsminister Alexander Dobrindt, CSU, die Fakten auf den Tisch?
Da würde ich gerne Mäuschen spielen. Man darf sicher sein, dass die Autoindustrie, die Straßenbauer und die Versicherer einen sehr guten Draht in sein Ministerium haben und ihm nur das stecken, was der Branche hilft. Wir haben schon 2011, lange vor Auffliegen der VW-Betrugssoftware, in unserem Buch »Lügen mit Zahlen« aufgedeckt, dass die Autohersteller mit drastisch geschönten Abgaswerten hantieren. Die Regierung hat sich dafür nicht interessiert. Meine Prognose: Herr Dobrindt wird mal besser verdienen als heute.
Hitler treu ergeben
17.05.2017
BERLIN
(Eigener Bericht) - Der diesjährige nationale "Tag der Bundeswehr" wird unter anderem in zwei nach einem NS-Kriegsverbrecher benannten Kasernen stattfinden. Die beiden militärischen Liegenschaften tragen den Namen des Wehrmachtsgenerals Erwin Rommel, der sowohl für die Rekrutierung jüdischer Zwangsarbeiter als auch für Mordbefehle gegen Kriegsgefangene verantwortlich zeichnete. Obwohl Rommel nach eigenem Bekunden Adolf Hitler als "von Gott berufenen Führer" ansah, gilt er den deutschen Streitkräften bis heute als "beispielgebend" und Protagonist des "militärischen Widerstands" gegen das NS-Regime. Gefeiert wird der Nazigeneral zudem für seine vermeintlichen strategischen Meisterleistungen während des deutschen Feldzugs in Nordafrika, die ihm den bis dato gebräuchlichen Beinamen "Wüstenfuchs" eintrugen. Führende deutsche Massenmedien sorgen seit geraumer Zeit dafür, dass dieses schon von der NS-Propaganda gepflegte Image erhalten bleibt.
Beispielhafter Namensgeber
Der für den 10. Juni anberaumte nationale "Tag der Bundeswehr" wird unter anderem in zwei nach einem NS-Kriegsverbrecher benannten Kasernen stattfinden. Die Liegenschaften in Augustdorf (Nordrhein-Westfalen) und Dornstadt (Baden-Württemberg) tragen den Namen des Wehrmachtsgenerals Erwin Rommel (1891-1944), der sowohl für die Rekrutierung jüdischer Zwangsarbeiter als auch für Mordbefehle gegen Kriegsgefangene verantwortlich zeichnete. Dessen ungeachtet gilt er den deutschen Streitkräften bis heute als "beispielgebend" [1] und Protagonist des "militärischen Widerstands" [2] gegen das NS-Regime. Die am vergangenen Wochenende von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) angekündigten Kasernenumbenennungen dürften im Fall Rommel somit gar nicht erst zur Diskussion stehen.
Begleiter des "Führers"
Neuere biographische Forschungen haben indes ergeben, dass Rommel zeitlebens antidemokratischen und faschistischen Ideologien anhing. Im Ersten Weltkrieg für seine rücksichtslose Kampfführung mit dem Orden "Pour le Mérite" geehrt, unterstützte er im März 1920 einen Aufstand extrem rechter Offiziere und Beamter gegen die junge Weimarer Republik (Kapp-Putsch). 1934 traf Rommel sich erstmals mit Hitler und erlebte danach einen geradezu kometenhaften Aufstieg. Anlässlich des Reichsparteitags der NSDAP in Nürnberg 1936 ernannte ihn der "Führer" des "Dritten Reiches" zum Befehlshaber seines persönlichen "Begleitkommandos". Bei allen folgenden Aggressionshandlungen des NS-Regimes - vom "Anschluss" Österreichs über den Einmarsch ins "Sudetenland" 1938 bis zur Besetzung Tschechiens im März 1939 - fungierte Rommel als Leiter des ebenfalls für die Sicherheit Hitlers verantwortlichen "Führerbegleitbataillons". Während des deutschen Überfalls auf Polen am 1. September 1939 kommandierte der mittlerweile zum General avancierte Militär dann das "Führerhauptquartier". Über Hitler äußerte sich Rommel grundsätzlich nur in den höchsten Tönen: "Von ihm geht eine magnetische, vielleicht hypnotische Kraft aus, die ihren tiefsten Ursprung in dem Glauben hat, er sei von Gott oder der Vorsehung berufen, das deutsche Volk 'zur Sonne empor' zu führen."[3]
Massenerschießungen
Bereits kurz nach dem Einmarsch des deutschen Militärs in Polen begannen die sogenannten Einsatzgruppen der SS, systematisch die in ihrem Einflussgebiet lebenden Juden zu ermorden. Wie der Historiker Hannes Heer urteilt, dürften diese "Massenerschießungen" Rommel "ebenso bekannt gewesen sein wie die Protestschreiben der in Polen gebliebenen drei Militärbefehlshaber, in denen sie - wegen der abschreckenden und verrohenden Wirkung auf die Truppe - die Wehrmachtsführung dringend aufforderten, 'das Abschlachten von einigen 10.000 Juden und Polen' durch SS und Polizei zu verhindern."[4]
Skrupellos
Bei der deutschen Invasion Frankreichs 1940 kommandierte Rommel eine Panzerdivision der Wehrmacht - und wurde selbst zum Kriegsverbrecher. So befahl er unter anderem, Häuser einer Ortschaft anzuzünden, um einen "Rauchschleier" für den geplanten Übergang seiner Truppen über die Maas zu erhalten. Bei anderer Gelegenheit mussten seine Soldaten weiße Fahnen schwenken, um unbeschadet die feindlichen Linien durchqueren zu können; die arglistig getäuschten Gegner ließ er danach ohne jede Skrupel erschießen.
SS-Einsatzkommando Tunis
Von Februar 1941 bis März 1943 fungierte Rommel als Befehlshaber der deutschen Truppen in Nordafrika, wo er eng mit der SS kooperierte. Bei seinem Einsatz in Tunesien etwa war er mitverantwortlich für die Heranziehung jüdischer Zwangsarbeiter zum Ausbau der deutschen Frontstellungen. In Absprache mit Rommels Stab errichtete das "SS-Einsatzkommando Tunis" ein Terrorregime: Der jüdischen Gemeinde wurden knapp 90 Millionen Francs abgepresst und ihre Angehörigen in Konzentrationslagern interniert, wo rund 2.500 Menschen den Tod fanden. Mehrfach waren deutsche Soldaten an Plünderungen in den Ghettos von Tunis, Sfax, Gabès und Sousse sowie auf der Insel Djerba beteiligt. Verantwortlich für die von Rommels Truppe unterstützten mörderischen antisemitischen Maßnahmen war der SS-Offizier Walter Rauff, der nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion die Verwendung von Gaswagen zur Ermordung der jüdischen Bevölkerung beaufsichtigt hatte.
Mordbefehle
Einen direkten Mordbefehl erließ Rommel in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B in Norditalien am 23. September 1943. Dieser erstreckte sich auf alle Angehörigen der italienischen Streitkräfte, die sich nach dem von Marschall Pietro Badoglio mit den Westalliierten geschlossenen Waffenstillstand nicht mehr dem faschistischen Mussolini-Regime verpflichtet sahen: "Wer von diesen gegen den deutschen Soldaten kämpft, hat jedes Anrecht auf Schonung verloren und ist mit der Härte zu behandeln, die dem Gesindel gebührt, das plötzlich seine Waffen gegen seinen Freund wendet."[5] Wenige Tage zuvor hatte die SS zwei Ortschaften in der norditalienischen Provinz Cuneo niedergebrannt und hunderte von Menschen unter dem Vorwand der "Partisanenbekämpfung" ermordet - mitten in Rommels Befehlsbereich.
Mustersoldat und Blitzkrieger
Analog zur Bundeswehr ehren deutsche "Leitmedien" den von der NS-Propaganda zum "Mustersoldaten" aufgebauten Rommel. Er verkörpere den "Typus des anständigen Soldaten", der zwar "listenreich" vorgehe, dabei "aber stets fair" bleibe, heißt es. Gelobt wird zudem die "Blitzkrieg-Manier", in der Rommel den deutschen Afrikafeldzug geführt habe: "Mit zunächst nur 25.000 über Tripolis eingeschifften Soldaten gelingt es ihm, die zahlenmäßig weit überlegenen Briten bis an die Grenze nach Ägypten zurückzudrängen."[6] Ausführungen über die Verbrechen, die der mit der höchsten Kriegsauszeichnung des NS-Regimes ("Goldenes Eichenlaub mit Schwertern und Brillanten zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes") dekorierte General zu verantworten hat, sucht man hier vergebens.
Konsequenzen
Vor diesem Hintergrund darf bezweifelt werden, dass der Umgang der Bundeswehr mit NS-Traditionen lediglich gewisse "Unsicherheiten" in Bezug auf die Wehrmacht aufweist, wie Verteidigungsministerin von der Leyen kürzlich formulierte.[7] Vielmehr hat die positive militärpolitische und publizistische Rezeption der Rommel'schen NS-Kriegsführung logische Konsequenzen: Niemand darf sich wundern, wenn sich Soldaten, die in einer nach Rommel benannten Kaserne Dienst tun, mit dem Namensgeber in jeder Hinsicht identifizieren. In der Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne in Augustdorf ist zu Wochenbeginn ein Oberleutnant suspendiert worden, weil er geprahlt hatte, er kenne "eine Gruppe gewaltbereiter Offiziere, die Waffen und Munition sammeln, um im Fall eines Bürgerkriegs auf der richtigen Seite zu kämpfen".[8]
[1] Überblick und Hintergrund: Kasernen mit
neuem Namen. www.bundeswehr.de 16.05.2017.
[2] Deutscher Bundestag. Drucksache 18/2168. 21.07.2014.
[3] Zitiert nach: Jakob Knab: Rommel, der schmutzige Krieg in Italien und die Traditionspflege der Bundeswehr. In: Friedensforum 2/1999.
[4] Heldengedenktag. Interview mit Hannes Heer. www.konkret-magazin.de 11.11.2013.
[5] Zitiert nach: Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945? Frankfurt/Main 2005. Siehe hierzu auch Zeitgemäß, ansprechend, emotional.
[6] Jan Fleischhauer/Jan Friedmann: Die Kraft des Bösen. In: Der Spiegel 44/2012.
[7] Die Bundesministerin der Verteidigung: Tagesbefehl. Berlin 10.05.2017.
[8] Fall Franco A.: Bundeswehr suspendiert Augustdorfer Soldaten. www.nw.de 12.05.2017.
Foto: Montage jW
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Mittags um zwei, es klopft an einer Berliner Tür. Eine Stimme ruft: »Nein, passt grade gar nicht, nein!« Martin Schulz tritt trotzdem ein, auf einem Tablett trägt er das Heil herein. »Also wenn Se schon dasind, stellen Se’s ab, dahinten am Tisch. Äh, wie ist denn Ihr Heil so? Mehr so praktisch? Sind wohl Heil-Praktiker, Sie Schlingel? Schuldigung. Sozialdemokrat sind Se? Schön is’ anders, aber ist ja heutzutage kein Makel mehr. Ist doch eigentlich auch egal, wer den Müll wegmacht. Ebert, Noske, Schmidt, Schröder ... Und Sie sind ja auch immer deutlich günstiger als die Konkurrenz. Gutes Konzept übrigens, sehr gutes Konzept.
Also ich kauf’ Ihnen Ihr Heil ab. Erst mal so’n Viertelpfund, und wenn sich das entwickelt, dann wird das ’ne große Sache. Sie hätten nicht zufällig ein Probierhäppchen dabei ...? Nein? Schade, aber Sie können das Zeug ja auch nicht immer mit sich rumschleppen, wird ja nicht besser davon. Also machen Se’s gut, immer schön am Schulz der Zeit bleiben, dann werden die Leute noch Heil... and zu Ihnen sagen. Und nehmen Sie Ihr bisschen Bart mit!«
Oskar Lafontaine auf Facebook:
FDP-Chef Christian Lindner wird nicht müde, zu betonen: „Wir haben uns erneuert.“ Niemand soll heute seine Partei mit der alten FDP in Verbindung bringen, die eine Lobbyorganisation für Unternehmer und Besserverdienende war.
Ausgerechnet BILD hat uns jetzt daran erinnert, dass die „neue“ FDP die alte ist. Weil sie „seit Januar die meisten Großspenden (über 50.000 Euro) eingefahren“ hat. „Insgesamt 616.300 Euro klingelten in der Kasse und damit mehr als bei CDU und SPD.“ Donnerwetter! Was lernen wir daraus? Die liebste Partei und treueste Dienerin der Banken und Konzerne ist die neue alte FDP.
Lindner sagte kürzlich: „Warum gibt es überhaupt Freie Demokraten? Weil wir an den einzelnen Menschen glauben. Daran, dass er nicht schwach und anleitungsbedürftig ist, so wie das die politische Linke glaubt und deshalb die Menschen mit Stützrädern ausstatten will.“ Den Besserverdienenden kann er dieses schamlose Lied vorsingen, nach dem „Stützräder“ – für die Mehrheit der Deutschen ist das der Sozialstaat – ein Zeichen von Schwäche und damit überflüssig sind. (Nebenbemerkung: Vom deutschen Kampagnenjournalismus geleugnet, hat die AfD dieselbe Einstellung, ohne, dass deshalb der FDP der Vorwurf der „AfD-Nähe“ an die Backe geklebt wird.)
Auch weil die SPD nur noch eine von mehreren neoliberalen Parteien ist – Ceta, TTIP, Erbschaftssteuer, Bahn-Privatisierung, Ausdehnung der Leiharbeit auf bis zu vier Jahre gemeinsam mit der IG Metall – feiert der Club der Umverteilung von unten nach oben fröhlich seine Party.
Und dass die Medien, einschließlich der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, das Lied der Reichen singen, hat sich in den letzten Wochen wieder einmal gezeigt. Keine Partei wurde so hofiert und hochgejubelt wie die FDP. Und man kann sicher sein, dass auf ihren smarten Vorsitzenden nicht das mediale Tontauben-Schießen eröffnet wird, das Martin Schulz nun widerfährt – vom „Gottkanzler“ und „Sankt Martin“ zum „Schulz-Fluch“. Die oberen Zehntausend brauchen die FDP, um sicher zu sein, dass ihnen wirklich keiner an ihre durch Enteignung der Arbeitnehmer erworbenen Milliarden geht. Und die Reichen und Schönen werden weiterhin die Verwalter ihrer Interessen im Parlament mit Spenden bei Laune halten.
Liebe Facebook-Freunde: Das Ganze ist natürlich nur eine Verschwörungstheorie, denn die Spenden der Banken und Konzerne sind ein „Beitrag zu unserer Demokratie“.
neues deutschland
Von Aert van Riel
Keine moralische Instanz
Aert van Riel über die Rüge für Martin Schulz durch das EU-Parlament
Foto: dpa/Patrick Seeger
Der Bundestagswahlkampf wird einmal mehr im Europaparlament ausgetragen. Um ihm zu schaden und ihn als unglaubwürdig darzustellen, hat die Mehrheit der Abgeordneten Martin Schulz dafür gerügt, dass er es in seiner Zeit als Parlamentspräsident mit der Vetternwirtschaft übertrieben hat. Juristisch relevante Unregelmäßigkeiten wurden dem SPD-Kanzlerkandidaten bisher jedoch nicht nachgewiesen. Die Beförderungsbeschlüsse und Prämienzahlungen, für die Schulz verantwortlich war, können deswegen lediglich moralisch kritisiert werden. Doch darum ging es den konservativen Gegenspielern des Sozialdemokraten gar nicht. Ansonsten hätten sie sich schon längst für wirkungsvolle Beschlüsse eingesetzt, die etwa einen ähnlich laxen Umgang mit Steuergeldern, wie Schulz ihn an den Tag legte, für die Zukunft ausschließen.
Auch eine Personalentscheidung des EU-Parlaments lässt daran zweifeln, dass hier in großer Zahl die Verteidiger der Demokratie sowie Vorkämpfer für mehr Transparenz sitzen. Mit der Wahl des Berlusconi-Gefolgsmannes Antonio Tajani zum Nachfolger von Schulz hat die EU-Bürgervertretung vor wenigen Monaten mehrheitlich den Politiker einer Partei hofiert, deren Spitze für Betrug und andere Verbrechen bekannt ist. Dagegen wirken die Verfehlungen von Schulz geradezu harmlos.
Wahlprüfsteine des „Ostdeutschen Kuratoriums von Verbänden“ Zur Wahl des Deutschen Bundestages September 2017
Die politische Entwicklung in Europa und die Rolle der Bundesrepublik Deutschland erfüllen uns zunehmend mit Sorge.
Entgegen dem anerkannten politischen Grundsatz „Vom Deutschen Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen“ und den Bestimmungen des Grundgesetzes beteiligt sich Deutschland weltweit an kriegerischen Aktionen und kriegsvorbereitenden Handlungen.
Die grobe Missachtung des grundlegenden Menschenrechts auf Leben und Gesundheit durch Vorbereitung von militärischen Auseinandersetzungen und aktiver Beteiligung an Kriegen in der Welt durch die jetzige Bundesregierung wird von uns verurteilt. Besonders unerträglich ist für uns die Hetze gegen Russland und die Stationierung deutscher Soldaten, im Rahmen der NATO, an dessen Westgrenzen.
Die sozialen Menschenrechte wie das Recht auf Bildung, das Recht auf Arbeit, das Recht auf Wohnen werden nicht durchgesetzt, die Politik der Regierung richtet sich an den Interessen der die Wirtschaft beherrschenden Unternehmen aus und lässt eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich zu.
Die Diskriminierung der Ostdeutschen Bevölkerung ist auch nach einem viertel Jahrhundert des Anschlusses der DDR an die BRD entgegen den Anforderungen des Grundgesetzes nicht beendet.
Im Namen der Mitglieder unserer Verbände und Vereinigungen fordern wir die Parteien und Kandidaten die zur Bundestagswahl antreten auf, zu nachfolgenden Fragen ihren Standpunkt zu äußern:
I. Leben in Sicherheit und Wohlstand braucht Frieden
Setzen Sie sich in dem zu wählenden Bundestag für
- eine Unterbindung von Auslands– und Kriegseinsätzen der Bundeswehr ein? - eine spürbare Reduzierung der Produktion und des Exports von Waffen und für eine strikte Unterbindung des Waffenexports in Krisenregionen ein? - eine weltweite Ächtung aller Atomwaffen und den Abzug der amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland ein? - eine Unterstützung der Aktivitäten der Friedensbewegung zur Schließung des Kommandozentrums der amerikanischen Armee zur Drohnen- Kriegsführung in Ramstein ein?
- eine Verbesserung der Beziehungen zu Russland im Interesse der Sicherung des Friedens in Europa ein und weisen Sie deshalb die russlandfeindlichen Maßnahmen der NATO, wie die Entsendung deutscher Truppen an die Grenzen Russlands, zurück? - einen Rückzug der BRD aus der NATO und Aktivitäten zur Auflösung der NATO ein?
Setzen Sie sich in dem zu wählenden Bundestag für
II. Soziale Gerechtigkeit und Schutz vor Armut
- spürbare Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Situation vor allem der unteren Schichten in der BRD ein und unterstützen Sie alle Maßnahmen um die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen? - für die Durchsetzung des Menschenrechts auf Arbeit, Bildung und Wohnung ein und ein Verbot der Spekulation mit Grund und Boden sowie Immobilien? - Wenden Sie sich in Ihrer politischen Tätigkeit im Bundestag gegen alle Maßnahmen der EU die Länder des Südens im Interesse des Finanzkapitals auszubluten? - die zu uns kommenden Flüchtlinge menschenwürdige Lebensbedingungen zu schaffen ein und eine Unterbindung der Abschiebung von Asylsuchenden in Krisengebiete? - eine weitere Privatisierung lebenswichtiger Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge zu unterbinden und die bereits vollzogene Privatisierung rückgängig zu machen?
III. Schaffung gleicher Lebensbedingungen in Ost und West
Setzen Sie sich in dem zu wählenden Bundestag für
- wirksame Maßnahmen zur wirtschaftlichen und sozialen Annäherung von Ost- an Westdeutschland und damit der Aufhebung der Diskriminierung der ostdeutschen Bevölkerung bei berechtigten Lohn- und Rentenansprüchen ein? - gegen eine Diffamierung der DDR als Unrechts- und Pleitenstaat und damit gegen die Diffamierung der Lebensleistung von Millionen ostdeutscher Bürger ein? - die Aufhebung des Rentenunrechts ein und damit für eine schnelle Angleichung der Rentenwerte Ost an die Rentenwerte West mit sofortiger Wirkung? - eine Aufhebung der menschenrechtsverletzenden Strafrenten gegen Verantwortungsträger der DDR und ihrer Sicherheitsorgane ein und damit für die Aufhebung der grundgesetzwidrigen Nutzung des Sozialrechts als Strafrecht?
5. April 2017 um 11:04 Uhr | Verantwortlich: Albrecht Müller
Veröffentlicht in: Kampagnen / Tarnworte / Neusprech, Medienkritik, Werbung für die NachDenkSeiten
Im Anschluss an unseren
Beitrag Der Bock „ARD“ macht sich zum Gärtner. Toll, toller,
am verlogensten! erreichte uns eine Mail an faktenfinder(at)tagesschau.de. Wir geben sie wieder, weil der Mailschreiber Johannes Stwrtetschka den Vorgang meisterhaft in Worte gefasst hat. Nebenbei: Wir sind
ein bisschen stolz auf die NachDenkSeiten-Leserinnen und Leser. Und eine Anregung: Weisen Sie bitte in Ihrem Umfeld auf die ARD-Taschenspielertricks, wie es der Leserbriefschreiber mit Recht nennt,
hin. Verlinken Sie auf den gestrigen und auf diesen Beitrag. Und werben Sie dabei für die NachDenkSeiten. Damit immer mehr Menschen hinter die Kulissen schauen. Albrecht Müller.
5.4.2017 um 10:06 Uhr
Sehr geehrte Faktenfinder bei der ARD!
Es ist eine äußerst löbliche und verdienstvolle Aufgabe zur Aufklärung und zur neutralen Information, also schlichtweg zu professionellem Journalismus, beizutragen.
Ich muss Sie in Ihrem zur Schau gestellten Optimismus, vielleicht ist es aber auch nur die eigene Überheblichkeit, ein klein wenig ausbremsen, denn das hehre Ziel, welches Sie anstreben, haben Sie bereits im Ansatz verfehlt, denn FakeNews entstehen gerade NICHT ausschließlich im Netz!
Gerade die regierungs- und wirtschaftsnahe Propaganda (anders kann man die Berichterstattung der öffentlich-„rechtlichen“ Medien kaum noch nennen) zu Themen wie dem demografischen Wandel (und die damit verbundene Werbetrommel für private Vorsorge), Jugoslawien-Krieg und anderen Kampagnen zeigen, wie wichtig die Aufarbeitung zum Thema FakeNews in den eigenen Reihen wäre!
Statt dessen verlegen Sie das Schlachtfeld in einen Bereich, der von Ihnen nicht dominiert werden kann, lassen allerdings dennoch die „Muskeln spielen“, indem Sie sich vorneweg schon die Deutungshoheit über Fake oder nicht Fake aneignen, um dem geneigten, wenn auch unbedarften, Leser zu suggerieren, hier passiert endlich was gegen Falschmeldungen!
Lassen Sie doch solche billigen Taschenspielertricks!
Gewiss, es werden Ihnen genügend Leser erst einmal auf den Leim gehen und solange Sie es vermeiden, über Leserbriefe oder in sozialen Netzwerken Diskussionen zuzulassen, können Sie sicherlich eine geraume Zeit Punkte sammeln.
Aber wie schon Abraham Lincoln feststellte: „Man kann einen Teil des Volkes die ganze Zeit täuschen und das ganze Volk einen Teil der Zeit. Aber man kann nicht das gesamte Volk die ganze Zeit täuschen.“
Denken Sie bei Ihrer Arbeit immer daran und fangen Sie am besten im eigenen Hause an zu kehren!
Denn eines ist auch klar – eine Einrichtung, wie die von Ihnen jetzt ins Lebern gerufene, gibt es bereits!
Dort können Sie sich vielleicht ein paar Anregungen holen: nachdenkseiten.de
Mit freundlichen Grüßen
J. Stwrtetschka
Das ist Martin!
von: Nina Hinckeldeyn
Martin Schulz (SPD) verspricht, er wolle
das Land sozialer und gerechter gestalten. Können die BürgerInnen diese Aussage ernst nehmen?
Nein. Denn nun hat der SPD-Kanzlerkandidat die Katze aus dem Sack gelassen. Martin Schulz spricht sich in der heutigen Rheinischen Post für den Erhalt der Hartz-Sanktionsmaßnahmen aus, die nicht
nur 6,9 Millionen Transferleistungsempfänger (darunter 2 Millionen Kinder) akut betreffen, sondern indirekt den gesamten Arbeitsmarkt, insbesondere den Lohnniedrigsektor, in Schach halten.
Auswirkungen von Hartz IV auf den Arbeitsmarkt:
Hartz IV schafft ein Klima der Angst unter den Erwerbstätigen, denn sie sind in der Regel nur 12 Monate von der Armutsfalle entfernt. Hartz IV befeuert die Ausweitung des Leihsektors und
befördert die Absenkung des Lohnniveaus. Aus Angst, in Hartz IV abzurutschen, sind Beschäftigte bereit, enorme Abstriche zu machen.
Profiteur dieser Repressionen ist der Wirtschaftssektor, denn Billiglöhne auf der Arbeitnehmerseite bedeuten mehr Gewinne auf der Arbeitgeberseite.
Auswirkungen der Sanktionen auf akut Betroffene:
Transferleistungsempfänger bekommen ein Existenzminimum, das seit Jahren UNTERFINANZIERT ist. Bei »Ungehorsam« werden in mehreren Schritten lebenswichtige Bedarfsleistungen gestrichen - bis hin
zur Vollsanktion. 10% bei Terminversäumnissen //// 30%, 60%, 100% bei »Verstößen« wie etwa zu wenige Bewerbungen.
Sanktionen sind übrigens nicht heilbar, dass heißt: Selbst wenn der Betroffene den Forderungen zu einem späteren Zeitpunkt nachkommt, bleibt die Sanktion für 3 Monate bestehen. Pro Jahr verhängen
die Mitarbeiter der Jobcenter etwa 1 Million Sanktionen. Die Anzahl der Vollsanktionen liegt durchschnittlich bei 7000 pro Monat.
Auch Kinder und Jugendliche sind von diesen Strafmaßnahmen bedroht.
Laut Bundesagentur für Arbeit waren von Januar bis August 2016 jeden Monat 2.440 MINDERJÄHRIGE ‼️ und mehr als 10.000 Jugendliche unter 21 Jahren sanktioniert worden, über 1.500 ‼️ von ihnen
vollständig.
Sanktionen bedeuten massive Einschnitte - bei ohnehin knapper Kasse. Es wird gehungert, um das Defizit auszugleichen oder wichtige Dinge wie Strom können nicht bezahlt werden.
350 000 Stromsperren pro Jahr sind unter anderem die Folge dieser Strafen nach Gutsherrenart.
Bei einer Vollsanktion ist alles weg. Kein Essen, keine Krankenversicherung und auch die Wohnung ist bei ausstehender Miete in größter Gefahr.
Die Bundesregierung beruft sich rechtfertigend auf Essensgutscheine, die bei höheren Sanktionen oder Totalsanktionen beim Sanktionär beantragt werden können. Diese »Gutscheine« sind aber 1. eine
KANN-LEISTUNG und es liegt im Ermessen des jeweiligen Sachbearbeiters, ob eine Herausgabe stattfindet. 2. deckt dieser Lebensmittelgutschein nicht den Gesamtbedarf ab und 3. gibt es kaum noch
Supermärkte, die diese Sachleistungsbescheinigung einlösen.
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Pressemitteilung Rheinische Post vom 17.3.2017:
Düsseldorf (ots) - Der designierte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz will an den Sanktionen für Hartz-IV-Bezieher festhalten. "Bei den Sanktionen geht es ja nicht um Schikanen. Sondern darum,
dass sich selbstverständlich auch Bezieher von Hartz IV an bestimmte Spielregeln halten und etwa verabredete Gesprächstermine einhalten", sagte Schulz der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen
Post" (Freitagausgabe). Er habe den Eindruck, dass dieses Thema "ein bisschen überhöht" werde, sagte Schulz.
Quelle:
Aus: Ausgabe vom 21.03.2017, Seite 5 / Inland
Predigt an das (Parteitags-)Volk: Martin Schulz nach seiner Wahl zum SPD-Chef am Sonntag in Berlin
Foto: Axel Schmidt/Reuters
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Wie hält es Martin Schulz mit dem drohenden Ausverkauf der deutschen Autobahnen? Die Berliner SPD-Politikerin Gerlinde Schermer wollte dies persönlich vom neuen Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten der Sozialdemokraten wissen. Dafür hatte sie eine Rede vorbereitet, die sie als Delegierte auf dem Berliner »Krönungsparteitag« am Sonntag verlesen wollte. Dabei hätte sie Sätze wie diesen gesagt: »Wenn unsere Abgeordneten heute Ja sagen zur Privatisierung, dann verrotten wir in der nächsten großen Koalition wie die Holländische Arbeiterpartei!« Und geendet hätte sie mit: »Lieber Martin, bitte sorge dafür, dass die Gerechtigkeit in diesem Punkt hier und heute beginnt!«
Daraus wurde nichts. Die Parteitagsregie ließ Schermer nicht zum Parteivolk sprechen. Das war allein dem scheidenden Chef, Sigmar Gabriel, und dessen Nachfolger vorbehalten. Beide überzogen die avisierte Redezeit um eine halbe Ewigkeit, so dass für die vorgesehene »Aussprache« nur mehr ein Viertelstündchen verblieb. Aber selbst das hätte es nicht gebraucht. Nach Debatten war bei der Schulz-Kür mit 100 Prozent Ja-Stimmen ohnedies keinem zumute. Fehlte noch, dass gleich wieder einer – oder eine – am frisch aufpolierten Lack kratzt. Schermer meinte denn auch am Montag im Gespräch mit junge Welt: »Das lief alles schön nach Plan.«
Das Wort »Autobahnen« nahmen Schulz und Gabriel beide nicht in den Mund. Lieber versprachen sie »Investitionen«, wahlweise in »die Zukunft«, »in Bildung, Kitas und Schulen«. Was sie verschwiegen: Wenn der Bundestag demnächst das Gesetzespaket zur Schaffung einer zentralen Infrastrukturgesellschaft beschließt, werden es ein paar wenige Bau- und Versicherungskonzerne sein, die alsbald marode Verkehrswege, Kitas und Schulen instandsetzen – und damit riesige Profite einstreichen. Die so verpulverten Milliardensummen werden dem Staat am Ende fehlen, wenn er sein durch »Agenda 2010« und Hartz-Gesetze verschlissenes Sozialsystem wieder herrichten will.
Wie Schermer gestern beklagte, begriffen viele SPD-Mandatsträger diese Zusammenhänge gar nicht. »Viele glauben noch immer Gabriels Ansage vom November, dass eine Privatisierung vom Tisch wäre.« Dabei hätten längst auch die Gewerkschaften die Zeichen der Zeit erkannt. In ihrer nicht gehaltenen Rede stellte Schermer entsprechend die Frage: »Warum geht die SPD stillschweigend darüber hinweg, dass die Vorsitzenden aller Mitgliedsgewerkschaften des DGB im März den Aufruf gegen die Privatisierung der Autobahnen unterschrieben haben? Unsere Bündnispartner.«
Ja, warum eigentlich? Weil man die Sache vor der Wahl unbedingt eintüten will, weil ein neoliberales Projekt dieser Tragweite, mit all den dafür nötigen Grundgesetzänderungen, nur eine große Koalition mit ihrer parlamentarischen Übermacht im Bundestag ins Werk setzen kann? Dazu passt: Am Rande des Sonderparteitags gab es am Sonntag ein Treffen des SPD-Parteivorstands, bei dem Fraktionschef Thomas Oppermann seine Mitstreiter noch einmal darauf einschwor, das Vorhaben bis zum Urnengang im Herbst durchzubringen. Danach wird sich dafür kaum noch eine Mehrheit finden, zumal bei einer dann stärker sensibilisierten Öffentlichkeit.
Tatsächlich spricht sich die Angelegenheit immer mehr herum. Eine von Schermer vor knapp zwei Wochen gestartete Unterschriftenaktion, mit der die SPD-Fraktion zur Ablehnung aufgefordert werden soll, hat bereits über 30.000 Unterstützer. Davon sind wohl die allermeisten SPD-Mitglieder, an die sich die Initiative ausdrücklich richtet. Martin Schulz hat bisher nicht unterschrieben.
Was zeigt uns das? Erstens, dass wir skeptisch bleiben sollten und uns nicht von den schönen warmen Wahlkampf-Worten der SPD einlullen lassen sollten. Und zweitens, dass wir trotz alledem nicht aufgeben sollten. Denn wenn es uns gelingt, noch viel mehr Druck zu machen für Frieden und soziale Gerechtigkeit und wenn wir im nächsten Bundestag mit einer gestärkten Linken vertreten sind, dann werden dieses Land wirkungsvoller zum Besseren verändern können.
der Spiegel und mit ihm zahlreiche weitere Mainstream-Medien verkaufen es als große Neuheit: Selbst ich würde inzwischen eine Koalition mit der SPD nicht mehr ausschließen ... Und das soll eine Neuheit sein? Richtig ist: Schon vor Martin Schulz habe ich immer gesagt: an einer Regierung, die den Sozialstaat wiederherstellt - was eine Rücknahme der Agenda 2010 voraussetzt - und zu einer friedlichen Außenpolitik nach dem Vorbild der Entspannungspolitik Willy Brandts zurückkehrt, kann und sollte sich die Linke beteiligen. Daran hat sich nichts geändert. Aber leider gibt es von Seiten der SPD weiterhin wenig Anzeichen, dass ihre neue Gerechtigkeits-Rhetorik mehr ist als der übliche SPD-Vorwahlkampf ... Die angebliche Abkehr Schulz' von der Agenda 2010, die bei den Arbeitgeberverbänden bereits zu hysterischen Anfällen geführt hat, besteht bei genauem Hinsehen bisher in sehr kleinen Korrekturversprechen: die sachgrundlose Befristung soll verboten werden - eine sinnvolle Forderung, die allerdings die SPD auch 2013 schon im Wahlprogramm hatte. Und das Arbeitslosengeld I für Ältere soll länger gezahlt werden. Auch das ist sinnvoll, aber wahrlich keine Überwindung des unmenschlichen Hartz-IV-Systems, in das zumindest alle Jüngeren nach Schulz Vorstellung unverändert spätestens nach einem Jahr Arbeitslosigkeit abgedrängt werden sollen.
Um die Diskrepanz zwischen Worten und Taten bei der SPD auf den Punkt zu bringen, habe ich in der letzten Woche einen Screenshot der Tweets von Martin Schulz angefertigt und seine Aussagen auf vorliegende Anträge von uns Linken überprüft. Zu allen Versprechen von Martin Schulz liegen Anträge der Linken auf den Tisch. Viele von ihnen wurden bereits im Bundestag abgelehnt, die SPD-Fraktion hat jeweils geschlossen dagegen gestimmt. Wir bringen sie aber jederzeit gern noch einmal ein. Anstatt nur von Gerechtigkeit zu reden, könnte die SPD dann einfach für Gerechtigkeit stimmen ... Nutzt diese Gegenüberstellung gerne in sozialen Netzwerken.
SPD läutet traditionelles linkes Halbjahr vor wichtigen Wahlen ein
Berlin (dpo) - Es ist wieder soweit: Die Führungsspitze der SPD hat heute Morgen bei einem Treffen im Willy-Brandt-Haus in Berlin den Beginn des traditionellen linken Halbjahres vor den nächsten
Bundestagswahlen eingeläutet. In dieser Zeit ist das Spitzenpersonal darum bemüht, die SPD wie eine Partei wirken zu lassen, die Politik für Arbeiter und Geringverdiener macht.
"Liebe Genossinnen und Genossen, das traditionelle linke Halbjahr vor der Bundestagswahl ist hiermit feierlich eröffnet", verkündete der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas
Oppermann und klingelte laut hörbar mit der sogenannten "Glocke des kleinen Mannes". Nachdem der Applaus abebbte, erklärte er: "Jetzt ist die Zeit gekommen, in der wir uns für einige Monate auf
unsere sozialdemokratischen Wurzeln zurückbesinnen."
Ab sofort sei es SPD-Wahlkämpfern zur Schärfung des linken Profils der Partei ausdrücklich erlaubt, soziale Forderungen zugunsten der Arbeiterschaft zu formulieren: "Höhere Löhne, eine Abkehr von der
Agenda 2010, Steuern runter, Steuern rauf für Reiche, höhere Renten – völlig egal!", so Oppermann. "Aber bitte beachtet, liebe Genossen: Am Montag nach der Wahl werde ich diese Glocke noch einmal
läuten. Und ab diesem Zeitpunkt muss das alles wieder vergessen sein."
Traditionelle linke Halbjahre vor Wahlen seit 2005 (Slideshow):
Das traditionelle linke Halbjahr 2013. Danach (2013-17): Vorratsdatenspeicherung, Freihandelsabkommen, Andrea Nahles
Parteienforscher versuchen bis heute herauszufinden, warum es in Deutschland Wähler gibt (immerhin 20 bis 30 Prozent), die immer noch auf das traditionelle linke Halbjahr der SPD hereinfallen.
"Hier scheinen ähnliche psychische Prozesse abzulaufen wie bei einer vom Partner misshandelten Person", erklärt Parteienforscher Walter Rebke. "Der Wähler redet sich vor jeder Wahl ein, dass die
reumütige SPD es dieses Mal ernst meint und ihr Verhalten wirklich zugunsten der Schwächeren in unserer Gesellschaft ändert."
Doch damit sieht es schlecht aus. Üblicherweise folgen nämlich auf das traditionelle linke Halbjahr vor Wahlen die traditionellen dreieinhalb arbeitgeberfreundlichen Jahre, die von
Freihandelsabkommen, Privatisierungen, Klientelpolitik und sozialen Kürzungen geprägt sind.
Wir erinnern uns: So sah das traditionelle linke Halbjahr vor der Bundestagswahl 2005 aus. Vorher (1998-2005): Mehrwertsteuer rauf, Privatisierungen, Hartz IV, Arbeitsmarktflexibilisierung usw. usf.
Das traditionelle linke Halbjahr 2009. Vorher (2005-09): Geld für Bankenrettung, Rente mit 67wirklich zugunsten der
Schwächeren in unserer Gesellschaft ändert."
Doch damit sieht es schlecht aus. Üblicherweise folgen nämlich auf das traditionelle linke Halbjahr vor Wahlen die traditionellen dreieinhalb arbeitgeberfreundlichen Jahre, die von
Freihandelsabkommen, Privatisierungen, Klientelpolitik und sozialen Kürzungen geprägt sind.
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Aus: Ausgabe vom 09.03.2017, Seite 8 / Abgeschrieben
Schluss mit schmutzig
Anlässlich der Befragung von Kanzlerin Angela Merkel vor dem Diesel-Untersuchungsausschuss des Bundestags erklärte der Verkehrsexperte des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Jens Hilgenberg, am Mittwoch:
Das Ende des Untersuchungsausschusses ist nicht das Ende des Dieselskandals. Tagtäglich werden in Deutschland bis zu 4.000 neue Dieselautos verkauft, die auf der Straße die gesetzlichen Stickoxidgrenzwerte nicht einhalten. Das ergibt sich aus Verkehrsminister Dobrindts eigenem Untersuchungsbericht. Aber was ist inzwischen passiert? Der Bundesverkehrsminister und das ihm unterstellte Kraftfahrtbundesamt stecken den Kopf in den Sand. Die Bundeskanzlerin und ihr Verkehrsminister haben einen Amtseid geschworen, sie wollten Schaden von der Bevölkerung abwenden. Sie müssen endlich einschreiten, es geht schließlich um besseren Gesundheitsschutz für alle. (…) Jedes zusätzliche Dieselfahrzeug, das die Grenzwerte auf der Straße nicht einhält, verschlimmert über Jahre die Belastung mit Stickoxiden. Bleibt Herr Dobrindt weiter untätig, muss Frau Merkel dafür sorgen, dass ihr Verkehrsminister den Verkauf schmutziger Diesel-Pkw stoppt.
Bereits im November letzten Jahres hatte der BUND beim zuständigen Kraftfahrtbundesamt (KBA) in Flensburg einen Verkaufsstopp für neue Diesel-Pkw der Abgasnorm Euro 6 beantragt, wenn diese im Realbetrieb die gesetzlichen Schadstoffgrenzwerte überschreiten. Der BUND-Experte Hilgenberg fordert, dass sämtliche Euro-6-Neufahrzeuge den gesetzlichen Stickoxidgrenzwert von maximal 80 Milligramm pro Kilometer einhalten. Bei Neuwagen von Audi, BMW, Dacia, Ford, Honda, Hyundai, Jaguar, Land Rover, Mazda, Mercedes-Benz, Opel, Peugeot, Porsche, Renault, Suzuki, Volkswagen und Volvo wurden inzwischen teilweise exorbitante Überschreitungen nachgewiesen. Der BUND geht davon aus, dass eine große Zahl von Neufahrzeugen weiterer Hersteller ebenfalls betroffen ist.
1. Februar 2017 um 8:51 Uhr | Verantwortlich: Albrecht Müller
Veröffentlicht in: Das kritische Tagebuch
Dieser Brief, den aufmerksam zu lesen
ausdrücklich empfohlen wird, zeugt von einer tiefen Betroffenheit. Nicht, weil der Absender persönlich aufgewühlt sein könnte angesichts der Tatsache, dass sein richtiger Rat bei den Offiziellen in
Berlin leichtfertig beiseitegeschoben wurde und wird. Betroffen ist Heiner Flassbeck wie alle, die wie auch wir bei Steinmeier und anderen Berliner Führungspersonen immer und immer wieder versucht
haben, eine Gasse zu schlagen für ein Stück ökonomischer und zugleich Europäischer Vernunft. Ohne Erfolg. Albrecht Müller.
Es folgt gleich der Text des offenen Briefes. Vorweg noch die Anmerkung, dass das dort zitierte Interview des künftigen Bundespräsidenten mit der Süddeutschen Zeitung auch auf einem anderen Feld
bemerkenswerte Täuschungsmanöver absolviert, übliche Täuschungsmanöver: die Ukraine Krise beginnt mit der Annexion der Krim – das ist das Übliche, aber das Übliche wird von der Lüge nicht zur
Wahrheit, nur weil es ständig wiederholt wird. Auf diesen Teil des Süddeutschen Zeitung Interviews mit dem künftigen Bundespräsidenten gehen wir bei passender nächster Gelegenheit
ein.
Und hier nun …
Statt einer Gratulation: Ein offener Brief an den zukünftigen Bundespräsidenten, der vor dem Gift der Lüge warnt und davon spricht, dass die europäische Zusammenarbeit kein Nullsummenspiel ist.
Sehr geehrter Herr Steinmeier,
Einige Tage vor Ihrer Wahl zum Bundespräsidenten möchte ich die Gelegenheit nutzen, einen Moment über Ihre Rolle in der bundesdeutschen Politik der vergangenen fünfzehn Jahre zu sprechen und zu fragen, auf welche Weise der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein Zeichen gegen den aufkommenden Nationalismus in Europa setzen kann.
Sie sagten am 27. Januar in einem Interview mit der SZ:
„Aufgabe der Politik ist es zu erklären, dass die Antworten nicht leichter werden können, wenn die Probleme immer komplexer werden. Das setzt Vertrauen in die demokratischen Institutionen voraus. Diese Institutionen können wir nur stark halten, wenn wir uns nicht in eine Fantasiewelt begeben, in der die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Lüge schleichend aufgehoben wird. Die Demokratie ist das Fundament, auf dem wir unsere Kontroversen austragen. Wir sollten über Wege und Lösungen streiten – aber mit Respekt voreinander, und ohne das Gift der Lüge, der Diffamierung und der Delegitimierung. Wir sollten dabei nicht verzagen: Wann und wo hat der Populismus tatsächlich erfolgreich regiert und Ergebnisse vorzeigen können?“
Streit ohne das Gift der Lüge, wer würde da nicht zustimmen. Leider haben Sie nichts dazu gesagt, wie man die Lüge von der Wahrheit unterscheidet und wie man damit umgeht, wenn die Wahrheit einfach verschwiegen wird. Auch die sich aufdrängende Frage, nämlich ob all diejenigen, die nicht lügen, damit automatisch ehrlich sind, oder ob diejenigen, die unehrlich sind, immer gleich lügen, beantworten Sie leider nicht.
Sie sagten in diesem Interview auch:
„Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass sich Europa als Friedens-, Freiheits- und Wohlstandsprojekt nicht überlebt hat. Europa ist unsere Zukunft, und Europa hat eine Zukunft. Nirgendwo lässt sich besser zeigen, dass Partnerschaft und Zusammenarbeit keine Nullsummenspiele sind, sondern allen Vorteile bringen. Auf und aus den Trümmern eines Europa fast vernichtenden Krieges ist ein Raum wundervoller Vielfalt, ungekannter Toleranz und des friedlichen Miteinanders entstanden, auf den wir stolz sein können, der der Welt ein Beispiel gibt.“
Lässt sich wirklich zeigen, dass die europäische Zusammenarbeit kein Nullsummenspiel ist? Nehmen wir als Beispiel ein einfaches politisches Problem, das überragende Bedeutung für die Zukunft Europas hat: Die Eurokrise. Es gibt viele Variationen der Erklärung dieser Krise, die ich nicht alle aufzählen will. Aber eine dieser Varianten zeigt, dass es mit dem Beginn der Europäischen Währungsunion sehr wohl ein bedeutendes Nullsummenspiel gab, ein Spiel, das Deutschland gewonnen hat.
In dieser Variante verbesserte Deutschland unmittelbar mit Beginn der Europäischen Währungsunion seine Wettbewerbsfähigkeit, indem die Politik (Rot-Grün und mit Ihrer tatkräftigen Mitwirkung) massiven Druck auf die Gewerkschaften ausübt. Die Lohnsteigerungen gehen deutlich zurück. Deutschland verstößt damit gegen das von allen Ländern vereinbarte Inflationsziel von knapp zwei Prozent, obwohl es das deutsche Ziel war, das alle Mitgliedsländer bereitwillig übernommen haben. Deutschland wertet in der Folge real ab, weil die Nachbarn diese deutsche Unterbewertungsstrategie nicht erwarten und nicht verstehen. Auch die für die Überwachung der Währungsunion geschaffenen Institutionen versagen.
Deutschland gelingt es mit Hilfe dieses Wettbewerbsvorsprungs, seine Exporte massiv zu erhöhen, einen gewaltigen Leistungsbilanzüberschuss zu erzielen und auf diesem Wege über die Jahre seine Arbeitslosigkeit deutlich zu reduzieren. Frankreich, das Land, das sich weit besser an das von der EZB vorgegebene Inflationsziel angepasst hat, hat mit dauernd steigender Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Sie kennen diese Analyse, denn Sie waren dabei, als ich vor einigen Jahren die Gelegenheit hatte, sie dem damaligen Parteivorsitzenden Gabriel vorzutragen.
Es geht um diese Erklärung der Eurokrise, aber es geht überhaupt nicht darum, ob meine Interpretation der Zusammenhänge richtig oder falsch ist. Es geht nur darum, ob die Unterscheidung von Wahrheit und Lüge nicht schleichend aufgehoben wird, wenn die Politik in Deutschland sich weigert, diese eine Erklärung der Krise überhaupt zu diskutierten? Die Frage ist, ob derjenige, der diese Analyse bewusst verschweigt, Lügner genannt werden sollte oder ob er bloß unehrlich ist. Darüber wird nämlich inzwischen in ganz Europa geredet. In den angelsächsischen Ländern gehört sie zum Standardverständnis der europäischen Krise, in Italien und Frankreich wissen immer mehr Menschen davon und sie erzeugt Wut oder gar Hass auf Deutschland. Die Europäische Kommission hat diese Erklärung inzwischen weitgehend akzeptiert und sie schlägt sich nieder in wachsender Kritik an den riesigen deutschen Überschüssen in der Leistungsbilanz.
In Deutschland aber wird dazu geschwiegen. Die Politik tut einfach so, als gebe es diese Erklärung nicht, die Medien erwähnen sie nur einmal kurz am Rande, wenn sie im Ausland hochkocht, um sie aber sofort für abwegig zu erklären. Doch das Schweigen dröhnt extrem laut, wenn man den Vorhang des kollektiven Leugnens kurz wegzieht.
Ein klassisches Beispiel hat dazu der scheidende Bundeswirtschaftsminister vergangene Woche geboten. Er hatte 25 Minuten Zeit, um im Bundestag den Jahreswirtschaftsbericht 2017 vorzustellen. Er lobte ausführlich die deutsche Leistung der letzten Legislaturperioden, die gute wirtschaftliche Lage in Deutschland war ihm viele Worte wert, die niedrige Arbeitslosigkeit, die hohe Beschäftigung. Die Lage der anderen Europäer wurde kaum einmal gestreift, der deutsche Leistungsbilanzüberschuss tauchte überhaupt nur in einem Satz auf, in dem es hieß, der Überschuss werde 2017 sinken, was die Europäische Kommission freuen dürfte (ein Hinweis darauf, dass die Kommission womöglich ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen der Überschüsse einleitet).
Der Hinweis auf die Kommission ist interessant, weil er zeigt, dass der Bundeswirtschaftsminister genau wusste, wie kritisch die deutschen Überschüsse inzwischen in Europa gesehen werden. Wenn er das aber genau weiß, warum redet er nicht darüber, sondern tut sogar so, als könne und müsse man die Kommission ignorieren und dann zur Tagesordnung übergehen? Ist das nicht der Punkt, an dem die Unterscheidung von Wahrheit und Lüge aufgehoben wird? Wenn ich genau weiß, dass mein Verhalten bei meinen Nachbarn auf scharfe Kritik stößt, und ich mich dennoch weigere, auch nur darüber zu reden, ist das Lüge oder Unehrlichkeit? Wenn ich gegen die gemeinsam gesetzten Regeln verstoße, die anderen aber andauernd auffordere, sich an die Regeln zu halten, was ist das: Chuzpe oder Unverschämtheit?
Wenn ich mächtig bin und mich weigere, über mein eigenes fragwürdiges Verhalten zu reden, was ist das dann? Bloßer Machtmissbrauch oder schon Erpressung der weniger Mächtigen durch den Mächtigen? Wenn ich zudem in der Öffentlichkeit dieses Problem leugne, um die Bürger nicht zu verwirren, was ist das dann: Irreführung der Öffentlichkeit, Unehrlichkeit oder Lüge? Wenn ich eine nationalistische Partei, die behauptet, die anderen Europäer seien Schuld an der Eurokrise und wir müssten für die Fehler der Nachbarn zahlen, nicht argumentativ stelle, indem ich auch deutsche Schuld einräume, was ist das dann: Feigheit, Dummheit oder Selbstbetrug?
Als Bundespräsident, sehr geehrter Frank-Walter Steinmeier, wollen Sie sicher der deutschen Jugend ein Vorbild geben und sie ermuntern, auch vor kritischen Fragen nicht zurückzuschrecken. Werden Sie die SPD auffordern, ihre europäische Verantwortung aufzuarbeiten und sich einer offenen Diskussion mit der deutschen Jugend über diese Frage zu stellen und das auch, um damit den rechten Parteien den nationalistischen Wind der Überheblichkeit aus den Segeln zu nehmen?
Als die Agenda 2010 10 Jahre alt wurde, haben Sie mit den anderen, die dafür verantwortlich waren, eine Party gefeiert und betont, wir gut es Deutschland doch wegen der Agenda-Politik geht. Sie haben damals vergessen zu sagen, dass es anderen wegen der Agenda-Politik schlecht geht. Dass beispielsweise Frankreich und Italien seit Beginn der Währungsunion per Saldo im Außenhandel verloren, Deutschland aber gewonnen hat, kann man nicht ernsthaft bestreiten, wenn man die Logik nicht außer Kraft setzt. Da war die „Partnerschaft“ eindeutig ein Nullsummenspiel. Sie aber schweigen dazu, obwohl genau deswegen die Zukunft Europas in Frage steht.
Als Außenminister haben sie selbst dann geschwiegen, als Ihr Kollege Schäuble Griechenland zu einer unsinnigen und, wie spätestens heute jeder wissen sollte, in ihren Folgen verheerenden Politik zwang. Werden Sie als Bundespräsident, jenseits der parteipolitischen Zwänge, ein Zeichen der Versöhnung setzen und sich beim französischen, beim italienischen und beim griechischen Volk dafür entschuldigen?
Sie sehen, sehr geehrter Herr Steinmeier, es ist eine komplizierte Sache mit der Lüge und mit der Wahrheit. Nichts ist einfach schwarz oder weiß, entscheidend sind immer die Grautöne. Einen Bundespräsidenten, der nur predigt, hatten wir gerade. Sie kommen mitten aus der Politik der vergangenen zwanzig Jahre, Sie haben große Verantwortung getragen. Sie können bewegen, was andere in dem Amt nicht bewegen konnten. Man wird Ihnen glauben, wenn Sie zugeben, dass Sie Anfang der 2000er Jahre nicht bedacht haben, welch verheerende Wirkung die allein für Deutschland ausgedachte Politik für Europa hatte. Sie könnten, indem sie ein Zeichen der Einsicht setzten, mit einem Schlag einem strauchelnden Europa neuen Halt geben und den rechten Feinden Europas im In- und Ausland ihr wichtigstes Argument nehmen.
Ich wünsche Ihnen in Ihrem neuen Amt viel Erfolg und verbleibe mit den besten Grüßen
Heiner Flassbeck
Ostsee-Zeitung vom 8.12.2016